• Ich hatte mich mal gerne als Linken bezeichnet, 2015 vielleicht. Da hielt ich das noch für ein positives Attribut, das ich mit Freiheit und der Beseitigung des Kapitalismus assoziierte. Wahrscheinlich brauche ich hier niemandem erklären wie bescheuert und buchstäblich eindimensional das Links-Rechts-Modell ist, aber innerhalb dessen fand ich "links" stets immer als die sinnvollste Haltung. Doch mittlerweile... Schauen wir uns einfach mal die bekanntesten linken Strömungen an:


    - Sozialdemokraten: Vollkommen spießige und im Grunde extrem heuchlerische, korrupte Establishment-Sparte. Unglaublich, dass oberflächliche Populisten wie Martin Schulz momentan so gehypt werden und auch noch mit Abstand die beliebteste Form der Linken sind.
    - Sozialisten: Ähnlich wie Sozialdemokraten, aber irgendwie... Nun ja, eine mildere Form der negativen Begleiterscheinungen des Kommunismus
    - Grüne: Absurde Doppelmoral und Gutmenschentum, weiterhin siehe oben...
    - Kommunisten: Die meisten von denen, die keine Anarchos sind, scheinen ja relativ autoritäre und stalinistische Politik zu befürwortern. Und sozialer Kollektivismus ist für mich schon immer ziemlich abstoßend gewesen...
    - Liberale (nach amerikanischer Art): Das parteiifizierte Establishment.
    - Ancoms: Jetzt wird es spannend; Vor einiger Zeit hätte ich mich durchaus noch als Anarcho-Kommunisten bezeichnet. Aber mittlerweile scheint ein großer Teil dieser Szene von SJWs infiltriert zu sein... Was ist bitte an der Einschränkung der Meinungsfreiheit und einem Verbot von Waffen sowie allem was irgendwie anstößig gegenüber Minderheiten sein könnte anarchistisch? Der verbliebene, wirklich auf Freiheit bedachte Teil scheint mir mittlerweile eine bedrohte Spezies darzustellen.


    Doch fast allen Linken scheint irgendwie eines gemein: Eine dogmatische Ablehnung gegenüber und Bekämpfung von Nazis, je nach Strömung mehr oder weniger weit ausgelegt. Sofern es möglich ist würde ich davon abraten, den politischen Gegner einfach nur hysterisch als "Nazi", "Rassist", "ausländerfeindlich" oder was auch immer zu beschimpfen und ihn zensieren zu wollen, wie das bei einem Großteil der Linken leider der Fall zu sein scheint. Klar, wenn Rechtsradikale an die Macht kämen würden sie auch die Linken zensieren, aber muss man deshalb als Linker genau so reagieren?
    Ich geriet kürzlich zufällig in eine Konversation mit einem minarchistischen Rassisten. Aber anstatt ihn einfach wütend zu verunglimpfen und zu blockieren oder gar melden habe ich einfach mit ihm eine argumentative Diskussion geführt und wir ließen durch die unterschiedlichen politischen Ansichten keine persönlichen Meinungen übereinander beeinflussen (nach einigen Tagen schreibe ich immer noch mit dem). Ist das so schwer? Leider sind Antifaschisten mit ihrem Vorgehen heutzutage kaum anders als echte Faschisten...


    Nun zu den Rechten. Das National(sozial)ismus und Konservatismus vollkommen bekloppt sind brauche ich in diesem Forum sicherlich niemandem zu erklären, aber eine Strömung (deren Mitglieder sich zwar nicht immer, aber durchaus manchmal als rechts sehen) würde ich gerne genauer betrachten: Ancaps. Die überwältigende Mehrheit der Anarcho-Kapitalisten scheint zumindest sozial noch sehr freiheitlich zu sein, wenn auch wirtschaftlich einige Punkte sehr absurd sind (aber das ist ein anderes Thema). Sie sind abgesehen davon meist gegenüber einer Zusammenarbeit mit Ancoms aufgeschlossen und tolerieren auch innerhalb einer hypothetischen kapitalistischen Welt andere politische Strömungen.


    Ich will mit diesem Post keinerseits die Rechten verteidigen, aber irgendwie scheint sich der Mythos von "Freiheit und Toleranz" als linke Attribute eher ins Gegenteil verkehrt zu haben. Sicherlich ist die Mehrheit der Rechten intolerant und autoritär, aber zumindest auf den anarchistischen extremen Bereich beider Seiten bezogen sehe ich eine ziemlich besorgniserregende Entwicklung. "Links" zu sein ist für mich mittlerweile nichts positives mehr (und nein, rechts zu sein schon gar nicht, bevor das jemand so interpretiert).
    Was meint ihr? Ist die linke Szene für euch noch so wie sie sein sollte?
    Sorry falls in diesem Text massive Logikfehler vorhanden sind, ich bin ziemlich apathisch, kann gerade nicht komplett klar denken und habe das hier alles ziemlich spontan geschrieben...

  • Also für mich als jemand, der weitestgehend noch im alten Jahrtausend sozialisiert worden ist, war die Sache früher eigentlich immer recht klar:
    LINKS sein bedeutet, anti-militaristisch, anti-kapitalistisch und anti-autoritär eingestellt zu sein, für Abrüstung, für Umweltschutz und für Solidarität mit den Armen und Unterdrückten dieser Welt. Also eigentlich Dinge, die für einen halbwegs intelligenten, aufgeklärten Menschen ganz selbstverständlich sein sollten.
    RECHTS sein bedeutet, engstirnig-nationalistisch zu denken, auf Zucht und Ordnung wert zu legen, gegen zu viel Individualismus und fremde kulturelle Einflüsse zu sein und ganz allgemein eben gern die "gute alte Zeit" wiederhaben zu wollen (wahlweise die Zeit unter Adolf oder irgendeinem Kaiser). Also nichts, was man als progressiv eingestellter Individualist ernsthaft unterstützen könnte.


    Soweit die Theorie, und im rein theoretischen Sinn würde ich mich auch heute noch, wenn ich mich zwischen links, mitte und rechts entscheiden müsste, immer politisch links einordnen.
    In der Praxis sieht es natürlich, wie ich auch in meinem Video Links-Rechts-Denken angesprochen habe (siehe unten), ein wenig anders aus.
    Schon früher gab es ganze Staaten, die sich zwar auf linke Ideologien beriefen, aber freie Meinungsäußerungen untersagt haben, Militärparaden veranstalteten, Menschen hinrichteten und all diese Dinge, die man eigentlich eher von Faschisten erwarten würde. Also hätte man etwa die Sowjetunion nicht eher als rechts bezeichnen müssen?
    Und in der DDR wurde Nationalismus pur gelebt, dem ganzen Geschwafel von internationaler Solidarität zum Trotz.
    Und heute verschwimmen die Grenzen zwischen links und rechts noch mehr, wenn Linke auf einmal für Militäreinsätze, mehr Gesetze und Zensur sind... und Rechte sich auf Demos versammeln, um gegen gleichgeschaltete Medien und das Establishment zu protestieren. (was eigentlich irgendwann mal die Aufgabe der Linken gewesen ist, zu Zeiten, als sich die Rechten noch heimlich in irgendwelchen verrauchten Kneipen getroffen und Landser gehört haben)


    Also irgendwie hat sich das alles ein bisschen verschoben. Es gibt zwar da draußen sicher auch noch einige der klassischen Linken, die auch Aktionen machen und über andere Dinge nachdenken als Gendering und Frauenquote, aber in der öffentlichen Wahrnehmungen scheinen mir diese echten Klassenkämpfer und Antifaschisten doch zunehmend unterzugehen. Während die rechten Ideologen (die man heute Populisten nennt) in den letzten Jahren deutlich an Boden gewonnen haben... was nicht zuletzt daran liegt, dass rechte Polemik dem gemeinen Pöbel näher ist als linke Polemik, denn die Ideologie der Rechten appelliert mehr an die hässliche Seite der Menschen, an die Angst und die Gier ("America first" bzw. "Deutschland den Deutschen"), an den Instinkt, nix teilen zu wollen und immer erst selber zu schauen, wo man bleibt. Das ist, so scheint mir, durch die jahrtausendealte Geschichte tiefer im Menschen verankert als Gedanken von Solidarität und Mitgefühl mit Fremden... und deshalb fischen die Rechten mit ihren einfachen Antworten auch besonders eifrig und gut in verwirrenden, überkomplizierten Zeiten wie diesen, von denen sich viele Menschen (völlig zurecht) überfordert und überrollt fühlen.


    • Offizieller Beitrag

    Zeit für einen kleinen Exkurs:
    Die Begriffe "Links", "Mitte" und "Rechts" wurden in der Zeit der Französischen Revolution und danach erfunden. Als man sich erstmals in Parlamenten traf und nicht einfach Gesetze empfing, sondern erstmal darüber redete (lat. "parler" = "reden, diskutieren"). Dabei stellten die Menschen fest, dass einige von ihnen ähnliche Ansichten hatten und weil Menschen nunmal Herdentiere sind, bildeten sie Gruppen. Diejenigen, die die Revolution noch weiter radikalisieren und noch mehr Freiheiten und noch mehr Abschaffung von Privilegien wollten, saßen links. Die Gruppe der Königstreuen, die sich ein Leben ohne gar nicht vorstellen konnten, saßen rechts. In der Mitte saßen entweder die, die sich nicht festlegen wollten oder die Bürgerlichen, die sich für ihre eigene (damals noch relativ kleine) Schicht einsetzten.
    Links zu sein bedeutet also erstmal nicht mehr und nicht weniger, als für (gesellschaftlichen) Fortschritt zu sein - progressiv zu sein. Und rechts zu sein beudetet nicht mehr und nicht weniger, als den Status Quo mehr oder weniger aufrechterhalten zu wollen - konservativ zu sein (lat. "konservare" = "bewahren, erhalten" [wie die Konserve, die Nahrung vor dem Befall bewahrt]).
    Auch im ersten deutschen Parlament saßen die Fortschrittlichen links. Das waren die, die das Feudalsystem und die Adelsprivilegien abschaffen und durch einen geeinten Nationalstaat ersetzen wollten. Die ersten deutschen Linken waren also Nationalisten! Ganz einfach deswegen, weil ein Nationalstaat im Gegensatz zu einem Feudalstaat einen Fortschritt bedeutet. Das war 1848, in dem Jahr, in dem "Das Kommunistische Manifest" gerade erst erschienen war und lange bevor "Das Kapital" erschien (1867).


    Inzwischen sind die Begriffe sehr verschwommen. Das liegt an mehreren Faktoren. Zum einen gibt es kaum noch klassische kommunistische Linke im Westen (in Japan z. B. sieht das ganz anders aus). Das sieht man schon an den Wahlergebnissen der DKP, die hat zwar irgendeinen Millionär, der ihr vor jeder Wahl etwas Geld für Plakate gibt, aber gewählt wird sie faktisch nicht. Die Partei Die Linke "bekennt" sich zwar zum "Demokratischen Sozialismus", transportiert das aber kaum in die Öffentlichkeit. Ich weiß noch, wie ich im PoWi-Unterricht saß und als Einziger in der Klasse überhaupt den Begriff kannte - "Das gibts doch gar nicht!" war ein Kommentar dazu.
    Hinzu kommt, dass sich Neonazis seit einigen Jahren ganz breit bei Linken bedienen, um ihr Image aufzubessern und um Unpolitische zu verwirren (und natürlich um Linke zu provozieren). Statt Glatze, Springerstiefel und Bomberjacke tragen sie jetzt schwarz, bilden Schwarze Blöcke und "kämpfen" gegen den Kapitalismus.
    Erwähnenswert ist auch die Querfront, dieses verschwurbelte Bündnis von Linken und Rechten für Putin und gegen Chemtrails oder was weiß ich.
    Und aus Sicht der radikalen Rechten ist sowieso alles links, was inzwischen längst zur Mitte gehört. Merkel, die SPD, die Grünen...


    Auch die Liberalen in Amerika sind nicht links, sondern, wie der Name schon sagt, liberal. Bürgerlich. Mittig. Und wenn sie noch so sehr von den Republikanern als Kommunisten bezeichnet werden. Selbst der beliebteste Politiker der USA, Bernie Sanders, der sich als "Demokratischer Sozialist" bezeichnet, wäre in Deutschland maximal im linken Flügel der SPD. Ich habe mal im Internet ein passendes Schaubild gesehen, bei dem auf einer Waage der Elefant der Republikaner rechts saß und der Esel der Demokraten in der Mitte. Deutsche Linke identifizieren sich vielleicht mit den Demokraten, weil es einfach keine starke linke Bewegung oder Gruppe dort gibt.


    Ich persönlich bin erstmal über jeden froh, der sich als "links" bezeichnet. Viel zu viele bekennen sich zur AfD, dieser brandgefährlichen Mischung aus einer radikal-neoliberalen Spitze und ihrer rechtsextremen Basis, die den Rassismus wieder salonfähig macht.
    Und viel zu viele bezeichnen sich als "politisch in der Mitte". Sie wollen nicht als extrem gelten, denn extreme Rechte zünden Menschen an und extreme Linke zünden Autos an - was noch viel schlimmer ist, den Menschen besitzen die wenigsten, Autos aber die meisten; danke an Marc-Uwe Kling für diesen Vergleich:

  • It's just semantics. In Deutschland herrscht eine große Begriffsverwirrung, weil wir hierzulande sehr viele unterschiedliche Ansätze als "links" und "rechts" klassifizieren. Ein Grund ist das fehlende historische Bewusstsein, ein anderer (im Falle der Linken) auch der, dass es wenig konkrete gesellschaftlich wirkungsmächtige Bewegungen seit dem Zerfall der historischen Arbeiterbewegung gab. Entsprechend bezieht sich "links" vor allem auch auf einen gesellschaftlichen Diskurs, also auf den kulturellen Part, und hier wirds begrifflich eben kompliziert.
    Da sind z.B. die Griechen erfrischend deutlich in ihren Abgrenzungen. "There is no radical left in Greece", hört man immer wieder. Links heißt Syriza, Kommunistisch KKE, und was hierzulande diffus als linksradikal bezeichnet wird ist dort dann eher einerseits der horos, die anarchistische Bewegung/Szene, oder auch andere Erscheinungen wie die Autonomen, die sich u.a. auf den italienischen Operaismus und die deutsche Antifa der 80er beziehen.
    Ich hab ja schon in dem anderen Thread geschrieben: Das, was die Linke historisch ausgemacht hat, sprich das unterdrückte Proletariat als politisches Subjekt, ist heute wesentlich schwerer klassifizier- und erreichbar. Also läuft es eher für viele auf sozialdemokratische Politik einerseits, oder eben alternative Gegenentwürfe andererseits hinaus. Zumindest können wir je nach Region unterschiedlich in Deutschland dem aufkeimenden Faschismus immer wieder Einhalt gebieten, das ist ja schonmal was.a
    Mir persönlich sind diese Kategorisierungen mittlerweile egal. Primär arbeite ich an der Schadensbegrenzung mit.

  • Vielleicht noch als Ergänzung: Dass Freiheit und Toleranz als linke Attribute wahrgenommen werden, ist eine Folge des gesellschaftlichen Diskurses bzw der Liberalisierung der Gesellschaft in den letzten 30 Jahren. Historisch sind diese Begriff einerseits bürgerlich (sprich die Freiheit, wobei sich jede polit. Strömung, auch die Nazis, den Begriff auf die Fahnen schreibt) sowie eher vom Gedanken der religiösen Zugehörigkeit her gedacht (im Falle der Toleranz).
    Im Marxismus geht es primär gewiss weder um Freiheit oder Toleranz, sondern um Klassenkampf bzw (gewaltsame) Überwindung der Klassenherrschaft. Und die historischen Anarchisten wären z.B. in Spanien schnell erledigt gewesen, wenn sie nicht infolge langer militanter Vorbereitung zu den Waffen gegriffen hätten. Dass der Kampf später dennoch verloren wurde, ist ein anderes Thema.
    Ich finde es vor dem Hintergrund ermüdend, ständig den Verweis auf die angebliche widersprüchliche Vorgehensweise z.B. von Antifaschisten zu hören. Das gewalttätige und "intolerante" Vorgehen ist sehr konsequent und gemessen an der praktischen historischen Erfahrung auch der richtige Weg, was nicht heißen soll, dass sich dadurch jeder Kampf gewinnen lässt oder nicht sehr viel politisches und taktisches Geschick nötig wäre.

  • Da ich nicht rausfinde, wie man Beiträge editieren kann ;-) hier noch zwei nette Videos:
    Einmal etwas ausschweifend und diskussionswürdig:


    Und hier etwas weniger elaboriert:

  • Ah, danke für die Info, jetzt sehe ich es ;-)


    Und zum Thema des Threads noch ein (vorläufig) letzter Zusatz: Die "Linke" oder "die Anarchisten" (sofern sich positiv darauf beziehen will), sind kein Dienstleistungsunternehmen, sondern in diesem Sinne WIR. Also statt zu lamentieren, was Gruppe oder Strömung XY angeblich falsch macht, lieber selbst aktiv werden und mitgestalten. Das geht auch, wenn man soziophob ist und nicht hinterm Rechner hervorkommen will (bis zu einem gewissen Grad), z.B. durch Verbreitung von Propaganda im Netz, Übersetzungen, Recherche-Tätigkeit etc.
    Alles in allem brauchen wir mehr Bodenständigkeit und weniger selbstreferenzielles Gequatsche und Federn-in-den-Arsch stecken, um sich als Huhn auszugeben. Anarchist wird man nicht dadurch, in zig Threads darzulegen, schlauer als die doofen Lemminge zu sein, sondern durch Taten.

  • keine sorge am 7 und 8 juli folgen dann auch die taten, jetzt muss ich aber ersteinmal wut ansammeln.