Überstimulierende Kinderserien

  • Kennst du Tiktok Livestreams? Quasi eine ganze Schatzkammer nur aus den hochkulturellen Erzeugnissen des 21. Jahrhunderts.

    :doofy: :doofy: :doofy: Wortlos. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie viel Geld sie von den Usern dafür kassieren. Ein Totschlaggegenbeispiel für jeden, der noch ernsthafte Hoffnung für die Gesellschaft aufbringen kann.

    Aber Grundsätzlich was da in dem Video beschrieben wird ist ja auch nichts neues. Also diese Manipulationstechniken werden ja auf Socialmedia auch schon die ganze Zeit genutzt und die haben auch ihre Studien an denen sie die Funktionsweise optimieren. Und die Algorithmen sind ja auch so konzipiert, dass eben Süchtig machende Dinge bevorzugt werden. Auch bei Youtube.

    Es sollte für niemanden eine Neuigkeit sein, dass sämtliche Social Media Plattformen, die diese Form des Konsums anbieten, mit Algorithmen arbeiten und dass auch die "Künstler" reihenweise fesselnde Schnitttechniken und den ganzen Kram implementieren, um die Konsumenten am Ball zu halten. Das sind ihre Klicks und ihr Geld. Das ist eine allgemein bekannte Tatsache und für sich schlimm genug.

    Irritierend war für mich gerade der Punkt, es so weit auf die Spitze zu treiben, dass Eltern mittlerweile akribisch genau hinschauen müssen, um ihren Nachwuchs überhaupt Kindersendungen schauen lassen zu dürfen. Eigentlich müsste man doch alleine aus "moralischen Gründen" darauf vertrauen können, dass die Sendungen, wenn sie schon keinen intellektuellen Mehrwert haben, doch wenigstens nur bekloppt und nicht gleichzeitig noch aktiv schädlich sind. Der Reibungspunkt liegt hier meines Erachtens in der Absenz der theoretischen Entscheidungsfreiheit. Ein Jugendlicher, der die sozialen Medien nutzt, könnte sich in der Theorie davon abwenden, denn er besitzt die kognitive Fähigkeit, um die Gründe gegen den Konsum über sein kurzes persönliches Vergnügen zu stellen. Anders sieht es hingegen bei Kleinkindern aus, sie müssen sich auf ihre Eltern verlassen. Ist halt wie mit Alkohol und Drogen - die Jugendlichen treiben sowieso ihr Ding, aber können ihre Grenzen theoretisch abschätzen. Wenn Eltern jedoch ihre Kleinkinder mit Drogen füttern, naja ...


    Weiterhin ist auch die Medienkompetenz unter den meisten Eltern einfach überhaupt nicht gegeben.

    Wenn man das jedoch einen Schritt weiterdenkt, dann würde die größere Medienkompetenz auch wieder auf Kosten der Kinder und ihrer Privatsphäre gehen. Strengere Kontrollen, mehr Verbote, mehr Leid durch Helikoptereltern. Das Internet wäre dann nicht mehr länger die Art von Flucht, die es für sie sein könnte. Und dann stellt euch noch vor, die Eltern sind Verschwörungstheoretiker oder sowas. ;)

    Zu viel Wissen der Eltern über ihre Kinder, welches sie nicht freiwillig preisgeben, geht nun mal immer nach hinten los.

    Die Populärkultur wurde runtergebrochen auf ein paar animalische Instinkte und Werbung.

    Das musst du näher erklären. Influencer werben ja nicht nur, sondern präsentieren sich einfach bei jedem Scheiß, oder ist mir etwas entgangen? Natürlich gibt es mittlerweile viele gesponserte Inhalte, aber Werbung ist meines Erachtens immer noch störend und ... übergriffig.


    Aber ich vermute mal, selbst dann würde ich mich für INHALTE interessieren und nicht für so einen eigentlich komplett inhaltslosen Quatsch. Meinetwegen Videos über die neuesten Games oder Filme oder sowas. Oder Videos, wo jemand über die Schule und Lehrer abkotzt oder über Jugendschutzbestimmungen und solche Dinge. Oder vielleicht noch was über Kampfsport und so. Sowas hätte mich sicher interessiert in dem Alter. Aber das scheinen ja jetzt gar nicht so die wichtigsten Themen zu sein, die sich die Jugendlichen heutzutage reinziehen. Und das ist eben das, was ich nicht ganz kapiere... was da mit den Menschen nicht stimmt, dass sie sich lieber einen inhaltlosen Quatsch reinziehen als Videos über Themen, die sie interessieren. Oder liegt es daran, dass der durchschnittliche Jugendliche heutzutage sowas wie Hobbys und spezielle Interessen gar nicht mehr hat? Kann ich mir ja eigentlich auch nicht vorstellen.

    Naja, mir kommt es so vor, als ob hier generell eine sehr klischeebehaftete Vorstellung von der Plattform vorherrscht, also hier mal eine Runde "Gen-Z-Bildung" mit Lissaminka:

    So wird es von den Pressemedien gerne präsentiert. Tanzvideos, gefährliche Trends und hirnlose Scheiße wie in den von Holzfaellen verlinkten Livestreams. Das ist nur der eine Teil des Eisbergs. In der Realität sieht das Ganze ein wenig anders aus.

    TikTok hat ganz verschiedene "Seiten". Keine Seiten in dem Sinne, dass man sie auswählt und sich auf diesen fortbewegt, sondern das funktioniert eher indirekt und wird über den Algorithmus gesteuert. Das Konzept ist ein bisschen vergleichbar mit YouTube, weil thematisch alles dabei ist, von populistischen Meinungsvideos über gut recherchierte und wissenschaftliche Beiträge bis hin zu Sport, dämlicher Unterhaltung oder einfach nur Musik. Zu jeder autistischen Interessensnische lässt sich etwas finden. Umgangssprachlich und inoffiziell geben die Communities den Seiten gerne Namen, so ist "Sadtok" zum Beispiel die Seite, auf der deprimierte User eben ihre Gedanken verarbeiten, sich darüber austauschen und sich über ihren Zustand auskotzen. Einige fängt diese Community eben auf.

    Es ist alles viel facettenreicher als man denkt und überhaupt nicht so inhaltsleer wie du denkst. Der Inhaltsleere kann man wie auf YouTube entgehen. Wer die Kriterien des Algorithmus ungefähr kennt, der steuert den Algorithmus und nutzt ihn für sich. Es hängt ganz davon ab, wie oft und wie lange man mit den Videos interagiert, wie lange man sie laufen lässt, ob man Likes oder einen Kommentar dalässt, ob man sie speichert oder teilt. Das sind Prozesse, die entweder unbewusst einfach ablaufen, oder die man bewusst einleiten kann, um die Inhalte gewissermaßen zu steuern. So kann man zum Beispiel ausschließlich Fußballvideos angezeigt bekommen, ganz wie der Typ, der neben mir im Deutschunterricht sitzt. Von wegen, Jugendliche hätten keine Interessen mehr. ;)


    Ich hab ja schon in den Anfangstagen des Forums das Ende der Kultur eingeläutet gesehen, als die Teletubbies aufkamen...

    Das macht sie nicht weniger schrecklich! Das sind wirklich widerliche und gruselige Wesen und alle Kinder, die sie wirklich gerne geschaut haben, sind heute mörderische Psychopathen und Kinderficker.

    Da gab es im Fernsehen für die Kleinsten eben Sesamstraße, die Sendung mit der Maus oder das Sandmännchen.

    He, die gab es bei mir auch noch! Damit bin ich genauso aufgewachsen (naja, bis ich die Cartoons gefunden habe).

    Bloß bei Pitti und Moppi war ich beim Sandmännchen immer enttäuscht, weil ich die im Kindergarten schon irgendwie bisschen langweilig und gruselig fand. Manche Sendungen fand ich wirklich ohne näheren Grund manchmal irrational abschreckend. Ich war aber sowieso ein komisches Kind.

    Allerdings glaube ich nicht, dass sich die Suchtgefährdung dadurch potentiell vermindert ... Was darauf ausgerichtet ist, die Aufmerksamkeit eines Kindes vollständig für sich zu beanspruchen, wird nicht weniger zu einer Gefährdung, wenn man nur langsam in das Vergnügen des Konsums einsteigt.

    Irgendwann aber habe ich SpongeBob gefunden und dann wurde täglich stundenlang nur noch dieser oder Tom & Jerry, Road Runner usw. geschaut.


    Was denkt ihr dazu? Habt ihr davon gewusst? Seht ihr das ähnlich? Na gut, ich erwarte keinen Widerspruch, aber bevor ihr schweigt, sagt doch wenigstens: "Ja, Lissaminka, du hast recht, es ist alles völlig bescheuert und wir finden es supertoll, dass du das erkannt hast und dich wichtigeren Dingen wie dem Forum hier gewidmet hast und darum vergött- äh, ja."

    Ach, schreibt einfach irgendwas für ein bisschen mehr Leben in dieser staubigen Ecke des Internets. Und nicht nur die üblichen Verdächtigen!

    Nein Lissaminka, du hast Unrecht. So schlimm wird das alles schon nicht sein, wenn der liebe Gott es zulässt.

    Pff, Ketzer!


    Funkenbrand: Und mit ADHS hat das auch nichts zu tun, das wurde ja nirgends behauptet.

  • Mein Sohn hat vll adhs, sowas ist eher angeboren.

    Gegen die Sinnlosigkeit des Lebens kommt man nicht an, aber man kann drüber lachen und dem Universum stolz den ausgestreckten Mittelfinger zeigen.

  • Lissaminka Das war auch nur mehr mein eigener Gedankengang, da es ja einige Menschen gibt, die denken, dass ADHS aufgrund externer Ursachen ausgelöst wird.




    Und bezüglich Teletubbies: Das ist jetzt nicht die intellektuell anspruchsvollste Kindersendung, aber hab jetzt auch nicht bei Kindern beobachtet, dass sie wirklichen Schaden anrichtet. Also alle Kinder, die ich kenne, welche deren Zuschauer waren, haben dennoch Sprachfähigkeiten erworben und können trotzdem denken. ^^

  • Wenn ADHS eher angeboren ist, dann verstehe ich nicht, warum das mittlerweile so viel diagnostiziert wird...

    Heißt das, es gab früher schon genauso viele Betroffene, nur hat man es eben nicht als Krankheit anerkannt, und deshalb wurde die Problematik auch nicht so wahrgenommen wie heutzutage?

    Also seht ihr keinen Zusammenhang zwischen der allgegenwärtigen Berieselung mit hektischen Inhalten und der zunehmenden Konzentrationslosigkeit und Ruhelosigkeit bei jungen Menschen?

    Da ich nicht so den direkten Vergleich habe, da ich keine Kinder in dem Alter näher kenne, kann ich auch schlecht beurteilen, ob das tatsächlich der Fall ist, dass die Kids immer zappeliger und unkonzentrierter werden, oder ob Kinder nicht vielleicht schon immer so nervig waren. :D Das könnt ihr, wenn ihr Eltern seid, vermutlich besser beurteilen.

    Eine Auswirkung, die solche bunten Videos für Kleinkinder aber definitiv haben dürften, wird wohl sein, dass junge Menschen noch früher an das Smartphone gewöhnt werden und noch abhängiger davon gemacht werden. Und die Zeit, in der sie sich irgendwas virtuelles anschauen, wird vermutlich dann fehlen, um in der realen Welt Dinge zu entdecken oder irgendwas kreatives zu machen. Also klüger werden Kinder durch das betrachten solcher Videos wohl definitiv nicht.

    TikTok hat ganz verschiedene "Seiten".

    Ich dachte immer, TIkTok wäre das, wo Videos nur 15 Sekunden lang sind... und immer, wenn ich irgendwas von TikTok sehe, sind das Teenies, die zu schlechter Musik in ihrem Kinderzimmer abtanzen oder zu singen versuchen. Oder sowas hier, LOL:

    Und daher hab ich den Sinn einer solche Seite nie verstanden und das nie näher angeschaut, da es für Videos ja schließlich Youtube gibt. Also wozu braucht man dann zusätzlich noch TikTok?

  • Wenn ADHS eher angeboren ist, dann verstehe ich nicht, warum das mittlerweile so viel diagnostiziert wird...

    Heißt das, es gab früher schon genauso viele Betroffene, nur hat man es eben nicht als Krankheit anerkannt, und deshalb wurde die Problematik auch nicht so wahrgenommen wie heutzutage?

    Also seht ihr keinen Zusammenhang zwischen der allgegenwärtigen Berieselung mit hektischen Inhalten und der zunehmenden Konzentrationslosigkeit und Ruhelosigkeit bei jungen Menschen?

    Vielleicht, weil zur genetischen Komponente nochmal die allgegenwärtige Reizüberflutung der heutigen Zeit obendrauf kommt.

    Früher wurde wahrscheinlich auch etwas "unkonventioneller" mit "unerwünschten Verhaltensweisen" umgegangen. Wenn man immer Prügel bekommen hat, vielleicht hat man gelernt, den Bewegungsdrang zeitweise zu unterdrücken oder sich massiv aus Angst dazu gezwungen, sich auf eine Sache zu konzentrieren, auch wenn es extrem viel Energie gekostet hat und früher oder später zu psychischen Problemen führt.



    Ich war als Kind/Jugendliche absoluter Stubenhocker (neben meinen einsamen Aufenthalten in der Natur) und habe mir von nachmittags bis abends allen möglichen Quatsch angeschaut. Irgendwie brauchte ich das, um die Schule und mein Wohnumfeld zu vergessen. Ich glaube, wenn diese Komponente gefehlt hätte und ich weniger Ablenkung von dem ganzen Mist meines Lebens gehabt hätte, wäre ich vermutlich irgendwann in der Psychiatrie gelandet.

    Internet/Fernsehen/zocken kann auch dabei helfen, durch Ablenkung einigermaßen mental gesund zu bleiben und sich nicht umzubringen.

  • Zitat

    Also seht ihr keinen Zusammenhang zwischen der allgegenwärtigen Berieselung mit hektischen Inhalten und der zunehmenden Konzentrationslosigkeit und Ruhelosigkeit bei jungen Menschen?

    Ich denke das schließt sich beides nicht aus. Es kann ja sowohl eine Häufung der Diagnosen bei angeborenen Formen der Aufmerksamkeitsstörungen durch das ADHS geben und zeitgleich zusätzlich auch noch eine zunehmende verringerte Aufmerksamkeitsspanne als nachträglich erworbene Aufmerksamkeitsbeeinträchtigung durch den erhöhten Konsum virtueller Medien und die damit verbundene Reizüberflutung, sowohl bei Menschen mit bereits vorhandenem ADHS als auch bei denen die ''normal'' zur Welt kamen.

    ''Everyone around me, they feel connected to something. Connected to something, I'm not.''
    Motoko Kusanagi

  • Ich dachte immer, TIkTok wäre das, wo Videos nur 15 Sekunden lang sind... und immer, wenn ich irgendwas von TikTok sehe, sind das Teenies, die zu schlechter Musik in ihrem Kinderzimmer abtanzen oder zu singen versuchen. Oder sowas hier, LOL:

    Nun habe ich ernsthaft das Undenkbare gewagt und mich mal in die abgründigsten Tiefen der menschlichen Geschichte hinabbewegt - und mir TikTok HERUNTERGELADEN! Keine Sorge, die App ist längst wieder deinstalliert, aber auf YouTube selbst bin ich wirklich nicht fündig geworden, um meine Aussagen zu beweisen und ich spüre schon langsam, wie es mein Gehirn zerfrisst und mir nachhaltige neuronale Schäden zufügt ... was man nicht alles für euch tut.

    Zum Glück musste man sich dort nicht anmelden, um Videos zu sehen oder die Suchfunktion zu benutzen, der Inhalt soll die Konsumenten schließlich sofort in den Bann ziehen und nicht erst nach nervigen Anmelde-Angelegenheiten.


    Und anschließend habe ich den Kram jetzt zusammengeschnitten und ungelistet auf YouTube hochgeladen. Für EURE Bildung! Ich denke, das ist soweit recht repräsentativ. Viel Spaß damit. :D



    Edit: Damit muss ich wohl nicht länger erklären, dass das ehemalige Limit von 15 bis 30 Sekunden inzwischen aufgehoben wurde. Mittlerweile kann man problemfrei Videos von mehreren Minuten hochladen, was uns wieder zu einem YouTube-ähnlichen Konzept führt.

  • Ok, auf TikTok gibt es Videos. Und manche gehen offenbar auch länger als 15 Sekunden. Soviel hab ich inzwischen kapiert. :D

    Aber wozu braucht man das, wo es doch längst Youtube gibt? Ich kann mir nicht so viele Gründe vorstellen, warum man eine andere Videoplattform bräuchte, außer vielleicht weil dort weniger Zensur stattfindet, oder weil man besser gefunden werden kann. Beides wird dort aber ja vermutlich auch nicht viel anders sein als auf Youtube. Also was ist der Sinn? Was macht es so speziell, dass die ganzen Kinder und Jugendlichen da so drauf abfahren? Für mich ist das immer noch wie Youtube, nur mit noch weniger geistigem Tiefgang, und dazu meistens noch mit abschreckender Musik unterlegt.

  • Ok, auf TikTok gibt es Videos. Und manche gehen offenbar auch länger als 15 Sekunden. Soviel hab ich inzwischen kapiert. :D

    Aber wozu braucht man das, wo es doch längst Youtube gibt? Ich kann mir nicht so viele Gründe vorstellen, warum man eine andere Videoplattform bräuchte, außer vielleicht weil dort weniger Zensur stattfindet, oder weil man besser gefunden werden kann. Beides wird dort aber ja vermutlich auch nicht viel anders sein als auf Youtube. Also was ist der Sinn? Was macht es so speziell, dass die ganzen Kinder und Jugendlichen da so drauf abfahren? Für mich ist das immer noch wie Youtube, nur mit noch weniger geistigem Tiefgang, und dazu meistens noch mit abschreckender Musik unterlegt.

    Nun, da fließen alle möglichen Phänomene mit ein.

    Wenn du dir auf YouTube ein Video anschauen willst, vergleichst du die Videoüberschriften und Thumbnails. Es ist zwar nicht sonderlich schwer für die Creator, dich zu überzeugen (oder zumindest von irgendeinem Video überzeugt zu werden), aber es ist doch immerhin etwas, wofür du zunächst selbst aktiv werden, innerlich filtern und dich schließlich entscheiden musst. Auf TikTok entfällt dieser Prozess, es gibt keinen Entscheidungpunkt - die Plattform zwingt dir den Inhalt sofort aggressiv auf, sobald du die App öffnest. Nach wenigen Konsum-Sitzungen sind es auch schon keine beliebigen Videos mehr, sondern das, wovon TikTok glaubt, dass es dir gefallen wird (der Algorithmus wird dich in Teilen besser kennen als du selbst). Das ist gewiss nicht weit von der Realität entfernt und es macht dabei keinen Unterschied, ob du den Algorithmus oder dieser dich gesteuert hat - am Ende sitzt er am längeren Hebel, solange du der Konsument bist.

    Und es ist keineswegs mit einem negativen Empfinden verbunden - ganz im Gegenteil, denn es setzt ja der Belohnungseffekt im Gehirn ein, gleich beim ersten Video, sobald du die App öffnest. Ratten drücken eine Taste für den Dopamin-Kick, Menschen müssen dafür nur diese App öffnen. Die nächste Komponente ist die praktische Unendlichkeit der Inhalte, also viel mehr davon als eine Person sich am Stück überhaupt reinziehen sollte. Es gibt keine Pause, nichts, das deinen Konsum unterbricht oder dich auch nur einen Moment lang davon abhält, zum nächsten Video zu wischen, während eine Stunde nach der nächsten unbemerkt verstreicht.

    Aus der Perspektive des durchschnittlichen Menschen hat TikTok ja Videos zu bieten, die ihn unterhalten, ihm etwas Neues beibringen oder halt irgendwelche attraktiven Leute zeigt, die sie vergöttern, weil sie aussehen wollen wie sie und all der idiotische Vorbildermist. Nun, wenn dir TikTok jetzt ein Video vorzeigt, dann wird es dir entweder mehr oder weniger gefallen, und dementsprechend wird sich danach die Menge des ausgeschütteten Dopamins richten. Manchmal zeigt dir der Algorithmus ein völlig anderes Video an, um mal auszutesten, ob es dir gefällt, und wenn es das nicht tut, dann ist das ein weniger belohnendes Erlebnis. Das Interessante daran ist, dass gerade diese Videos zwischendurch, für die du dich eigentlich nicht sonderlich interessierst, den eigentlichen Kern oder Schlüssel des abhängig machenden Konzepts bilden. Das liegt daran, dass unerwartete Belohnungen stärker auf dich wirken und mehr Dopamin ausschütten als erwartete Belohnungen, und du eben grundlegend nicht weißt, was dich beim nächsten Video erwartet. Gut vergleichbar mit dem Hebel beim Spielautomaten, bei dem du nicht weißt, ob du als nächstes gut gewinnen oder verlieren wirst und wo die einzige Methode, das herauszufinden, ist, weiterhin den Hebel zu betätigen.

    Auf TikTok funktioniert das übers Wischen. Und das ist schon wieder der nächste Punkt, wenn man einen genaueren Blick in die Erkenntnisse der Gewohnheiten in der Psychologie wirft. Es gibt Unterschiede, wie lange oder wie oft man ein bestimmtes Verhalten wiederholen muss, bis man sich daraus einen Automatismus, eine feste Gewohnheit, erarbeitet. Wenn man regelmäßig anfangen möchte, zu trainieren und Muskeln aufzubauen, ist das wesentlich komplexer, eine Gewohnheit draus zu machen als eine leichte Wischbewegung, die man ungestört in jeder Ecke des Smartphone-Bildschirms und in jede Richtung ausführen kann. Einfacher kann es nicht sein, das wird innerhalb weniger Wiederholungen zu einem vollständig automatisierten Verhalten, über das man überhaupt nicht mehr nachzudenken braucht. Leicht umzusetzen ist das auch aufgrund der kurzen Videolänge ... denn mal ehrlich, auch wenn inzwischen mehrere Minuten am Stück möglich sind, so ist das immer noch bei Weitem nicht in jedem Video der Fall und insgesamt auch immer noch deutlich kürzer als auf YouTube.

    Wir haben zusammenfasst also eine einfache Bewegung, die regelmäßig wiederholt wird und für unterschiedlich große Belohnungen sorgt. Das ist die perfekte Grundlage, um eine Abhängigkeit zu entwickeln, und das alles im unbegrenzten Endlosmodus.


    Das erklärt doch bereits sehr genau den ganzen Erfolg dieser App. Weniger Zensur findet ebenfalls statt, wie du erwähnt hast, und den Rest verursacht der Herdentrieb. Jetzt, wo TikTok ohnehin schon den Ruf der Jugendapp hat, ist das ein sich selbst verstärkender Prozess, weil schließlich mehr als genügend Inhalte von Jugendlichen für Jugendliche erstellt wurden ... Wenn es sich erst mal eingebürgert hat als etwas, das die Jugend heutzutage nun mal für sich okkupiert hat, kriegst du das mit keinem Mittel mehr raus.


    *gähn*, mit China und dem Datenklau mache ich ein anderes Mal weiter ...

  • Hab Dank für diesen ausführlichen Einblick in die Niederungen des Internets!

    Mich würde das schon allein deshalb nicht ansprechen, weil ich gar keinen Bock habe, mich mit für mich ausgewählten, zufälligen Inhalten berieseln zu lassen. Wenn ich etwas anschauen will, weiß ich normalerweise sehr genau, was ich will, und suche dann in der Regel ganz bewusst danach. Ok, ich gebe zu, um z.B. neue Musik zu entdecken (oder interessante Youtuber, die man noch nicht kennt), ist so ein Algorithmus, der einem Sachen empfiehlt, schon sinnvoll. Aber auch da habe ich gern erstmal schön aufgelistet, wie der Name der Band heißt und wie die aussehen, im Idealfall noch, aus welchem Jahr der Song ist... und daraufhin treffe ich dann meine Entscheidung, ob mich das interessiert oder nicht. Die Vorstellung, dass das Video einfach ungefragt zu laufen beginnt und ich dann von 20 Videos 19 wegklicken muss, weil ich die Band schon kenne oder mich das gerade nicht interessiert, ist mir irgendwie zuwider und entspricht einfach nicht meinen Sehgewohnheiten. Es erschiene mir wie total vergeudete Lebenszeit.

    Aber vielleicht ist es auch ein bisschen eine Generationenfrage, und TikTok spricht mit der Art, wie es funktioniert, eben so ein bisschen die Neugier oder schnelle Begeisterungsfähigkeit junger Menschen an... vor allem von jenen, die eigentlich eh keinen Plan haben und gar nicht wissen, was sie sich anschauen wollen, und die sich dafür begeistern können, irgendwelche random Menschen irgendwelche krassen Dinge tun zu sehen.

    Man sieht ja, zweijährigen Kinder und Babys muss man nur irgendwas schön Buntes hinhalten, das sich bewegt, dann fangen die vor Begeisterung zu glucksen an. Bei vielen Fünfzehnjährigen ist es vermutlich immer noch so. :D Ich bin halt einfach zu alt für den Scheiß.