Weihnachtsgedanken

    • Offizieller Beitrag

    Und schon wieder ist ein Jahr vegangen....


    Bin gestern Nacht besoffen durch die Stadt geirrt und und habe beschlossen, einmal etwas richtig Verrücktes zu tun, was ich schon immer einmal machen wollte:
    Ich habe eine Kirche betreten! Und den Gottesdienst besucht!!! =O
    Und da mich dieses religiöse Erweckungs-Erlebnis tief bewegt hat, will ich euch meine Erfahrungen an dieser Stelle natürlich nicht vorenthalten.


    Alles begann damit, dass ich in der bis auf den letzten Platz gefüllten Kirche (wegen mir ist vermutlich irgendein echter Gläubiger draußen vor der Tür erfroren) mit ein paar hundert anderen Menschen an den Bänken saß und wartete, dass endlich etwas passierte. Das erste, was mich fasziniert hat: Anders als neulich bei "Star Wars" im Kino warteten die Menschen LEISE. Kein Popcorn-Geraschel, kein ständiges Gemurmel und störendes Geknister von allen Seiten... Es geht doch! Und ich frage mich: Warum können die Viecher nicht immer so respektvoll sein?
    Anscheinend muss ihnen eine Sache wohl nur genug bedeuten, damit sie still und andächtig warten können. Auf "Star Wars" traf dies offensichtlich nicht zu, auch wenn ich im Nachhinein sagen muss, das "Star Wars" die coolere Story hat und auch den besseren Soundtrack im Vergleich zur Jesus-Geschichte. Aber dazu später mehr.


    Zunächst warteten wir also eine Viertelstunde, begleitet von einlullender Schnarchmusik. (Es fehlten sowohl Gitarre als auch Synthesizer. Genaugenommen fehlte jegliches elektronisches Element)
    Irgendwann kam dann ein Priester mit Umhang, gefolgt von einem Haufen Kinder und Jugendlichen in komischen Klamotten, die ein Kreuz vor sich hertrugen. Und der Typ sang irgendwas, so wie man es von irgendwelchen Mönchen kennt. Da dämmerte mir, dass ich wohl bei den Katholiken gelandet war.
    Der Gesang war gar nicht schlecht. Ein bisschen monoton. Betrunken wie ich war, konnte ich mir das prima als EBM-Song vorstellen. Fehlte halt nur noch der Beat und ein guter Bass... und eigentlich alles andere.
    Aber der Priester hatte irgendwas. Da der Kirche ja die deutschen Angestellten ausgehen, müssen sie anscheinend inzwischen welche aus dem gläubigeren Ausland importieren... so dass es auch kein Wunder war, dass der Typ mit polnischem Dialekt sprach. Hat mich ein bisschen an Johannes Paul II. erinnert. Das fand ich schon ziemlich cool, dass ich nicht einfach irgendeinen Gottesdienst besucht habe, sondern gleich den ehemaligen Papst persönlich kennenlernen durfte. :D


    Das, was er der Kirchengemeinde erzählt hat, war aber ziemlich unspektakulär und vorhersehbar. Jeder, der schonmal eine Bibelverfilmung im Fernsehen gesehen oder "Bible Games" auf dem NES gezockt hat, wusste, was passieren würde. Volkszählung... bla bla... Stall... bla bla... Kind geboren... bla bla... Hirten kommen... bla bla... Engel... bla bla... heller Stern am Himmel... bla bla...
    Im Grunde ist es immer die selbe Geschichte, seit 2000 Jahren. Wie man sich dafür so faszinieren kann, dass man sie sich immer wieder erzählt, wird mir wohl auf ewig ein Rätsel bleiben. Denn so spektakulär ist das nicht. Da fand ich die griechischen Götter schon irgendwie beeindruckender, die sich auch mal als Schwan verkleiden, um eine Jungfrau zu schwängern.


    Nachdem der Priester dann also ein bisschen was erzählt hat, was eh schon alle wussten, standen die Menschen wie ferngesteuert auf (ich auch), und es wurde gebetet. Dann alle wieder setzen, dann folgte ein Lied. Dann alle wieder aufstehen. Wieder beten. Dann nochmal hinhocken und nochmal ein paar Zeilen aus der Bibel lauschen.
    So ging es eine ganze Weile hin und her... und zu meinem Frust verflog allmählich die Wirkung des Alkohols, und ich wurde nüchterner und begann, nachzudenken, was ich hier eigentlich tat.
    Erst jetzt realisierte ich auch, dass die Heizung kaputt war (oder vielleicht auch gar nicht existierte). Es wurde kalt. Man konnte meinen alkoholisierten Atem in der Luft gefrieren sehen.


    Aber es gab Hoffnung! Der Priester erzählte irgendetwas davon, dass wir Gläubigen den Leib unseres Heilands verspeisen sollen, weil er uns das damals anscheinend angeboten hat. Und wir sollten sein Blut trinken.
    Wow. Für einen alten Vampir wie mich war das natürlich eine herzerwärmende Vorstellung.
    Und dann fiel es mir wieder ein: Blut = Wein!!! Hab ich mal irgendwo gehört...
    Yipppieyy!!!! Ich werde also gleich wieder was zum Saufen bekommen, um mich aufzuwärmen. Aber zuerstmal verließen alle Gläubigen ihre Plätze, um nach vorne zu gehen und sich den Leib Christi abzuholen. Ich reihte mich also brav ein, öffnete meinen Mund, und eine Frau legte mir eine dieser runden Plätzchen hinein. Geschmacklich war es wie erwartet keine Offenbarung. Erinnerte mich an die essbaren Papp-Verpackungen, die es bei McDonalds früher gab. (Also eher geschmacksneutral, aber bisschen besser als die Pommes.)


    Aber egal... es würde ja schließlich gleich Wein geben zum Herunterspülen, und...
    Doch oh weh... es gab keinen Wein! Der Polackenpriester goss sich zweimal irgendetwas leckeres in seinen Kelch und trank es selber aus! Aber die durstigen Gläubigen bekamen nix. :(
    Schade. Dann wieder aufstehen, beten, hinsetzen, singen, zuhören.
    Irgendwann sollte man noch etwas Spenden für die Armen in der Dritten Welt, und es wurden mehrere Schalen zum Geldsammeln durch die Reihen gereicht.
    Zum Glück fand ich noch rechtzeitig ein 2 Cent-Stück in meinem Geldbeutel, um vor meinen Nebensitzern nicht wie ein totales herzloses Arschloch rüberzukommen. Dann war die Schale auch schon bei mir angekommen, und ich stellte ungläubig fest, dass da kaum Münzen drinlagen, sondern fast nur Scheine!
    Ich saß also da im Halbdunkeln mit dieser Schale in den Händen, die vollgefüllt war mir lauter 10- und 20 Euro Scheinen. Ich schielte angespannt nach links und nach rechts. Beobachtete mich jemand? Es wäre die Chance gewesen, die klamme Weihnachtskasse ein bisschen aufzufüllen. Aber letztlich siegte der Engel auf meiner linken Schulter über den Teufel auf der rechten, und ich legte nur artig meine 2 Cent dazu und reichte die Schale an meinen Nächsten weiter. Trotzdem, eins weiß ich jetzt: Wenn ihr mal dringend Geld braucht, Leute... geht an Weihnachten in die Kirche! Mit ein bisschen Geschick sollten hundert oder zweihundert Euro locker drin sein.


    Danach passierte nicht mehr viel.
    Der Priester dankte seinen Lakaien, wünschte der Gemeinde ein gesegnetes Weihnachtsfest, und dann gingen alle recht unspektakulär auseinander. Johannes Paul II. stellte sich noch an den Eingang um Autogramme zu verteilen, und ich habe mir die Chance nicht nehmen lassen, zumindest einmal kurz seine Hand zu berühren und seinen Segen zu empfangen.
    Draußen war es kalt, und der Alkohol war inzwischen auch komplett verflogen. Nur ziemlich müde war ich geworden.
    Ein Blick auf die Uhr zeigte mir, dass das ganze Martyrium fast anderthalb Stunden gedauert hat. Anderthalb Stunden meines Lebens, die mal eine amüsante Abwechslung waren, aber mich auf geistiger, spiritueller Ebene wie erwartet natürlich null weitergebracht haben.
    Dazu war die Geschichte zu vorhersehbar, die Texte zu altmodisch... und überhaupt.... alles dreht sich immer nur um diesen Jesus, der halt geboren ist und ein paar nette Dinge gemacht hat und dann irgendwann wieder gestorben ist und zum Zombie wurde und zurückkam, um sich zu rächen... äh nein, eigentlich kam er ja nur zurück, um seinen Fans zu sagen, dass er dann mal wieder weg ist. doofy
    Alles sehr dubios.
    Und, um auf "Star Wars" zurückzukommen:


    Disney hin oder her... schlechte CGI-Effekte hin oder her... Yodas Worte an Luke fand ich dann irgendwie doch spiritueller, wahrhaftiger und tiefsinniger als alles, was ich gestern Nacht in dieser Kirche vernommen habe. Und wenn ich eine Wahl treffen müsste: Nehme ich den Jedi-Glauben an oder den Katholizismus... ich wüsste, wie ich mich entscheiden würde. Um so merkwürdiger finde ich es, dass sich trotz allem der christliche Glaube durchgesetzt hat und so lange halten konnte... weil so toll ist die Story und die darin enthaltenen Weisheiten echt nicht. Da gibt es weitaus besseres auf dem Markt.
    Aber es geht wohl auch mehr um das Gemeinschaftserlebnis. Um die naive, kindliche Freude an bunt funkelnden Lichtern. Und um den seligmachenden Duft des Weihrauchs.
    Vielleicht schaue ich nächstes Jahr mal bei den Zeugen Jehovas vorbei. lol

  • Als ich den ersten Absatz gelesen hatte, habe ich mir schon Sorgen gemacht. :D


    Bei den Zeugen Jehovas ist es bestimmt auch ganz lustig. Was machen Scientologen eigentlich an Weihnachten? Bestimmt Dianetik ^^ Wobei es mir dort ein wenig zu gruselig wäre.
    Die Zegg- Kommune wäre bestimmt noch ein tolles Ausflugsziel, um strange Erfahrungen zu sammeln. :D

  • Bei den Zeugen Jehovas gibt´s kein Weihnachten. Die Begründung dafür ist erwartungsgemäß bedarfsorientiert inkonsequent.


    So wird angeführt, dass das genaue Geburtsdatum von Jesus unbekannt wäre, während bei anderen Ungenauigkeiten, wie der Aussprache von יהוה großzügig über Fehler hinweg gesehen wird, falls man die etablierte Form "Jehova" anzweifeln sollte.


    Und natürlich ist Weihnachten ein christianisiertes heidnisches Fest. In der Bibel hätte sowieso niemand Geburtstag gefeiert, außer ein paar Heiden, und selbst wenn man das nur als weltliches Konsumfest feiert, solle man doch gefälligst die bösen Wurzeln bedenken.
    Dass die Zeugen Jehovas ganz selbstverständlich die von Heiden erfundene lateinische Schrift nutzen, und sogar das Internet, das militärische Ursprünge hat, ist natürlich was gaaanz anderes.

    • Offizieller Beitrag

    Das erinnert mich an mein Weihnachten von 2016. Allerdings war ich da nicht betrunken, sondern hatte einen miesen Kater, denn eine meiner Lieblings-weihnachtstraditionen ist das jährliche Besäufnis mit Freunden am 23.12. (was wir aus unbekannten Gründen "Leif-Erikson-Tag" nennen; der ist eigentlich am 09.10.). Glücklicherweise war das aber in einem evangelischem Gotteshaus, also nur ein, zwei Mal aufstehen. Die Geschichte ist allerdings dieselbe.
    Die Weihnachtsgeschichte, wie wir sie heute kennen, ist aber nicht 2.000 Jahre alt, sondern etwa 1.400. Das Christentum hat ja erstmal knapp 400 Jahre gebraucht, um Staatsreligion zu werden und viele Details, zum Beispiel bei den Heiligen Drei Königen, hat man sich erst nach und nach ausgedacht. Wenn man mal einen Blick in die Bibel wirft (Matthäus-Evangelium, Kapitel 2), findet man dort nur "Magier" oder "Sterndeuter" (was das gleiche meint, denn das griechische magoi bedeutet Astronom/Sternkundiger), aber keine Namen. Nicht mal eine Zahl wird genannt; man kann eigentlich nur davon ausgehen, dass es Männer waren. Wahrscheinlich kommt die Zahl von den drei damals bekannten Kontinenten: Europa, Asien, Afrika - wegen letzterem wird häufig einer der drei "Könige" als Farbiger dargestellt. Und Heiligsprechungen gab es auch erst viele Jahre nach Jesus.


    Oblaten gabs zum Glück bei mir nicht, da hätte mein Magen eh nicht mitgemacht. Aber deine Geschichte erinnert mich an Sketch History:


    Was ist rund und schmeckt nach Nichts? Die Oblaaaaten! :D

    • Offizieller Beitrag

    So wird angeführt, dass das genaue Geburtsdatum von Jesus unbekannt wäre

    Wen interessieren auch Geburtstage??? Hauptsache, man weiß den genauen Termin, an dem die Welt untergeht! :D
    Aber hatte ich mir fast schon gedacht, dass Jehovas Spaßbremsen nichts von Weihnachten und Geschenken und sowas halten. Ist ja alles viel zu, ähm, menschlich... da könnte theoretisch Lebensfreude aufkommen.
    Was soll's. Dann gehe ich eben nächstes Jahr zur Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage.

  • Na ja, seitdem ich mir zu Weihnachten bei Calgmoth die ersten zehn Minuten des Martin-Luther-Musicals geben musste, sehe ich das dröge Wiederkäuen der harmlosen Weihnachtsgeschichte und andere Märchenstunden halb so kritisch ;)