• Wie seht ihr das und als was identifiziert ihr euch?

    Um ehrlich zu sein: Ich weiß nicht, wer oder was ich bin - ich bin einfach ich.


    Bereits als Kleinkind fragte ich mich ständig, weshalb ich mich derart von allen anderen Menschen bzw. Kindern unterscheide. Auf mich wirkten sie alle mehr oder weniger gleich. Irgendwann kam ich in eine Phase, in der ich mein Anderssein einfach nur satt hatte und versuchte, mich anzupassen, indem ich Zugehörigkeit vortäuschte.


    Meine Oma sagte mal: "Zieh keine Grimassen, sonst bleibt dir das Gesicht so stehen!"
    Das habe ich mir gemerkt.
    Durch meine Entdeckung, daß mein Bewußtsein im stockbesoffenen Zustand dem eines nüchternen Durchschnittsbürgers ähnelt, hoffte ich, mittels täglichem Konsum sowie zwischendurch mit hochdosierten Psychopharmaka dauerhaft dieses Bewußtsein zu erlangen. Aber all das hat bis auf die Verschlechterung meines Gesundheitszustands gar nichts gebracht. Ich blieb weiterhin, der ich bin.


    Normalmenschen, die nicht nur meine körperliche Erscheinung kennengelernt haben, sondern auch meine Eigenheiten, kamen damit überhaupt nicht klar. Entweder sie hielten mich für völlig geisteskrank, hatten Angst vor mir oder sie haßten mich abgrundtief. Oft fragte ich mich, wer denn nun verrückt sei - die große Masse oder ich, gefolgt von der Frage, wozu ich überhaupt existiere, wenn ich nicht so sein kann/darf, wie ich bin. Suizidgedanken sowie Menschenhaß waren in den letzten Jahren keine Seltenheit .


    Mein Leben lang komme ich mir vor, als wäre ich entweder ein Außerirdischer, der versehentlich falsch abgebogen und auf einem Affenplaneten gestrandet ist ... oder wie der letzte Indianer seiner Art, der hilflos zusehen muß, wie das globale Krebsgeschwür namens "weißer Mann" alles Lebendige aufzehrt.



    Dann wären da die Esoteriker, die sich irgendwie mit der ganzen Welt verschmolzen sehen.

    Esos gehen hausieren mit dem Spruch "Du bist ein anderes Ich". Das bedeutet: Esos sind allesamt nur Klone, so wie alle Normalmenschen. Sie halten sich aber für etwas ganz besonderes. Das sind sie auch, denn sie sind eine völlig abartige Abart. Sie ernähren sich nämlich nicht von Molekülen in Form von Molekülketten, sondern von Lichtnahrung in Form von Lichterketten. Gurus fressen weiße Lichterketten, Indigokinder blaue, Geistheiler kunterbunte ... und jeder ist mächtig stolz auf seinen Schein von Licht. :D


    Apropos Lichterketten ...
    Vergangenes Weihnachten beobachtete ich die Normalmenschen beim Einkaufen. Eigentlich war daran nichts besonderes - sie kauften das, was sie jedes Jahr kauften, darunter auch Schokonikoläuse. Da überlegte ich, was denn so ein Schokomännchen eigentlich darstellen soll. Ich kam zu dem Ergebnis: Das ist ein symbolisches Abbild für sie selbst und für ihr armseliges Leben.


    Schokonikoläuse stammen aus Massenfertigung. Es gibt viele Nikolausfabriken. Jede stellt ihre eigene Sorte her, die sich nur im äußeren Erscheinungsbild von den Konkurrenzprodukten unterscheidet. Aber prinzipiell sind sie alle gleich.
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    Die Alufolie entspricht der Kleidung und die Schokomasse dem physischen Körper. Aber innen drin herrscht gähnende Leere. Im Unterschied zu den Nikoläusen haben die Normalmenschen jedoch in ihrem Kopf ein Robotermodul, mit dem sie perfekt funktionieren und jeden Tag Dinge produzieren, mit denen sie im Außen glänzen, um ihre innere Leere zu kompensieren.


    Ende der 80er herrschte "Krieg" zwischen Opel- und VW-Fahrern. Die Autos wurden aufgemotzt bis zum Gehtnichtmehr und jeder hielt sich für einen King. Aber hinter dieser "Ich-bin-besser-als wie du"-Fassade sah es erbärmlich aus. :(

  • Ist es nicht so, daß sobald jemand überlegt, was er denn tun will oder gut findet, die Antwort etwas mit seiner Identität zu tun hat?

    Eigentlich habe ich ja nicht mal so ein großes Problem mit Identitäten, eher mit ihren Entstehungen und Folgewirkungen. Menschen eignen sie sich meistens relativ oberflächlich und ohne genaueres Nachdenken an und wollen sich dann daran ketten.

    Was ist dann das eigentliche Problem? Die Oberflächlichkeit? Findest du es verwerflich sich zu etwas bekennen, an dem man etwas identifizierungswürdig findet obwohl man kein umfassendes Bild von Konzepten hat, die dahinterstehen?

  • Was ist dann das eigentliche Problem?

    Ein Beispiel: In "Deutschland" leben 82 Millionen Menschen und es gibt (willkürliche Zahl) 70 Millionen Menschen, die sich mit dem gleichnamigen Staat identifizieren. Da dieses Konstrukt aber Gewalt über alle 82M ausüben kann, müssen sich die restlichen 12 Millionen dem Staat beugen. Wenn die Mehrheit sich nicht Stockholm-Syndrom-artig damit identifizieren würde hätte es der Staat deutlich schwerer allen "Deutschen" seinen Willen aufzuzwingen, auch denen, die ihn gar nicht haben wollen.

  • Ist es nicht so, daß sobald jemand überlegt, was er denn tun will oder gut findet, die Antwort etwas mit seiner Identität zu tun hat?

    Identität ist die Beziehung eines Objektes zu sich selbst. Also hat der Wille etwas mit Identität zu tun, ein staat aber nicht. Weil ein Staat etwas viel zu großes und Komplexes ist um sich damit zu Identifiziren. Dies aber trotztdem zu tun heißt unabhängigkeit auf zu geben, da du etwas bedingungslos akzeptirst ohne es überhaubt zu kennen.

  • Ein Problem ist wahrscheinlich, daß Menschen mitunter Dinge tun, die anderen Menschen nicht gefallen. Etwa einen Gegenstand mitnehmen, den der andere hergestellt hatte. Nun könnte das jeder selbst regeln, dann würde vermutlich meistens derjenige der das letzte Wort haben, der die meisten Freunde hat oder eben zu einer starken gewalttätigen Gruppe gehört. Früher fühlten sich Menschen oft zu ihrem Stand zugehörig, von ihm und der Familie und Gerichten eines Herrschers bekam man eventuell Unterstützung. Das alles hat auf der anderen Seite auch seinen Preis, aber vielen Menschen scheint mir tatsächlich sehr wichtig zu sein, daß gewisse Grundegeln beachtet werden. Der Nationalismus brachte Menschen vor einer Weile dann dazu sich zueinander zugehörig zu fühlen, weil man in einem bestimmten Gebiet lebt. Das hat gegenüber ständischem Denken durchaus Vorteile und heutige Sozialstaatsideen beruhen auf solchem allgemeinen Gefühl der Zugehörigkeit zu allen möglichen Arten Mensch. Man kann nun sagen, daß die Nation als Konstrukt unsinnig ist. Andererseits sehe ich darin auch Vorteile kleinere Einheiten zu haben, weil ich dezentrale Lösungen mag. Bedingungslos identifizieren tun sich dabei wohl die wenigsten mit allem, was mit einem bestimmten Staat zu tun hat?

  • Ich denke, Einfallslosigkeit und/oder zynische Resignation sind ziemlich starke Triebfedern für den Zwang, sich mit gewohnten kollektiven Identitäten (im Westen vor allem die Nation, im nahen und mittleren Osten noch stärker Religion und Ethnie) zu identifizieren. Sich als Individuum und als menschliche Spezies neu zu erfinden, kommt den meisten wohl nicht in den Sinn, also strampelt man sich lieber im Hamsterrad ab und festigt seine Identität durch Abgrenzung zu denjenigen, die nicht dazu gehören (sollen).

  • Eine solche kollektive Identität wäre dann z.B. "Anarchist"? Oder geht es immer nur um Identitäten, die man für sich selbst nicht zutreffend findet? ;)


    Einflußreiche Gruppen ziehen immer einen Schwarm hinter sich her, der wenig tiefgründige Identifikation aufweist, dem es vielleicht auch stark darum geht sich Macht zugehörig zu fühlen. Zu sehr verallgemeinern sollte man das aber glaube ich nicht. Auch wenn es bequem ist gerade wenn die eigene Bezugsgruppe gerade nicht viel gesellschaftliche Macht besitzt.


    Was würde es bedeuten sich als Individuum zu erfinden? Eigene Begriffe zu erfinden? Keine aufzugreifen, die ähnliches zu verkörpern scheinen wie das, was man selbst gut findet? Bedeutet sich selbst in etwas zu finden, das man gut findet nicht immer automatisch auch Abgrenzung?

  • Politische Kategorien können natürlich auch zu Kollektividentitäten führen. Ich denke hier an den Ausspruch von Marx: "Ich bin kein Marxist." Demnach sollte man eine politische Theorie eher als kritischen Ansatz begreifen, und nicht als festgefahrenes Konstrukt, das vor allem sinnstiftend wirken soll. "Anarchismus" wäre also eher ein Prozess, ein Werden, kein Sein. Kollektive wie Nation und Religion werden ja zumeist gerade als vorpolitische Gegebenheiten aufgefasst.


    Um einen philosophischen Ansatz aufzugreifen: Der Essentialist will sich finden, der Existentialist will sich hingegen erfinden, mehr noch, er weiß, dass er es MUSS, da alles andere eine Ausflucht vor der Offenheit seiner Existenz wäre. Ich denke, dass dieser Ansatz gerade in unserer heutigen Zeit, in der viele zu althergebrachten Identitäten zurückwollen, um sich vor den Zumutungen der Globalisierung zu schützen, sehr inspirierend sein kann.

  • Ist "Nationalismus" systematisch gesehen eine so andere Kategorie als "Anarchismus"? Die Vorstellungen davon wie man ein Gebiet verwalten sollte unterscheiden sich so wie emotionale Begriffe in diesem Zusammenhang verschieden sind. Daher bin ich mir nicht sicher, ob es hier nicht doch vor allem um ein Messen mit zweierlei Maß geht.


    Letztlich weiß ich aber nicht, was in einem Menschen vorgeht, der für Geld Dutzende Stunden in der Woche andere bestimmen läßt, was er tut. Ich habe glaube ich noch nie nachvollziehen können, wie man so leben kann.


    Viele Menschen sehnen sich soweit ich sehe nach jemandem, der ihnen sagt was sie tun sollen. Sie lassen sich sagen, was sie zu tun haben um "gut" zu sein und tun anderen Gewalt an, wenn sie diese Vorstellungen nicht erfüllen. Wieso ist ein Mensch so?

  • Nationalismus wird in der Regel mit irgendwelchen zugeschriebenen Zugehörigkeiten begründet, die zumeist vorpolitisch sind. Ich denke da z.B. an einen einleitenden Satz aus der "Begriff des Politischen" von Carl Schmitt, nach dem der Staat die politische Erscheinungsform eines Volkes ist, ganz so, als wäre beides was ganz unterschiedliches. Im Gegensatz dazu ist das "Volk" bei Rousseau z.B. erst durch den "Staat" konstituiert. Letzteres entspricht dann eher unserer modernen staatsbürgerlichen Auffassung, hinter die der Nationalismus zurück will.
    Anarchismus ist in dem Sinne inklusiv, nicht exklusiv - die ganze Menschheit ist der Adressat, nicht nur ein bestimmtes Volk. Aber auch hier müssten wir uns die versch. Ansätze der anarch. Geschichte näher anschauen, Anarchisten waren wohl zuweilen auch üble Rassisten und Antisemiten.


    Tja, warum sind Menschen so. Eine verstorbene Keller-Posterin bezeichnete mal Angst und Trägheit als zentrale Motivationsgründe für den Menschen, was es wohl ganz gut trifft. Wir sind verlassene, verängstigte Kreaturen (böse nihilistische Zungen behaupten auch: Eine tragische Randnote der Evolution), da klammert man sich gern an alles, was Halt verspricht. Anders gesehen sind wir eben auch nur haarlose Affen. Schimpansen haben auch eine Art Begräbnisritual, d.h. eine eigenen selbstreflexive Kultur. Zudem schlachten sie ihre Feinde ab und schänden die Leichen, da fragt auch keiner nach der Moral. Klar, die sind nicht so "vernunftbegabt" wie wir, aber die Frage, was denn nun letztlich unser Handeln bestimmt - Vernunft oder Trieb - beschäftigt die Wissenschaft ja schon eine ganze Weile.