ZitatGenerell finde ich diese östlichen Philosophien ja schon ansprechend, wenn es darum geht, Ruhe ins eigene Herz zu bringen und eine gewisse Gelassenheit zu entwickeln. Ich fürchte nur manchmal, sie haben auch einen sehr sedierenden Einfluss auf die asiatischen Gesellschaften... was dann dazu führt, dass sich die Chinesen von ihrem Staat komplett unterdrücken lassen, und sich Menschen in Südkorea oder Japan sprichwörtlich zu Tode arbeiten, weil man die Dinge ja so nehmen muss, wie sie sind.
Besonders förderlich scheint es für gesellschaftliche Umwälzungen jedenfalls nicht zu sein. (Aber gut, ähnliches lässt sich vermutlich auch über das Christentum und den Islam sagen...)
Oder würdest du es eher so sehen, dass das falsch verstandener Taoismus ist, wenn man aus Angst vor gesellschaftlichem Gesichtsverlust oder Strafen ein Leben führt, das man eigentlich gar nicht möchte?
Ich würde sagen es handelt sich dabei überhaupt nicht um Taoismus. Taoismus ist eigentlich sowas wie die fernöstliche Version von Anarchie. Nur mit dem Unterschied dass man die Abwesenheit von Zwängen und hierarchischen Strukturen noch viel weiter ausdehnt auf die Gesamtheit unserer Geistesaktivitäten und dabei die innere Unabhängigkeit von unseren Gedanken und Gefühlen stärker in den Vordergrund stellt. Es geht ihnen vermehrt darum die geistigen Ketten unseres Verstandes zu überwinden und der Fokus liegt daher auch weniger auf auf der Bekämpfung äußerer Umstände, auf die man ohnehin nur wenig Einfluss nehmen kann. Man geht davon aus dass es ohne eine innere Freiwerdung auch keine äußere Freiheit geben kann und wir daher zunächst bei uns selbst ansetzen müssen, bevor wir in die Welt hinaus ziehen um allen unsere persönliche Vorstellung von Rechtschaffenheit aufs Auge drücken zu wollen.
Man versucht möglichst keine unnötigen inneren und äußeren Konflikte entstehen zu lassen und sich dabei seinen Weg ähnlich des Wassers durch die Stromschnellen des Lebens zu bahnen und Hindernisse eher zu umfließen statt sich mit ihnen anzulegen. Ziel ist es ungestört dahinzufließen, ohne dabei ein konkretes Ziel zu benötigen oder auf ein bestimmtes Ergebnis zu hoffen. Verpflichtet ist man dabei wenn überhaupt nur seiner wahren Natur, mit der man versucht sich im Einklang zu befinden und somit auch mit der umgebenden Welt besser zu harmonisieren. Es ist nicht so als müsse man dabei bewusst Verzicht üben oder seine eigenen Gefühle, Wünsche oder das Ego unterdrücken und sich dabei nach irgendwelchen dogmatischen Vorgaben ausrichten. Vielmehr lässt man bestimmte Überzeugungen, Begierden, Wiederstände und Bestrebungen einfach deshalb fallen, weil man erkannt hat, dass ein festhalten an ihnen nur zu weiterem Leid und stärkerer Unfreiheit führt.
Beim Taoismus geht es primär immer um Freiheit, es ist eigentlich das genaue Gegenteil von der Angepasstheit an gesellschaftliche Konventionen und soziale Normen wie du sie hier beschreibst. Das ist eigentlich nicht so sehr auf dem Mist von Taoismus gewachsen sondern auf andere Einflüsse des altertümlichen China zurückzuführen. Da die Prinzipien des Taoismus auch damals schon nicht so wirklich Massenkompatibel gewesen sein dürften und andere philosophische Strömungen auf das Selbstverständnis der Chinesen und anderer ostasiatischer Kulturen einen sehr viel stärkeren Einfluss hatten als die Taoisten.
besonders prägend waren dabei wohl Konfuzius und Mozi, deren Denkschulen sich womöglich noch am ehesten mit dem Kommunismus vergleichen lassen. Beim Konfuzianismus und beim Mohismus wurde im Gegensatz zum Taoismus nämlich das Gemeinwohl als höchstes Gut betrachtet welchem sich das Individuum unterordnen müsste. Gehorsam gegenüber Autoritäten, dem Alter und das unterordnen in festen Hierarchien gehörte dabei ebenfalls mit dazu, genauso wie ein striktes Einhalten von Sittlichkeit und das befolgen moralischer Tugenden. Wenn Kommunismus die Herrschaft des Proletariats ist, dann handelt es sich bei Konfuzianismus und Mohismus eher um die Herrschaft der Tugend und Moral, wohingegen Taoismus auf Herrschaft komplett verzichtet. Und dann gab es da noch den Legalismus, der wohl noch am ehesten dem späteren chinesischen Sozialismus entsprach. So sehr sogar dass die KP Chinas womöglich sogar als direkter Erbnachfolger dieser Denkrichtung betrachtet werden kann, die auch gewisse faschistische Züge aufweist.
Hier findest sich eine kleine Übersicht der verschiedenen philosophischen Denkschulen des damaligen Chinas, Taoismus fällt hier eher die Rolle eines rebellischen Underdogs zu, der auch sicher nicht der Liebling von den Herrschern jener Zeit gewesen sein dürfte.
Chinesische Staatsphilosophie – Wikipedia
Die Beschreibung vom Konfuzianismus hört sich hier zunächst vielleicht gar nicht so schlecht an, fast wie ein gut getarnter Taoismus, aber der Schein trügt. Beim Taoismus vertraut man darauf dass die Menschen sich ihrer eigenen wahren Natur gemäß von selbst tugendvoll verhalten würden wenn man sie nur ließe, bein Konfuzianismus traut man ihnen dies jedoch nicht zu und glaubt den Menschen aktiv und mit Nachdruck auf die Sprünge helfen zu müssen, um ihnen somit zu ihrer Tugendhaftigkeit zu verhelfen und setzt dabei wenn nötig auch auf Kontrolle und Zwang.
Der Unterschied ob die Lehre des Taoismus nun begünstigt sich von Machthabern und Konzernen unterdrücken und ausbeuten zu lassen oder eher dazu führt sich aus der Umklammerung von jedweden Zwängen zu lösen, ist vielleicht bloß eine Frage der Perspektive. In dem Video wird das ganz gut aufgezeigt. Nur gefällt mir persönlich nicht wie viel Gewichtung in diesem Beispiel der Erwähnung des wirtschaftlichen Erfolgs der beiden zukommt. Das ist halt so typische Spiritualität die Unternehmer ansprechen soll. Ich würde halt noch einen dritten hinzufügen der sich komplett aus dem Wirtschaftskreislauf verabschiedet hat und zum bloßen Selbstversorger wurde. Aber wenn man von diesem Detail absieht steckt da eigentlich schon einiges an Wahrheit drin.
ZitatIch bin mir nicht sicher, ob ich das Video verstanden habe.
Dort wurde gesagt, dass man aus der wahren Natur handeln sollte, in Einklang mit dem Universum.
Aber was ist die wahre Natur?
Ich finde du stellst da durchaus berechtigte Fragen. Ich denke mal ich habe einen Teil davon bereits in meiner Antwort an Dian beantwortet, aber ich versuche dennoch noch etwas genauer darauf einzugehen. Unsere wahre Natur und das Tao, welches ja bekanntlich das Hauptmotiv im Taoismus ist, sind im Grunde ein und dasselbe. Wenn man nun beschreiben möchte was mit diesem Tao gemeint ist, gerät man direkt wieder in die Bredouille etwas mit Worten erklären zu müssen was sich unseren begrenzten dualistischen Definitionen entzieht. Meistens versucht man sich bei der Annäherung an dieses Etwas was nicht mit Worten beschrieben werden kann aller positiven Beschreibungen zu enthalten und wählt stattdessen einen negativen Ansatz, bei dem man durch das Weglassen aller konzeptuellen Vorstellungen über die Eigenschaften und Qualitäten einer solchen Sache, welche als unzutreffend erachtet werden können, dem Wesenskern jener Sache möglichst Nahe zu kommen, ohne sich dabei in irrigen Falschannahmen zu verstricken.
Zitat„Laotse“ sieht im Dao die höchste Wirklichkeit, das Absolute, das Unberührte und die ursprüngliche Einheit. Das Dao ist der Ursprung aller Dinge (wörtlich: „zehntausend Dinge“) und zugleich die Ordnung jener Dinge. Es vereint in sich alle (scheinbaren) Gegensätze und ist daher nicht definierbar. Man könnte es maximal als ein kontinuierliches Paradoxon kennzeichnen. Aus der philosophischen Perspektive ist das Dao ein Begriff für die Begriffslosigkeit. Es ist Sein und Nicht-Sein zugleich; eine Abstraktion für ein tiefergehendes Weltenverständnis. Jeder Versuch, das Dao zu definieren, ist zum Scheitern verurteilt, da jede Definition eine Festlegung, eine Begrenzung, wäre.
ZitatVielleicht ist es ja irgendwie doch auch Teil des Menschen und stellt auch einen gewissen Schutz dar?
Brauchen wir diesen Schutz denn überhaupt oder handelt es sich dabei auch bloß um eine Schutzbehauptung des Ego selbst? Ohne diese Vorstellung eines separaten Selbst welches sich als getrennt betrachtet und sich in ständiger Opposition zu allem befindet was es glaubt nicht zu sein, hätten wir eigentlich keinen Grund uns zu fürchten, da wäre auch niemand mehr der sich bedroht fühlen könnte. Es geht darum zu erkennen, dass wir viel mehr sind als unser kleines beschränktes Ego uns glauben lässt. Wenn wir statt uns mit dem Ego zu identifizieren, uns als Teil des großen Ganzen betrachten verliert das Leben seinen Schrecken.
Das wird ganz gut in den Kapiteln 13 und 16 des Tao Te Ching zum Ausdruck gebracht:
ZitatWhat does it mean that hope is as hollow as fear?
Hope and fear are both phantoms
that arise from thinking of the self.
When we don’t see the self as self,
what do we have to fear?
ZitatAlles anzeigenEmpty your mind of all thoughts.
Let your heart be at peace.
Watch the turmoil of beings,
but contemplate their return.
Each separate being in the universe
returns to the common source.
Returning to the source is serenity.
If you don’t realize the source,
you stumble in confusion and sorrow.
When you realize where you come from,
you naturally become tolerant,
disinterested, amused,
kindhearted as a grandmother,
dignified as a king.
Immersed in the wonder of the Tao,
you can deal with whatever life brings you,
and when death comes, you are ready.
ZitatWarum gibt es Religionen, die diesen Aspekt des Menschseins künstlich "loswerden" wollen?
Vielleicht aus dem gleichen Grund aus dem es auch das Ego selbst gibt. Dieses loswerden wollen ist ja auch bloß wieder ein Verlangen und somit Teil des Egos, alles was wir kontrollieren wollen erhält Kontrolle über uns. Der Wunsch sich auf diese Weise vom Ego zu befreien wäre wie der Versuch seinem eigenen Schatten zu entkommen. Wer ist es der diesen Wunsch tätigt? Wer soll da befreit werden und wovon überhaupt? Im Taoismus greift man gerne auf Metaphern zurück, wie den unbehauenen Stein. Das Ego ist hier alles was erst nachträglich in diesen Stein hineingehauen wurde. Gemeint sind damit unsere Konditionierungen und unsere Sozialisierung sowie die Summe unserer Erfahrungen und Urteile etc. Im Grunde alles was wir fälschlicherweise für unser Selbst halten und womit wir uns identifizieren, obwohl wir schon waren bevor all diese Dinge und Konzepte in unser Leben traten. Der natürliche Zustand ist mit diesem unbehauenen Stein oder einem unbeschriebenen Blatt zu vergleichen, in einem solchen Zustand steht uns noch jede wählbare Option uneingeschränkt zu Verfügung ohne künstliche Limitierungen.
Vielleicht ist das mit dem Stein ein schlecht gewähltes Beispiel weil es den Anschein erwecken könnte als handle es sich bei dem was bereits in diesen Stein graviert wurde um etwas permanentes das nicht mehr rückgängig zu machen sei. Ein besseres Beispiel wäre wohl eine Tafel die man Vollschreiben kann, die sich aber auch jederzeit wieder leerwischen und von neuem beschriften lässt. Nur eine leere Tafel enthält noch das gesamte Spektrum an Möglichkeiten die auf ihr zum Ausdruck gebracht werden können, wohingegen eine Tafel die bereits bemalt wurde keinen Platz mehr bietet für etwas neues. Auf uns bezogen würde das bedeuten, dass wir zu sehr in unseren festgefahrenen Mustern und Sichtweisen verhaftet sind und keine anderen Option mehr sehen oder zulassen können als jene mit denen wir uns gewohnheitsmäßig identifizieren und die wir für uns Selbst halten.
Eine weitere beliebte Metapher ist ein Trinkgefäß welches bereits mit einer Flüssigkeit gefüllt ist. Ein solches Gefäß welches bereits voll ist, kann nichts neues mehr zusätzlich in sich aufnehmen, erst müssen wir es leeren bevor es wieder von Nutzen sein kann. Und wenn man Tee in eine Tasse schüttet die noch zur hälfte mit Kaffee befüllt ist, kann man am Ende auch beide Flüssigkeiten nicht mehr klar voneinander unterscheiden. Die Realität verschwimmt mit unserer Meinung und wir können nicht mehr klar sehen. Unser Ego ist im Grunde genau das, wir sind meist total voll von uns Selbst und meinen über alles bescheid zu wissen. Das führt zu Überheblichkeit, Starrsinn und Konflikten, im Egozustand verengt sich unsere Wahrnehmung und es fehlt uns an Weite und Offenheit um die Dinge klar und aus unterschiedlichen Perspektiven betrachten zu können. Hier könnte ich jetzt noch ewig weiter lamentieren und zusätzliche Beispiele anfügen, aber ich denke es wird klar worauf ich hinaus will.
Natürlich behalten wir unsere Erfahrungen und unseren Verstand bei, diese Dinge können schließlich sehr Praktisch sein und sind unentbehrlich für unser Überleben. Es wird zwar auch oft davon gesprochen wieder zu werden wie ein Kind, aber damit ist eben nicht gemeint dass wir unseren Verstand zu resetten und wieder verlernen zu sprechen oder zu laufen und all die praktischen Fähigkeiten aufgeben die wir im Laufe unseres Lebens erlernt haben und die ja auch ihre Sinnhaftigkeit haben. Der Verstand ist ein hervorragendes Werkzeug, aber wenn wir uns stattdessen von unserem Verstand beherrschen lassen werden wir zum Werkzeug unseres Verstandes, statt umgekehrt unseren Verstand zu nutzen werden wir umgekehrt von unserem Verstand benutzt.
Wenn ich Taoismus mit einem einzigen Wort beschreiben müsste dann wäre es das ''Lassen''. Gemeint ist damit nicht nur das Loslassen sondern auch das Zulassen und der Zustand der damit erreicht werden kann wäre dann die Gelassenheit, alles so zu nehmen wie es ist, ohne sich Probleme zu schaffen wo es gar keine gibt oder sich irgendwelchen Zwängen zu unterwerfen.