Was bedeutet für euch Faschismus und faschistisches Denken und Handeln?

  • Eigentlich waren die Fragen auch eher an alle gestellt, also poste ich sie einfach nochmal an alle, vielleicht gibt es ja unterschiedliche Meinungen:


    Sind das Militär, die Polizei oder auch Sicherheitsdienste strukturelle faschistisch?


    Wie sieht es bei Unternehmen aus, ab wann können diese als faschistisch bezeichnet werden?


    Also sind Hierarchien generell faschistisch?


    Ab wann sind sie das?

    -- Liebe macht frei, Arbeit nicht immer! --


    Steckt nicht in uns allen ein kleiner Anarchist, Spießer, Kapitalist, Faschist, Kommunist, Individualist und Querdenker?

    • Offizieller Beitrag

    Sind das Militär, die Polizei oder auch Sicherheitsdienste strukturelle faschistisch?

    Wenn man bedenkt, wie beim Militär mit Mitgliedern verfahren wird, die nicht mehr mitmachen möchten (sogenannte "Deserteure"), und dass sie sogar einer eigenen Rechtssprechung unterliegen, bei der die Zivilgerichte nichts zu melden haben, dann bin ich schon sehr geneigt, das ganze als "faschistisch" zu bezeichnen. Um so mehr, wenn dann auch noch (so wie in früheren Zeiten) Menschen gegen ihren Willen zum Dienst verpflichtet werden können.
    Bei Polizei und Sicherheitsdiensten tue ich mir etwas schwerer damit, gleich von "strukturellem Faschismus" zu reden. Das sind eben uniformierte Aufpasser-Drohnen, die dafür sorgen, dass die gerade gültigen Gesetze oder das Hausrecht ihres Arbeitgebers eingehalten werden. Wenn wir ihre Tätigkeit deshalb gleich als "faschistisch" bezeichnen, können wir auch gleich jeden Fahrscheinkontrolleur und jeden Türsteher als "Faschist" bezeichnen. Und dann sind wir auf einem Niveau, wo "Faschist" eben nur noch ein Synonym ist für einen Menschen, der andere zu etwas zwingt aufgrund irgendwelcher Regeln.
    Mit dem historischen Faschismus hat das dann aber auch nicht mehr wirklich was zu tun, denn das Phänomen des Faschismus ist eben meines Erachtens ein bisschen vielschichtiger, sonst würde man dafür ja auch gar keinen eigenen Namen benötigen, sondern es einfach nur "Diktatur" oder "Gewaltherrschaft" nennen.

    Wie sieht es bei Unternehmen aus, ab wann können diese als faschistisch bezeichnet werden?

    Siehe oben. Ich denke, dass Unternehmen als sehr vieles bezeichnet werden können... egoistisch, raffgierig, ausbeuterisch, undemokratisch, hierarchisch strukturiert, etc.
    Es gibt so viele Wörter, die man verwenden kann für seine Kritik. Man sollte den "Faschismus" wirklich da lassen, wo er hingehört. Wenn überhaupt, dann würde ich bei Faschismus in diesem Zusammenhang wirklich nur bei Unternehmen reden, die wie in gewissen Sci-Fi-Filmen über ihre eigene Armee verfügen, über dem Gesetz stehen und unliebsame Kritiker und Aussteiger einfach eliminieren lassen. In wie weit es solche Unternehmen heute bereits gibt, ist natürlich eine andere Frage.

    Also sind Hierarchien generell faschistisch?


    Ab wann sind sie das?

    Hierarchien gehören zum Faschismus untrennbar dazu. Aber Faschismus ist eben mehr als nur eine hierarchisch organisierte Gesellschaftsordnung.

  • Für meinen Teil hat die Auseinandersetzung mit der Thematik viel Klarheit gebracht. Der Vortrag vom Kemper war sehr aufschlussreich.
    Dafür möchte ich mich bei allen Beteiligten bedanken!



    Nach meiner Recherche und der Diskussion hier scheine ich nicht der Einzigste zu sein, der sich mit dem Begriff schwer tut.


    Die starke Verfremdung des Begriffs ist meines Erachtens auch zu einem großen Teil auf die Linke zurück zu führen.


    Das die extreme Rechte diesen Begriff nun auch für Ihre Gegner verwendet ist vor allem auf Zensur und Tabuisierung von NS Symbolik und Gedankengut zurück zuführen, das wäre zuindest meine Erklärung.


    Ich würde es mal Symbolguerilla nennen, diese Idee hatte ich schon versucht zu skizieren.


    Ich werde dazu mal einen eignen Thread aufmachen, da ich dies ein spannendes Thema finde und meiner Meinung nach eine großes Potential hat. Natürlich negativ als auch positiv. Allerdings sind mir bisher eher nur negative Beispiele aufgefallen.



    Ich fasse das nach meinem Verständnis noch einmal zusammen:



    Ich denke der Begriff wird in Bezug auf seinen negativen historischen Kontext oft sehr leicht fertig genutzt.


    In wie weit, dass nun negative oder positive Auswirkungen hat, vor allem für wen kann ich noch nicht klar sehen.


    Vielleicht wären eben andere Begrifflichkeiten zielführender, eben wie Machtmissbrauch, Diktatur, Führerkult, Ultranationalismus, Totalitarismus, ...



    Selbst auf Wikipedia steht:


    „Faschismus als übergeordneter Gattungsbegriff eignet sich mithin allenfalls für die Bewegungsphasen der drei genuin entstandenen, gemeinhin so genannten Faschismen in Deutschland, Italien und Japan. Als umfassender Begriff für die Regimephasen trägt der Ausdruck hingegen nicht und kann der völlig unterschiedlichen Herrschaftsabsicherung nicht gerecht werden. Es würde daher der historischen Wirklichkeit wie auch dem historischen Selbstverständnis der damaligen Regime in Berlin, Rom und Tokio besser entsprechen, den abgegriffenen Faschismusbegriff aufzugeben.“


    – Bernd Martin[12]



    Faschismusforscher wie zum Beispiel Roger Griffin, die von einem generischen Faschismusbegriff ausgehen, zielen auf den ideologischen Kern des Faschismus:



    „Da die Definition auf den ideologischen Kern zielt statt auf die konkreten historischen Erscheinungsformen (Führerkult, Paramilitarismus, Politik des Spektakels usw.), mit anderen Worten: da sie Faschismus genau wie andere generische politische Ideologien (Liberalismus, Sozialismus, Konservatismus) behandelt, wird es einsichtig, ein politisches Phänomen auch dann als faschistisch zu betrachten, wenn es nur im embryonalen Zustand im Kopf eines Ideologen und ohne Ausdruck in einer politischen Partei, geschweige denn einer Massenbewegung, existiert. Darüber hinaus mag es sinnvoll sein, eine Form politischer Energie als faschistisch zu erkennen, selbst wenn sie auf die Absicht verzichtet, als parteipolitische und/oder paramilitärische Kraft zu operieren und stattdessen einem Ansatz folgt, der eher mit politischem Quietismus denn mit revolutionärem Fanatismus zu tun zu haben scheint.“


    – Roger Griffin[13]


    Aus <https://de.wikipedia.org/wiki/Faschismus>



    Ich würde das so interpretieren:


    • Der Begriff wird hauptsächlich irre führend verwendet und ist meist nicht zu treffend.
    • Der Begriff kann verwendet werden, wenn embryonale Denkstrukturen, die einen solchen hervorbringen oder fördern zu Grunde liegen.


    Jetzt komme ich wieder auf meine anfängliche Motivation zurück.


    Vielleicht würde es doch Sinn machen diesen anders zu verwenden um mehr Klarheit zu schaffen.


    Entscheidend sind die Denkstrukturen und Haltung der Einzelnen, die ihm zu Grunde liegen.



    Nach allgemeinem Verständnis würde ich das nun so umschreiben:



    Eine Kombination aus der Bedeutung des ursprünglichen Wortstammes, Machtmissbrauch, Nationalismus und Totalitarismus.



    Und nun die letzte Brücke.


    In Bezug auf die zugrunde liegenden Denkstrukturen:



    Es geht um die Bündelung von Kräften. Auf das eigene Bewusstsein oder Ego bezogen wäre das Konzentration.


    Alle störenden oder unerwünschten Gedanken werden auf die Seite geschoben, eliminiert.


    Auf körperlicher Ebene gibt es Ähnlichkeiten zum Immunsystem.



    Mit der Vorstellung der "Volkskörper" ist vergleichbar mit dem eigenen Körper entstehen eben dann solche historischen "Katastrophen".

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    Steckt nicht in uns allen ein kleiner Anarchist, Spießer, Kapitalist, Faschist, Kommunist, Individualist und Querdenker?

  • Das Problem mit Griffins Ansatz, soweit ich ihn verstehe, besteht darin, dass er den Begriff auf die Ebene der Ideologie herunterbricht. Sicherlich macht es Sinn, die zugrunde liegenden Ideologien und Denkstrukturen genauer zu betrachten, anstatt sich an Phänomenen aufzuhängen - Führerkult, Uniformierung etc. Diese Herangehensweise hat ja auch den etwas fragwürdigen Totalitarismus-Begriff befördert, bei dem alles, das sich gegen die bürgerliche Ordnung richtet, als tendenziell totalitär betrachtet wird.
    Faschismus ist aber eben nicht nur Ideologie, sondern eine Bewegung, die auf bestimmten Faktoren fußt - gesellschaftliche Basis, soziale Funktion, Ideologie, wirtschaftliche Voraussetzungen etc.
    In dem Sinne halte ich es für absolut wichtig und zielführend, den Begriff weiterzuverwenden, aber eben nicht polemisch oder verkürzt, sondern um die Strömungen zu beschreiben, die ich zuvor genannt habe.
    Auf den Punkt gebracht: Faschismus ist konservative Konterrevolution mit dem Ziel, soziale und ökonomische Ungleichheiten und Hierarchien aufrechtzuerhalten bzw. noch zu verschärfen. In dem Sinne hilft tatsächlich eine 'linke Brille' dabei, die faschistische Gefahr zu erkennen.

  • Das Problem mit Griffins Ansatz, soweit ich ihn verstehe, besteht darin, dass er den Begriff auf die Ebene der Ideologie herunterbricht. Sicherlich macht es Sinn, die zugrunde liegenden Ideologien und Denkstrukturen genauer zu betrachten, anstatt sich an Phänomenen aufzuhängen - Führerkult, Uniformierung etc. Diese Herangehensweise hat ja auch den etwas fragwürdigen Totalitarismus-Begriff befördert, bei dem alles, das sich gegen die bürgerliche Ordnung richtet, als tendenziell totalitär betrachtet wird.
    Faschismus ist aber eben nicht nur Ideologie, sondern eine Bewegung, die auf bestimmten Faktoren fußt - gesellschaftliche Basis, soziale Funktion, Ideologie, wirtschaftliche Voraussetzungen etc.
    In dem Sinne halte ich es für absolut wichtig und zielführend, den Begriff weiterzuverwenden, aber eben nicht polemisch oder verkürzt, sondern um die Strömungen zu beschreiben, die ich zuvor genannt habe.
    Auf den Punkt gebracht: Faschismus ist konservative Konterrevolution mit dem Ziel, soziale und ökonomische Ungleichheiten und Hierarchien aufrechtzuerhalten bzw. noch zu verschärfen. In dem Sinne hilft tatsächlich eine 'linke Brille' dabei, die faschistische Gefahr zu erkennen.

    Ich würde es mal als deine persönliche Definition bezeichnen. Aber das ist sicher ein Aspekt, aber eben nur einer.

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    Steckt nicht in uns allen ein kleiner Anarchist, Spießer, Kapitalist, Faschist, Kommunist, Individualist und Querdenker?

  • Das Problem mit Griffins Ansatz, soweit ich ihn verstehe, besteht darin, dass er den Begriff auf die Ebene der Ideologie herunterbricht.

    Daher schreibt er ja auch FASCHISTISCHE IDEOLOGIE ist, nicht FASCHISMUS ist ...

  • Ein Paradigma für Faschismus und Paradebeispiel dafür, wie paradox sich sogar das Popper-Zitat durch diese palingenetisch-faschistische Haltung aufheben lässt:
    "Süßer Neger -Bonehead ist Anführer einer Gruppe Nazis in einem der neuen Bundesländer geworden. Auf seiner Bomberjacke steht hinten drauf: "Ich hasse meine Hautfarbe"."
    (Das hab ich ausnahmsweise nicht erfunden und stimmt wirklich. Ich hoffe, dass ich die Fremdwörter einigermaßen geschickt verwendet und verständlich eingesetzt habe :whistling: ) P.s. Neger ist nicht ein Fremdwort für PC und Nazis.

  • Ein Paradigma für Faschismus und Paradebeispiel dafür, wie paradox sich sogar das Popper-Zitat durch diese palingenetisch-faschistische Haltung aufheben lässt:
    "Süßer Neger -Bonehead ist Anführer einer Gruppe Nazis in einem der neuen Bundesländer geworden. Auf seiner Bomberjacke steht hinten drauf: "Ich hasse meine Hautfarbe"."
    (Das hab ich ausnahmsweise nicht erfunden und stimmt wirklich. Ich hoffe, dass ich die Fremdwörter einigermaßen geschickt verwendet und verständlich eingesetzt habe :whistling: ) P.s. Neger ist nicht ein Fremdwort für PC und Nazis.


    Ich kann dir jetzt nicht ganz folgen. Was hat diese lustige Anekdote mit Poppers Toleranz-Paradoxon zu tun?

  • Ich kann dir jetzt nicht ganz folgen. Was hat diese lustige Anekdote mit Poppers Toleranz-Paradoxon zu tun?

    In Bezug auf die Nazis und Toleranzaufhebung bzw das Auflösen der Toleranz. Das Andersdenken des neuen Anführers lässt ihn sogar sein ursprüngliches Indiz für Rassismus ablegen. Die NaziGruppe toleriert das Andersdenken des eigentlichen Opfers von Faschisten/Rassisten. Das bedeutet für mich die Reinkultur davon. Sämtliche Grenzen der Toleranz sind in mehrfachem Sinne überwunden worden, und somit kann ein Faschismus (immer) wiedergeboren werden.
    Ein negatives Beispiel in doppeltem Sinne. Ich verstehe es selber nicht ganz.

  • In Bezug auf die Nazis und Toleranzaufhebung bzw das Auflösen der Toleranz. Das Andersdenken des neuen Anführers lässt ihn sogar sein ursprüngliches Indiz für Rassismus ablegen. Die NaziGruppe toleriert das Andersdenken des eigentlichen Opfers von Faschisten/Rassisten. Das bedeutet für mich die Reinkultur davon. Sämtliche Grenzen der Toleranz sind in mehrfachem Sinne überwunden worden, und somit kann ein Faschismus (immer) wiedergeboren werden.Ein negatives Beispiel in doppeltem Sinne. Ich verstehe es selber nicht ganz.

    Du meinst wohl damit, das durch Intoleranz Toleranz entsteht und umgekehrt. In Bezug auf das Popper-Paradox. Von dem hab ich im übrigens auch schon gehört. Scheint sehr tolerant zu sein diese Nazi Gruppe. Ich denke Toleranz bzgl. Meinung ja, in Bezug auf Verhalten nein. Da sehe ich die Grenze.

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