Alles anzeigenAber die Stigmatisierung von Menschen aufgrund wahrgenommener Merkmale - und genau das hat auch Merz getan - schlägt eben in eine andere, deutlich rassistische Kerbe.
Ich habe die Äußerungen von Merz nicht so aufgefasst, dass er ein Problem damit hat, dass es viele Menschen mit unterschiedlichen Hautfarben in den Städten gibt, sondern dass sich da viel Gesindel rumtreibt. Ersteres wäre in meine Augen Rassismus. Aber wenn ich nachts durch die Stadt gehe und da sehe, dass es viele laute, pöbelnde oder aggressiv bettelnde Leute gibt, und objektiv feststelle, dass die wenigsten davon deutsch aussehen, dann ist das erst mal einfach nur eine Feststellung. Ebenso wie es eine meiner Meinung nach recht objektive Feststellung ist, dass sich etwas geändert hat gegenüber wie es vor zwanzig Jahren war.
Auch damals gab es nachts natürlich schon zwielichtige Gestalten, aber zumindest bei meinen letzten paar Besuchen in Stuttgart hatte ich das Gefühl, dass die Qualität und Quantität in den letzten paar Jahren zugenommen hat.
Und das sind halt Beobachtungen, die ich mit vielen Menschen teile... auch wenn ich dann nicht deren Lösung teile, deshalb die AfD oder CDU zu wählen.
Natürlich kann man sagen: So lang sie mich nicht überfallen, was kümmert es mich dann, wenn die sich asozial verhalten und sich irgendwelche Zigeunergruppen gegenseitig anschreien oder sowas?
Aber ich sag mal so: Wenn du irgendwo in Ostdeutschland durch eine Kleinstadt gehst und da einige Gruppen junger Männer mit Glatzen und Springerstiefeln rumstehen siehst, wird dein erster Reflex auch nicht sein, zu denken: "Ach, das sind sicher ganz nette, unpolitische Oi-Skins, und so lang sie mich nicht überfallen, ist ja alles ok und die dürfen sich hier gern selbstverwirklichen." Du wirst dann auch eher sowas denken wie: "Das wird auch immer schlimmer hier."
Man kann eben schon bis zu einem gewissen Grad vom Aussehen und Verhalten von Leuten auf deren Charakter und Weltbild schließen. Und wenn man dann zu viele Menschen sieht, die so wirken, als ob sie nicht gerade besonders kultiviert oder intelligent sind, dann kann einem schon mal das Gefühl überkommen, dass es mit der Gesellschaft den Bach runtergeht. Und das hat weniger mit der Hautfarbe zu tun, sondern mit der Art des Auftretens dieser Leute, das einfach oft asozial und übertrieben männlich-dominant wirkt.
Nochmal: Merz hatte genug Gelegenheit, sehr klar und differenziert zu beschreiben, worin sein Problem besteht, anstatt vom 'Stadtbild' zu faseln. Es ist vollkommen klar, dass sich viele Menschen genau von dieser Form des Artikulierens diffuser Bauchgefühle und 'Überfremdungsängste' bedroht fühlen - gerade vor dem Hintergrund der politischen Entwicklungen. Insofern sollten diejenigen, die auf ihre eigenen Ängste verweisen, im selben Atemzug nicht ignorieren, dass es eben verschiedene Perspektiven in Bezug auf Bedrohungslagen gibt.
Und ich mache mal ein sehr großes Fragezeichen hinter die Behauptung, dass jemand wie Merz, du oder die Masse an besorgten Bürgern tatsächlich zwischen potenziell gewalttätigen bzw bedrohlichen Individuen und irgendwelchen migrantisch gelesenen Menschen zu unterscheiden weiß bzw unterscheiden will. Auch den Aufenthaltsstatus wird Herr Merz den Menschen nicht an der Nasenspitze ansehen.
Man kann sehr konkret bestimmte Dinge problematisieren - z.B. bestimmte Formen organisierter Kriminalität - ohne mit diffuser Zuschreibung von Merkmalen zu arbeiten. Und wenn man 'seine Töchter' schützen will, gibt es zielführendere Stellschrauben als vom 'Stadtbild' zu labern.
Aggressiv auftretende Männergruppen kann man natürlich immer problematisieren. Die Auffassung, dass diese größtenteils 'nicht deutsch' aussehen, kann ich wiederum nicht nachvollziehen. Das ist halt rassistisch konnotierte selektive Wahrnehmung. Ich kann zu bestimmten Uhrzeiten und nach jedem Fußballspiel solche Gruppen ausmachen, um die man vielleicht besser einen Bogen macht. Dass dieses grundlegende Problem patriarchaler Dominanzvorstellungen durch neu zugewanderte Jungmänner nicht besser wird, ist auch klar. Aber wenn ich das angehen will, brauch ich ein generelles Umdenken. Da reicht dann halt 'protect your Daughters' nicht aus, sondern man braucht auch ein 'educate your sons'.