Älter werden

  • Vorhin bin ich im Wald einem alten Mann begegnet, der sich auf sein Gehwägelchen gestützt hatte und kaum voran kam. Er wirkte aber nicht verbittert, sondern schien froh zu sein, überhaupt noch raus zu können.

    Irgendwie hat mich dieser Anblick etwas nachdenklich gestimmt... wenn ich mir vorstelle, dass ich irgendwann vermutlich auch in so einer Lage sein werde und die Wege, die ich früher immer gelaufen bin, nicht mehr schaffe. Ich glaube nicht, dass dieser fortschreitende körperliche Verfall etwas ist, mit dem ich gut klarkommen würde. Vor allem wenn man weiß, es wird nicht mehr besser, es geht nur noch in eine Richtung.

    Ich bin ohnehin schon immer total wehmütig und melancholisch, wenn etwas endet... wenn ich z.B. den letzten Tag im Urlaub am Strand bin, oder neulich im Oktober beim Baden am See, als ich wusste, das ist jetzt definitiv der letzte schöne sommerliche Tag, dann kommt der lange, dunkle Winter und Monate voller Kälte.

    Der einzige Trost ist dann, dass ja im nächsten Jahr alles wiederkommt und noch viele gute Tage kommen werden.

    Aber wenn du alt bist, hast du diesen Trost nicht mehr. Und ich glaube, das wird mich so ankotzen eines Tages. Wenn ich mir vorstelle, ich krieche dann so halbtot durch den Wald, sehe und höre kaum noch was, und lebe nur noch von den Erinnerungen an die glorreiche Vergangenheit, und dann kommen da irgendwelche jungen Leute, die lachend an mir vorbei joggen. :! Und dann ist man noch ständig krank und muss zum Arzt und sowas... waaaah.

    Noch bin ich ja fit und könnte meinem zwanzig Jahre jüngeren Ich noch was vorturnen. Aber es wird eben nicht immer so bleiben. Warum kann man nicht in einem gewissen Alter einfach explodieren, und dann ist Ruhe, ohne diesen ganzen widerlichen Verfallsprozess zuvor...


    Ok, ich gebe zu, das sind jetzt nicht gerade besonders neue oder bahnbrechende Gedanken zu dem Thema. Aber das hat mich eben heute beschäftigt, nachdem ich dem Alten begegnet bin und später dann wieder durch irgendwelche steilen Schluchten kletterte und mich daran erfreut habe, dass ich das noch kann. NOCH.

  • Same. Ich glaube aber nicht, dass ein nicht verbitterter alter Mann nur noch von den Erinnerungen an die glorreiche Vergangenheit und einer handvoll verschiedener Medis lebt, die ihn angeblich überhaupt noch leben lassen. Wenn man es schafft, so alt zu werden, ohne endgültig zu verbittern, ist man der Igel und nicht der Hase.

  • Zitat

    Vorhin bin ich im Wald einem alten Mann begegnet, der sich auf sein Gehwägelchen gestützt hatte und kaum voran kam. Er wirkte aber nicht verbittert, sondern schien froh zu sein, überhaupt noch raus zu können.

    Das wirkt doch erst mal ziemlich erbaulich auf mich. Er ist der Beweis dafür dass man selbst im hohen Alter und mit dieser Gebrechlichkeit sich noch an seinem Leben und den kleinen Dingen erfreuen kann ohne daran zu verbittern und sich selbst aufzugeben, wie die vielen die abgeschoben von ihren Verwandten und versteckt vor den Augen der Öffentlichkeit in irgendwelchen freudlosen Altersheimen auf ihren baldigen Tod warten.

    Ich denke wenn man selbst das Alter erreicht hat werden sich viele der negativen Ansichten ohnehin bereits wieder von selbst relativiert haben. Vieles von dem was einem in jungen Jahren noch alles bedeutet hat und einem unentbehrlich erschien verliert im Alter zunehmend an Bedeutung und Dinge mit denen man als junger Mensch noch überhaupt nichts anfangen konnte erlangen dann einen ganz anderen Stellenwert. Man sorgt sich immer darum was mal wird, aber wenn es dann soweit ist stellt man meist verblüfft fest, dass es überhaupt nichts besonderes ist und sich alles ganz natürlich ergeben hat.


    Man gewöhnt sich doch irgendwie an alles. Das altern läuft langsam genug ab um sich nach und nach an die Veränderungen zu gewöhnen, würde es schlagartig passieren wäre es natürlich ein großer Schock. Wenn ich wählen könnte 75% Prozent meines Lebens auf dem absoluten Zenit meiner Jugend, mit voller Kraft, Schönheit und Vitalität verbringen zu können, aber dann schlagartig von jetzt auf gleich mein absolutes Alter einsetzen würde und ich damit dann direkt und ohne Eingewöhnungszeit klar kommen müsste, um die restlichen 25% meiner noch verbleibenden Lebenszeit zu ende leben zu müssen, wüsste ich nicht ob ich mich darauf wirklich einlassen wollen würde. Man sieht einen alten Menschen und es schaudert einem bei dem Gedanken selbst mal so zu enden, aber man vergisst dabei, dass man nicht irgendwann plötzlich aufwachen wird und von heute auf morgen graue Haare hat und eine Gehhilfe benötigt. Ich glaube das Alter schleicht sich so langsam in unserer Leben, dass man für diese sanftmütige und behutsame Vorgehensweise schon auch irgendwo dankbar sein kann. Und natürlich wüssten wir die Jugend doch gar nicht mehr zu schätzen wenn sie kein Ende hätte, vielleicht würdest du wenn du unendlich lange Jung bleiben würdest irgendwann überhaupt nicht mehr durch den Wald spazieren wollen, weil es irgendwann Langweilig geworden ist und weil du dazu ja noch eine ganze Ewigkeit die Gelegenheit hättest und daher auch kein zeitlicher Handlungsbedarf mehr bestünde, weil du auch genauso gut in 1000 Jahren noch fit durch die Landschaft spazieren könntest wie heute und es sich daher auch beliebig lange aufschieben ließe.

    Ich denke es hat schon alles seine Sinnhaftigkeit, inklusive des unbehaglichen Gefühls welches einem bei dem Gedanken ans Altern ereilt, weil erst dadurch fangen wir an die Jugend als kostbares Gut wertzuschätzen und diese Zeit zu nutzen. Man sollte aber wenn möglich vielleicht nicht gleich wieder den Fehler machen lauter hohe Ansprüche und Erwartungen an seine Jugendzeit zu entwickeln und sich dann damit abmühen allen möglichen Hirngespinsten hinterherzujagen und dabei das Wichtigste aus den Augen zu verlieren. Oder sich im Nachhinein über ungenutzte Chancen und vergangenes zu wehklagen.


    Ich habe neulich in einer Unterhaltung mit jemandem ein kleines Gedankenexperiment anregen wollen und in den Raum geworfen, dass der Slogan des WEF, welcher für so einen enormen Aufschrei gesorgt hat, gar nicht mal so unzutreffend sei, unabhängig davon wie man es nun interpretieren möchte. Ich bezog mich dabei natürlich auf diese Aussage wonach wir nichts mehr besitzen und glücklich sein würden. Ich argumentierte damit dass Glück eben nicht von äußeren Faktoren und materiellem Besitz abhängig sei und deshalb nichts und niemand außer uns selbst über unser Glück bestimmen kann, auch wenn natürlich die essentiellen Grundbedürfnisse schon irgendwo gedeckt sein sollten.

    Mir wurde dann direkt reflexartig vorgeworfen ich könne nur deshalb so denken weil ich Geld vom Staat bekomme und daher ein sorgenfreies Leben hätte. Woraufhin ich erwiderte dass doch genau das der Punkt sei, egal wie gut es einem geht und wie man lebt, es wird immer welche geben die mit blankem Horror darauf blicken und andere die es mit Neid erfüllt. Jene die sich am meisten vor dem Great Reset und Schwabs Proklamationen fürchten, denken dabei doch nicht an Obdachlosigkeit oder bittere Armut, daran nichts zu Essen zu haben und Wind und Wetter schutzlos ausgeliefert zu sein. Es geht ihnen nicht darum unter das Niveau von Sozialhilfe zu rutschen und keinen Zugang zu lebensnotwendigen Dingen mehr zu haben. Wenn sie nachts schweißgebadet aus einem ihrer Albträume erwachen, haben sie vielleicht gerade von so einem Leben mit Sozialhilfe geträumt, welches mir von meinem Bekannten zum Vorwurf gemacht wurde, weil es aus seiner Sicht zu Sorgenfrei und Gemütlich sei um diese Ängste nachvollziehen zu können.


    Wenn man meint ein Eigenheim oder ein eigenes Auto zu benötigen und im Jahr drei mal in Urlaub fliegen zu können seinen essentielle Grundvoraussetzungen um glücklich zu sein und mehr Besitz würde automatisch auch zu mehr Zufriedenheit führen, dann müsste ich ja im Umkehrschluss eigentlich Tod unglücklich sein wenn ich all diese Dinge nicht besitze und daher total unzufrieden mit meinem Leben sein. Wenn man dann noch in einem der vielen Foren mitließt in denen sich frustrierte und teils suizidale Incels austauschen und ihrer enttäuschten Verbitterung Luft machen, dann müsste ich als ewiger Single doch eigentlich genauso Verbittert sein wie sie und ohne eine Partnerin an meiner Seite ebenfalls keinen Grund zum Weiterleben mehr sehen. Allerdings bin ich alles andere als verbittert und hasserfüllt, ich würde mich als glücklich und zufrieden beschreiben und ich erfreue mich an meinem Leben zu sehr um es beenden zu wollen. Obwohl mein Leben objektiv betrachtet durchaus sehr minimalistisch, karg und ereignislos ist, sowohl was materielle Dinge betrifft, aber auch im Hinblick auf mein kaum existentes Sozialleben und in Abwesenheit jeglichem romantischen Erlebens. Auch ist mein Leben generell äußerst ereignislos und es passiert relativ wenig was nicht in ähnlicher Weise an jedem beliebigen anderen Tag auch passiert.

    Aber ich habe erkannt, dass Zufriedenheit bloß eine Frage der Perspektive ist und sich nicht zwangsläufig dieser lähmende Pessimismus breit machen muss, wenn man die Dinge ins rechte Licht rückt und sich für die kleinen Freuden des Alltags öffnet entdeckt man eine unerschütterliche Gelassenheit und eine tiefe innere Freude, welche einem immer und zu jeder Zeit offen steht. Aber es erfordert auch etwas Übung. Egal ob Alter, Armut oder soziale Isolation, die kleinen Freuden des Alltags sind immer Gegenwärtig, wenn man dem Blick für sie schärft wird es irgendwann schwer sie nicht mehr zu erkennen. Es ist wie ein Muskel den man anfangs noch mühsam trainieren muss, aber irgendwann wird es so selbstverständlich wie das Atmen. Ich glaube wenn mehr Menschen eine tiefe Ebene unbedingter Zufriedenheit erlangen würden, hätten wir viele der Probleme welche die Menschheit heute plagen gar nicht.

    ''Everyone around me, they feel connected to something. Connected to something, I'm not.''
    Motoko Kusanagi

    6 Mal editiert, zuletzt von Shinobi ()

  • Ich mach mir eigentlich nur Sorgen, dass ich eines Tages zu schlechte sehe um zocken zu können.

    Falls mir eines Tages das Altersheim droht, krieche ich entweder mit letzter Kraft zur Breitach-Klamm oder ich machs wie so ein lustiger Opa aus meiner Zivi-Zeit und erhelle mein Altersheimdasein durch das begrabschen attraktiver Altenpflegerinnen. Hmja es läuft bestimmt eher auf letzteres hinaus, ich werde die Narrenfreiheit alter Säcke in vollen Zügen auskosten :D


    Ich muss unbedingt für meine Kinder schriftlich festhalten, dass da nicht nur hässliche Betreuungspersonen arbeiten dürfen, wo sie mich später zum sterben Hinkarren.

    Gegen die Sinnlosigkeit des Lebens kommt man nicht an, aber man kann drüber lachen und dem Universum stolz den ausgestreckten Mittelfinger zeigen.

  • Ihr habt ja schon irgendwo recht, es ist immer auch eine Frage der Perspektive...

    Das Alter bringt den Menschen im Idealfall auch etwas Weisheit und eine gewisse Gelassenheit, eben nicht mehr der Schönste und Stärkste sein zu müssen und andere Dinge des Lebens mehr zu schätzen zu wissen. Es entbindet uns auch ein wenig von dem Stress, entweder im Berufsleben ständig neue Ziele erreichen zu müssen oder sich selbst zu stressen durch selbstgesetzte Ziele, bzw. indem man immer mehr anhäuft und nie genug bekommt. Auf einmal hat man viel Zeit zu reflektieren, und das tut einigen Menschen sicher auch ziemlich gut, vor allem wenn sie eben ihr Leben geistig komplett im Hamsterrad verbracht haben.

    Andererseits führt körperliche Vergreisung und die Einschränkung unserer körperlichen Möglichkeiten auch oft zu einer zusätzlichen geistigen Vergreisung, weil man keine neuen Einflüsse mehr in seinem Leben hat und schon froh ist, wenn man irgendwie den Tag übersteht ohne umzukippen. Und wenn mal die ganzen Lebensziele wegfallen, weil man weiß, es kommt nicht mehr viel, dann ist es zwar in gewisser Weise eine Befreigung, aber irgendwie auch etwas zutiefst Trauriges... das kann man sich zwar dann schönreden a la "Weisheit des Alters", aber letztlich freuen sich doch viele Alte auch nur deshalb auf den Tod und sind so gelassen, weil das Leben immer mühsamer geworden ist und einfach nicht mehr so viel Spaß macht wie früher. Und man eben, wie Shinobi schon erwähnt hat, durch das langsame Siechtum sanft daran gewöhnt wurde, und es irgendwann akzeptiert hat.

    Und natürlich wüssten wir die Jugend doch gar nicht mehr zu schätzen wenn sie kein Ende hätte, vielleicht würdest du wenn du unendlich lange Jung bleiben würdest irgendwann überhaupt nicht mehr durch den Wald spazieren wollen, weil es irgendwann Langweilig geworden ist

    Vielleicht würde ich alle 50 Jahre dann mal den Wald bzw. die komplette Umgebung wechseln wollen. Aber grundsätzlich könnte ich mir schon vorstellen, das ewig zu machen ohne dass es langweilt. Wobei "ewig" natürlich eine sehr lange Zeit sein kann. Vielleicht hat man irgendwann wirklich alles nur noch satt, vor allem wenn man dann noch die menschliche Dummheit beobachten muss, die sich nicht verändert, und man fühlt sich wirklich wie so eine alte Seele, die müde geworden ist und sich am liebsten auflösen möchte im Nirvana.

    Aber aktuell hab ich so viele Games zu zocken, ich pack das gar nicht in einem Leben alles. Und wenn man erst mal gelernt hat, sich an den kleinen Dingen des Lebens zu erfreuen, erfreut man sich daran auch hunderte oder tausende Male, ohne dass es langweilig wird.

    Ich hab jedenfalls so die Befürchtung, ich werde bei meinem Tod eher Trauer darüber verspüren, dass es noch viel zu tun und zu erleben gäbe, und weniger Freude darüber, dass es endlich vorbei ist. Da bleibt nur, sich mit der Wiedergeburt oder einem wie auch immer gearteten jenseitigen Leben zu trösten.


  • Wenn ich so darüber nachdenke hätte es halt auch noch ein ganze Reihe weiterer negativer Folgen. Wenn keiner mehr stirbt würde es irgendwann ziemlich eng auf diesem Planeten werden und die Ressourcen würden uns irgendwann ausgehen. Oder die Menschen hätten dann irgendwann weniger Interesse an Kindern, weil sie nicht mehr ihre Gene an die nächste Generation übertragen müssten um fortzuleben. Aber schön fände ich das auch nicht, so eine Welt ganz ohne Kinder welche die Welt noch mit völlig neuen Augen sehen können, weil sie nicht schon hunderte oder tausende Jahre leben und alles schon gesehen haben was es zu sehen gibt. Und irgendwie wäre es auch etwas fies sich auf diese Weise zu weigern der nächsten generation Platz zu machen, man wäre wie so ein Unternehmer einer großen Firma der sich krampfhaft an seiner Position festklammert und niemand anderen die Geschäfte übernehmen lässt. Hier ist ja auch Alter und Tod oftmals das Einzige was solchen Leuten irgendwie Einhalt gebietet und ermöglicht dass auch mal ein frischer Wind durchzieht. Einflussreiche Personen wie Kissinger oder die Queen würden niemals ein Ende finden.

    Die Superreichen würden dann in dieser unendlichen Zeit nur noch unendlich reicher werden und Monopole immer monopolistischer. Und die Angst davor dennoch bei Unfällen oder ähnlichem ums Leben zu kommen würde viele Menschen womöglich nur noch ängstlicher werden lassen. Wer erwartungsgemäß nur etwa 80 Jahre zu leben hat und einen Teil davon bekanntermaßen noch mit Alter und Krankheit zubringen muss, der klammert sich vielleicht weniger an seinem Leben fest als jemand der theoretisch auch unendlich lange bei bester Gesundheit weiterleben könnte. Aber wenn man sich aus Angst vor den Gefahren des Lebens vor ihnen versteckt hat man auch nichts von diesem langen Leben und fristet am Ende doch nur ein Dasein welches mehr dem Tod ähnelt als dem Leben.


    Mit dem Leben verhält es sich vielleicht ähnlich wie mit Geld, je mehr man davon haben kann desto mehr möchte man haben. Es ist nie genug und je mehr man hat (in dem Fall die unendliche Jugend) desto mehr fürchtet man sich davor diese doch noch zu verlieren und wird vielleicht anfangen viel vorsichtiger zu Leben. Ich denke ein einziger Moment tiefer Zufriedenheit im Hier und Jetzt, in dem kein einziger Gedanke an die Zukunft mehr bestehen bleibt, kein Gefühl der Unvollkommenheit, kein Wunsch nach immer neuen unstillbaren Befriedigungen und keine Notwendigkeit für weitere Pläne oder die Angst davor noch nicht genug gelebt zu haben, in dem es kein Müssen und kein Wollen mehr gibt, ein solcher Moment hat unvorstellbar mehr wert als ein unendliches Leben bestehend aus unstillbarem Verlangen nach weiteren Momenten.

    Ich fürchte das ist halt heute schwieriger denn je, wir haben heute mehr Auswahl als alle Generationen vor uns. Die Möglichkeiten zur Stillung unserer unstillbaren Verlangen werden nahezu Augenblicklich erfüllt und kommen quasi nie zum erliegen, eine riesige Industrie hat sich gebildet um unser nie enden wollendes Verlangen nach immer neuen Befriedigungen, Betäubungsmöglichkeiten und neuer Unterhaltung zu stillen. Ich schätze der Mann aus deinem Beispiel hatte es da noch etwas einfacher in seiner Jugend als es weniger Dinge gab mit denen man sich theoretisch hätte ewig beschäftigen können.


    Im Leben basiert einfach alles auf zyklischen Prozessen. Es ist nicht das ganze Jahr über Winter und draußen ist nicht ewig Tag sondern auch mal Nacht. Wir können auch nicht ewig Glücklich sein, um Glück als solches wahrnehmen zu können müssen wir es zunächst von etwas gegensätzlichem unterscheiden können. Wir benötigen Kontraste und Gegensätze, als zwei Seiten einer Medaille die erst im Zusammenspiel Sinn ergeben und somit ein untrennbares Ganzes bilden. Ohne heiß wüssten wir nicht was kalt bedeutet und umgekehrt. Jemand muss erst erfahren haben was Einsamkeit bedeutet um Zweisamkeit zu schätzen zu wissen oder umgekehrt auch mal die Schattenseite der Zweisamkeit erlebt haben um wieder all die Vorzüge der Einsamkeit zu bemerken. Es ist ein stetiger Wechsel der Polaritäten, bei dem alles Wandelbar ist und erst durch diesen Wandel ergibt unsere Welt überhaupt Sinn und wird für uns Erfahrbar.

    Es ist sinnvoll sich immer erst mit dem Gegenstück dessen zu versöhnen was man haben möchte. Wenn es einem gelingt Frieden zu schließen mit den unerwünschten Szenarien bekommt man das erwünschte quasi gratis dazu. Wenn man reich sein möchte, es einem aber dennoch gelingt sich auch mit dem Gedanken daran anzufreunden zu scheitern und der Reichtum womöglich immer bloß ein frommer Wunsch bleiben wird, der erhält dadurch einen ganz anderen Reichtum, nämlich den unbedingter Zufriedenheit. Wenn man sich mit dem Gedanken versöhnen kann alt zu werden und irgendwann sterben zu müssen, kann man viel mehr Lebensfreude auch im Alter noch bewahren und wird sich dabei seine Jugendlichkeit auf eine ganz andere Weise erhalten können.


    Unser menschliches streben danach die angenehmen Empfindungen ewig andauern zu lassen und stetig weiter zu mehren und alle unangenehmen Empfindungen zu meiden und dauerhaft aus unserem Leben zu tilgen, wird immer nur das genaue Gegenteil von dem erreichen was wir damit versuchen. Indem man lernt auch die unangenehmen Dinge zu akzeptieren und die angenehmen Dinge gehen zu lassen, kann man seinen Frieden mit dem unweigerlichen Lauf des Lebens machen und wahres Glück finden. Neben der bitteren Erkenntnis über die Vergänglichkeit aller schönen Momente und die Flüchtigkeit aller Dinge die wir lieben und schätzen, beinhalt dies im Umkehrschluss eben auch die Vergänglichkeit aller unangenehmen Erfahrungen, welche ebenso von beschränkter Dauer sein müssen. Alles wieder eine Frage der Perspektive und ändern wird man diese Dinge ohnehin nicht können, also wäre es halt schlauer sich irgendwo damit abzufinden. Aber natürlich kann man sich auch weiterhin darüber ärgern und sich wünschen es wäre anders, auch das ist Teil des Lebens und gehört mit dazu. Alles hat irgendwo auch seinen Nutzen, vielleicht ist es gerade die mangelnde Bereitschaft sich damit anzufreunden die es einem erlaubt, im Wissen über die Dringlichkeit des Lebens, dieses vollends auszukosten und wie zum Trotz so zu leben als würde es ewig anhalten, statt sich mit irgendeinem Gedanken an Vergänglichkeit zufrieden zu geben. Letztlich gehört auch dieses Kämpfen, sich Abmühen und Scheitern als fester Bestandteil zum Leben mit dazu, alles hat seine Zeit und seinen Platz.

    ''Everyone around me, they feel connected to something. Connected to something, I'm not.''
    Motoko Kusanagi