Alles anzeigenEs geht nicht nur um Demutsgesten, sondern um das tatsächliche Aufgeben von Privilegien und Macht - sowohl im Kleinen, also z.B. von Mackern dominierte linke Splittergruppen, als auch im Großen, z.B. von postkolonialen/rassistischen Ausbeutungsmechanismen, von denen in Europa alle profitieren. Du bist halt strukturell weder Freund noch der Verbündete der Schneiderin in Bangladesch, die dir die T-Shirts näht. Gleichgültig für wie links du dich hältst.
Und natürlich müssen Cis-Männer gerade auch Macht und Raum abgeben, damit Minderheiten sichtbarer werden und ihre Rechte einfordern können. Du klingst hier wie ein Südstaatler, der die Sklavenhalter unbedingt mitnehmen will: 'Die brauchen doch auch Gründe, um sich für die Abschaffung der Sklaverei zu engagieren bzw. sich dem nicht entgegenzustellen.'
Nein, brauchen sie nicht. Ungerechte Strukturen gehören abgeschafft. Der erste Schritt dazu ist aber, dass man sich eingesteht, dass die Dinge zur Zeit nicht gerecht zugehen. Und da ist man halt als Cis-Mann doch meistens sehr farbenblind. Das kann man eigentlich nur versuchen, abzubauen, wenn man sich informiert, was Minderheiten und marginalisierte Gruppen tatsächlich erleben ... denn in unserer Position weiß man das schlicht nicht.
Natürlich muss man auch rechte/autoritäre/rassistische usw. Überzeugungen in Minderheiten bekämpfen, aber das hat nichts mit strukturellen Ungerechtigkeiten/Benachteiligungen zu tun. Sowohl der migrantische Islamist als auch der migrantische Kommunist sollten beide keinen (strukturellen) Rassismus erfahren, oder?
So wie du den Fall hier beschreibst, fanden es Gäste in der Lokalität da nicht geil, wie da mit Flüchtlingen umgegangen wurde. Das ist nicht 'die linke Szene', das sind Einzelfälle. Und natürlich sollte man, wenn man gerade in einem linken Laden sieht, das Leute, von denen man vermutet, dass sie vielleicht aus rassistischen, fremdenfeindlichen usw. Gründen rausgeschmissen wurden, da vielleicht einschreiten. Das erwartet man eigentlich.
Strukturell sieht man da halt durchaus das Klischee vom 'guten Flüchtling/Holocaustüberlebenden' usw. demzufolge man sich als traumatisierter Überlebender/Hilfesuchender usw. im fremden Land möglichst nett und opfermäßig verhalten sollte ... aber das ist halt eine dämliche Erwartung.
Und natürlich kann man bis zu einem bestimmten Punkt tolerant mit Leuten aus einem anderen Kulturkreis sein, die nur wegen Krieg und Chaos nach Europa gekommen sind und sich nie mental auf die Welt hier vorbereitet haben. Das geht natürlich nur bis zu einem bestimmten Punkt, aber es macht keinen Sinn zu verlangen, dass die sofort geschliffene Manieren haben.
Aber dass weißen Cis-Männern Übergriffe nicht verziehen werden, ist doch rechte Scheiße. Natürlich werden die das. Weiße Cis-Männer fallen immer auf die Füße, vor allem wenn sie Geld haben. Weinstein ist zur Zeit ja wohl nicht obdachlos, während das rechte Standardnarrativ doch ist, dass sämtliche südländischen Männer eine 'Gefahr' für 'unsere Frauen' darstellen ... was sowohl zeigt, dass man auch hier Frauen als Besitz ansieht, als auch, dass es für 'unsere Frauen' nicht okay ist, sich mit Schwarzen und Südländern einzulassen.
Und da's kein richtiges Leben im Falschen gibt, ist's natürlich auch schwer bis unmöglich, eine geile neue Welt zu bauen, wenn man strukturelle Ungerechtigkeiten nicht abbaut. Du verwendest da im Prinzip dasselbe ekelhafte Argument, das damals (auch) von Linken gegen's Frauenwahlrecht geführt wurde: 'Die sind alle konservativ und würden uns gar nicht wählen, wenn sie wählen dürften.'
Ich habe Vorgänge in linken Strukturen beschrieben, die ich sicherlich besser beurteilen kann als du.
Dass nicht nur ich das so sehe, lässt sich anhand der Kontroverse um die Vorgänge in Conne Island gut aufzeigen. Aber natürlich gibt es auch weitere Beispiele, die ich hier nicht breittreten muss. Wenn etwas an rechte Argumentation erinnert, dann das Gefasel von 'Einzelfällen'. Es ist ganz simpel: Wer sich daneben benimmt, fliegt raus, da gibt's auch keinen 'Herkunftsbonus', Das ist ein simpler Konsens bei entsprechenden Veranstaltungen, der so an anderer Stelle auch problemlos praktiziert wird. Dass im CI und anderen Länden hier eine öffentliche Rechtfertigung nachgeschoben werden musste, zeigt, dass in der links-alternativen Szene diesbezüglich offenbar Lernbedarf bestand. Was ist daran so schwer zu kapieren?
Die Problematik von Machtgefällen lässt sich nicht mit moralischer Empörung beseitigen. Insofern nutzt deine verkopfte Herangehensweise da wenig. Die zentrale Frage, wie linke Bewegungen aus ihrer marginalisierten Position ausbrechen können, wird seit Ewigkeiten diskutiert. Eine immer weitere Zerfaserung in Einzelbereiche ist da nicht sinnvoll - wenn man es nicht schafft, für größere Teile der Bevölkerung attraktiv zu werden, nützt die ganze moralische Selbstgewissheit wenig.
Solidarität ist keine Einbahnstraße, auch das ist klar. Und nein, Menschen mit regressiven Positionen muss man nicht entgegenkommen. Ich wüsste überhaupt nicht, wieso man auf diese beknackte Idee aus linker Perspektive kommen sollte. Dort, wo linke Revolution Realität und nicht der feuchte Traum irgendwelcher Bürgerkinder ist, sind die Positionen durchaus eindeutiger - aus Rojava kam z. B. mehrfach der Aufruf, nicht in den Westen abzuhauen, sondern am Aufbau der neuen Gesellschaft mitzuwirken. Nicht alles, das nach einem 'rechten' Argument klingt, ist auch eines.
P.S. Ich hab das Gefühl, wir reden hier ein wenig aneinander vorbei. Sich für Minderheitenrechte stark zu machen ist natürlich wichtig. In dem Thread geht's aber um explizit linke Positionen. Und in diesem Kontext ist immer eine ganzheitliche Perspektive von entscheidender Bedeutung. Themen wie Flüchtlingssolidarität oder Antirassismus sind zwar links besetzt, aber an sich kein exklusives Merkmal linker Bewegung.