Heißer Herbst

  • Ist bei euch schon was davon zu merken?

    Bei uns schon, nur leider aus der anderen Richtung.

    Versinkt ihr angesichts der politischen Lage in Pessimismus oder seht ihr sie auch als Chance?

    Ich versuch immer nicht allzu pessimistisch zu werden.

  • Ich beobachte gerade nur mehr oder weniger interessiert, wohin das alles führen wird. Ich vermag es selber nicht zu sagen, und gönne mir einfach mal den Luxus, mich einer Meinung über die Tagespolitik zu enthalten.

    Ich finde, dass Putins System unbedingt zerschlagen werden sollte, als Warnung für alle zukünftigen Faschisten.

    Dummerweise ist die Hälfte der Staaten auf der Erde so, wenn nicht noch mehr. Und man müsste konsequenterweise sie alle mit Sanktionen belegen, diese ganzen Saudis und Ölprinzen, diese ganzen Dschungeldespoten in Afrika und diese gleichgeschalteten unterdrückerischen Chinesen sowieso.

    Aber schon wenn Europa so halbherzig gegen Russland vorgeht, sieht man ja bereits, wie die Preise steigen und alles immer teurer wird. Ich fürchte, wenn wir konsequent alles dreckige, unmoralische Geld ablehnen, auf ein ethisches ökologisches Wirtschaften achten und mit Faschisten nicht mehr handeln würden, wäre bald alles zwanzig Mal so teuer. Und viele haben ja jetzt schon die Schnauze voll, bzw. viele frieren ja jetzt bereits, weil sie kein Geld für die Heizung mehr haben.

    Einmal mehr zeigt das alles, wie sehr in einer globalisierten Welt alles mit jedem zusammenhängt, und wie es nahezu unmöglich ist, wahrhaft gerecht und idealistisch zu sein, weil dann die Gerechten und die Idealisten die Ersten sein werden, die verhungern oder erfrieren oder schlicht überrannt werden, weil andere ihre "Schwäche" ausnutzen und davon profitieren werden. Und irgendjemand wird es immer ausnutzen, so lange es keinen weltweiten Systemwechsel und einen geistigen Evolutionssprung der Menschheit gibt.


    Also ich sehe keine Lösung momentan, und will mich auch nicht einreihen in das Heer derjenigen, die fanatisch davon überzeugt sind, durch das Betrachten von ein paar Youtube-Videos die Weltformel gefunden zu haben und nun alle anderen Menschen missionieren zu müssen.

    Links und rechts kotzen mich nur noch an, und die Mitte sowieso. Und so schaue ich ihnen mit möglichst viel Abstand zu... beobachte, was passiert... und beschäftige mich ansonsten mit völlig anderen Dingen. Mit Menschen, die mir wichtig sind, und mit dem Erlangen von innerem Frieden. Das ist das Beste, was man tun kann in Zeiten wie diesen.

  • Zum Thema Krieg habe ich eine ziemlich kontroverse Meinung. Ich sehe nur Imperien, die sich gegenüberstehen und für mich ist keines wirklich besser als das andere.


    Zur aktuellen politischen Lage: Ich bin da schon auf jeden Fall mehr auf der linken Seite, weil ich auf Zwangsarbeit usw. null Bock habe und auch nicht möchte, dass die letzten Freiräume auch noch genommen werden. Da bin ich wohl ziemlich egoistisch.


    Missionieren würd ichs jetzt nicht nennen, aber mir ist wichtig, dass die Leute wissen, dass es auch andere Blickpunkte gibt und nicht nur das, was die Mehrheit der Leute sagen. Ich sehe zwar, dass die Leute andere Positionen nicht unbedingt mögen, aber ich wills zumindest gesagt haben. Ist mehr so eine Gewissenssache.


    Zum Thema Globalisierung, da kommts auch drauf an, was man draus macht. So wie es jetzt läuft, ist es natürlich scheiße und meiner Meinung nach nicht erstrebenswert und würde selbstverständlich auch anders gehen. Der Kapitalismus ist nicht unumwindbar und auch nicht das Nonplusultra. Aber ich glaube, viele Menschen resignieren ob der täglich neuen Hiobsbotschaften und genau das ist es ja, was erreicht werden soll.

    Man soll sich fühlen, als sei man David gegen Goliath. Aber zum Glück hat David nicht schon vorher resigniert. Denn dann kann man ja nur verlieren.


    Ich erinnere mich immer an die Chaostheorie. Der Flügelschlag eines Schmetterlings kann die Welt verändern. Also versuche ich bisschen Wind zu machen mit den kleinen Sachen, die mir zur Verfügung stehen.

    Und wenn es nicht klappt, so weiß ich auch, dass ich nicht Gott oder das Spaghettimonster bin und das es dann eben nicht so sein sollte. Aber probiert hab ichs zumindest.


    Auf privater Ebene gibts bei mir zum Glück nicht mehr allzu viel Stress. Hab mich von Menschen gelöst, die mir nicht gut tun und verbringe Zeit mit Menschen, bei denen das anders ist. Zusätzlich versuch ich natürlich auch meine eigenen Fehler auszubügeln. Aber alles in allem könnte es wesentlich schlechter laufen.

  • Ist bei euch schon was davon zu merken?

    Bei uns schon, nur leider aus der anderen Richtung.

    Versinkt ihr angesichts der politischen Lage in Pessimismus oder seht ihr sie auch als Chance?

    Ich versuch immer nicht allzu pessimistisch zu werden.


    'Heißer Herbst' klingt wie ein Demo- bzw Kampagnen-Slogan (bzw. wurde sogar schon in der Vergangenheit verwendet) und in diesem Kontext sehe bzw. erwarte ich nichts sonderlich Tiefgreifendes im Sinne einer politischen Umwälzung.

    Die bisherigen 'Spaziergänge' wirken auf mich noch diffuser und beliebiger als im Kontext der Corona-Politik, dementsprechend wird es umso leichter sein, sie von politischer Seite aus zu ignorieren.

    Nein, ich sehe keine Chance, ich habe schon im Falle der Pandemie nicht verstanden, wie zu Beginn manche von einer 'Hoffnung auf Veränderung' fabuliert haben. Krisen können auf lange Sicht gesehen zu progressiven Veränderungen führen, aber für die Menschen, die kurz- bis mittelfristig drinstecken, ist es erstmal scheiße.

    'Pessimismus' muss man heutzutage eigentlich mit 'Realismus' übersetzen. Anders gesagt, was konkret sollte sich gesellschaftlich bzw politisch zum Besseren entwickeln? Wir können zunächst sehr froh sein, wenn die großen Katastrophen ausbleiben. Allerdings hat das Leben so oder so großes Katastrophenpotenzial, insofern würde ich mich hiervon auch nicht sonderlich verunsichern lassen.

  • Lonewolf Hab mich für diesen Titel entschieden, weil die Medien es so nennen und die Rechten gerade in Hinblick auf die Geschichte kokettieren.


    Zum Thema Realismus: Manchmal kann auch Unmögliches real sein. Kann man z. B. in der Natur beachten. Gegenseitige Hilfe praktizieren sogar Bäume. Vielleicht kommt der Mensch ja auch irgendwann mal drauf, wenn er dann noch existiert.


    Ich sehe bei rechtsgesinnten Demos dieser Art doch eine Gefahr, weil sie, wenn auch diffus, aussprechen, was viele gerade denken und diese politisieren sich dabei oder zeigen ihre Einstellung jetzt öffentlich. Ich denke schon, dass da die eine oder andere Hemmung wegfällt.

  • Ich sehe bei rechtsgesinnten Demos dieser Art doch eine Gefahr, weil sie, wenn auch diffus, aussprechen, was viele gerade denken und diese politisieren sich dabei oder zeigen ihre Einstellung jetzt öffentlich. Ich denke schon, dass da die eine oder andere Hemmung wegfällt.

    Tendenziell gibt es mehr Ansatzpunkte für linke Konzepte als noch bei der Corona--Sache, und anscheinend profitiert ja neben der AFD auch mal wieder die Linke. Ob man es dann als progressiv ansieht, wenn Anti-NATO-Rhetorik, Apeasement-Politik und (Lumpen-)Pazifismus gepaart mit sozialstaatlichem Populismus zusammenkommen, ist eine andere Sache. So oder so sollte man nicht denselben Fehler nochmal machen und sich wieder primär darauf fokussieren, rechtsoffene Spaziergänge zu blockieren. Auch wenn es mir in dem Fall persönlich eher zusagen würde, der Friedensquerfront den Tag zu vermiesen, statt Querdenkern (auch wenn es teils wieder dieselben Personen sind).

  • Ich weiß nicht... mir fällt zu dieser Menschheit einfach nichts mehr ein.

    80.000 Menschen demonstrieren in Berlin gegen die bösen Mullahs im Iran, was die sicher total schockiert und wahnsinnig viel bringt... und was ja auch total viel Mut erfordert, in Berlin gegen das Terror-Regime in Teheran auf die Straße zu gehen...

    Doch für soziale Gerechtigkeit hier in Deutschland bringen die Linken dann maximal 20.000 auf die Straße. Und man hat den Eindruck, dass es einfach keine Sau interessiert. Aber klar, da waren ja auch die Rechten unerwünscht. Sonst wären vielleicht 30.000 gekommen. :sleep::=:!

  • Ich weiß nicht... mir fällt zu dieser Menschheit einfach nichts mehr ein.

    80.000 Menschen demonstrieren in Berlin gegen die bösen Mullahs im Iran, was die sicher total schockiert und wahnsinnig viel bringt... und was ja auch total viel Mut erfordert, in Berlin gegen das Terror-Regime in Teheran auf die Straße zu gehen...

    Doch für soziale Gerechtigkeit hier in Deutschland bringen die Linken dann maximal 20.000 auf die Straße. Und man hat den Eindruck, dass es einfach keine Sau interessiert. Aber klar, da waren ja auch die Rechten unerwünscht. Sonst wären vielleicht 30.000 gekommen. :sleep::=:!


    Der Begriff der 'sozialen Gerechtigkeit' ist eben so schwammig, dass soziale Inhalte und deren Anschlussfähigkeit stark auf bestimmte politische Spektren beschränkt sind. Dementsprechend haben wir leider momentan ein eher kleineres Mobilisierungspotenzial für soziale Themen. Wobei man nicht vergessen sollte, dass konkrete Mobilisierungen, z. B. die Forderung nach Enteignungen von Immobilienunternehmen, auch sehr viele Menschen auf die Straße gebracht haben.

    Allerdings ist die "Heißer Herbst"-Sache eben eine gespaltene Angelegenheit. Auf der einen Seite haben wir die Querfront aus besorgten Bürgern und Nazis, auf der anderen eine Linke, die gerade ein starkes Glaubwürdigkeitsproblem hat bzw. tief gespalten ist.


    Die Ablehnung des Regimes im Iran ist ein andererseits klarer gemeinsamer Nenner. Ich würde auch vermuten, dass im vorliegenden Fall bestimmte Spektren, z.B. die kurdischen oder alevitischen Vereine, explizit zu den Demos aufgerufen haben. Wenn das der Fall ist, kommen eben auch mal spontan Zehntausende. Dass das sonderlich 'mutig' ist, behauptet wohl niemand. Allerdings ist ein internationaler Druck immer ein Faktor, der auch nicht einfach außer Acht gelassen werden sollte, bzw. würde ich den Demonstrierenden gewiss kein "Geh doch nach drüben" entgegnen. Wenn schon von 'wertegeleiteter' oder gar 'feministischer' Außenpolitik schwadroniert wird, kann man hier auch ansetzen und zum Beispiele entsprechende Sanktionen gegen die Regime-Clans fordern.

  • Jedenfalls ist das einzig "heiße" an diesem Herbst bislang die für Oktober ungewöhnlich warme Lufttemperatur. :desert:

    Bei Landtagswahlen entscheiden die Menschen, dass sie total zufrieden sind mit den Regierungsparteien und es ruhig so weitergehen kann.

    Proteste gibt es vereinzelt, aber genau wie zu Corona-Zeiten meistens verbunden mit Weltuntergangsstimmung und idiotischen politischen Ansichten. Erstaunlich, wie viele Menschen im Osten Sympathie für Faschisten empfinden, nur weil die früher mal bei ihnen Besatzungsarmee waren und sie daher im Lauf der Jahrzehnte realisiert haben, dass in den Uniformen auch Menschen stecken... naja, sag ich da nur, die meisten Nazis waren auch Menschen, und mein Opa war auch sehr kinderlieb und trotzdem ein Nazi. Deshalb sind Nazis dennoch Scheiße, und Putin und alle, die seine Politik unterstützen, ebenfalls.

    Jedenfalls scheint die Solidarität mit Faschisten oder die Angst, dass morgen die Welt untergeht, immer noch mehr Menschen zum Protest zu bewegen, als die Sehnsucht nach einer freieren und sozialeren Gesellschaftsordnung.


    International sieht es kein bisschen besser aus. Wo sind international die Proteste? Warum gibt es jetzt, wo Putins Regime geschwächt ist, nicht massiveren Widerstand dort oder in den anderen Ländern wie Georgien, die von Russland schon angegriffen worden sind? Ok, im Iran protestieren paar Menschen, aber letztlich lassen die sich auch niederknüppeln, wie die Demonstranten in der Türkei damals. Gewalttätiger Widerstand scheint (außerhalb Kurdistans, meinetwegen) komplett unmöglich geworden zu sein, "sympathische" Terrorgruppen wie die ETA haben sich alle aufgelöst, nur noch islamistische Irre überall, die Terror machen, und überhaupt... immer mehr rechtsgerichtete Despoten und populistische Arschlöcher kommen an die Macht, und die einzige Alternative scheinen systemfreundliche Schlaftabletten wie Scholz und Biden oder neoliberale Ausbeuter wie Macron zu sein.

    Die Menschheit war definitiv schonmal besser in der Spur auf dem Weg zu einer zivilisierteren, aufgeklärten Gesellschaft... es scheint mir aktuell eher so, als sind alle vom Weg abgekommen und jetzt bewirft man sich gegenseitig nur noch mit Dreck aus Frust, dass die Karre steckengeblieben ist. Aber keiner hat echte Lösungen oder sieht noch das Gesamtbild. Nur noch eine weltweite Krise nach der nächsten, und kein Ende in Sicht... und man muss ja kein verschwörungsgläubiger Populist sein, um das merkwürdig zu finden, oder Ausdruck von kompletter Unfähigkeit der Regierenden (und deren Wähler).

    Mir fällt dazu langsam auch nix mehr ein, was ich noch schreiben könnte, um dieses Forum zu füllen.

    :noidea:


  • Möglicherweise ist dir entgangen, dass es sowohl im Iran als auch in Russland auch gewalttätigere Aktionen gegen das Regime gab. Man sollte sich bei dem Wunsch nach 'echten Aufständen' auch immer vergegenwärtigen, dass die Methoden der Überwachung heute weitaus ausgereifter sind als es früher der Fall war, und dass die Bereitschaft der Menschen, Leib und Leben zu riskieren, natürlich beschränkt ist. Insofern finde ich es es schon recht dreist, sich vom weitestgehend sicheren Deutschland aus anzumaßen, das Handeln oder Nichthandeln von Menschen in Diktaturen zu bewerten.

    Mal davon abgesehen, dass man nicht davon ausgehen sollte, dass eine Mehrheit oder auch nur große Teile der Bevölkerung den bestehenden Regimen abgeneigt sind. Selbst in Brasilien, wo noch Wahlfreiheit herrscht, werden Typen wie Bolsonaro gewählt, auch von den Ärmsten. Die Frage, wieso Menschen sich nach autoritären Führern und Systemen sehnen oder sich zumindest mit diesen wohlwollend arrangieren, ist das eigentliche Problem. Ich weiß nicht, ob die Menschheit tatsächlich schon mal weiter war. Diejenigen, die sich auf der richtigen Seite der Geschichte wähnten, haben eben gleichzeitig oft die Augen verschlossen vor den Verbrechen der 'eigenen Seite'. Wir haben sehr viele gute Ideen scheitern sehen und stehen heute vor den Trümmern der positiven Utopien. Der herbeigesehnte radikale Wandel ist eher eine Frage der Notwendigkeit angesichts der tickenden Zeitbombe, auf der wir sitzen. Wie viel Platz für Optimismus bleibt da noch? Das Problem ist, dass diese Zeiten zynisch machen, und Zynismus lässt die Nadel eher nach rechts ausschlagen.