Religion in einer anarchistischen Gesellschaft

  • Die meisten Anarchos hier werden vermutlich mit mir übereinstimmen, dass Religion einen viel zu großen Einfluss auf Politik und vor allem die Gesellschaft hat. Für jene, die sich angesprochen fühlen hätte ich folgende Frage: Wie sollten wir diese Macht praktisch einschränken?


    Ich finde ja, das (wenn es hypothetisch möglich wäre) nur noch Menschen religiös werden sollten wenn sie das unabhängig entscheiden und nicht, weil sie von ihren Eltern und ihrem Umfeld so erzogen und konditioniert wurden. So wären Atheismus, Agnostizismus und Apatheismus hoffentlich irgendwann der Standard und nicht mehr irgendwelche abtrusen Sekten die ohne jede logische Grundlage ein abstraktes Wesen verehren. Selbstverständlich will ich sowas nicht verbieten wollen - aber der Glaube sollte halt vollständig Privatsache werden und möglichst auch aus der Erziehung verschwinden. Nur ehrlich gesagt fällt mir kein zwangloser Weg ein der so einen Zustand effektiv herbeiführen könnte.


    Diskussion eröffnet.

  • Ein Anfang wäre es, Dinge wie die Taufe oder die Beschneidung von Säuglingen zu verbieten. Mit welchem Recht bestimmen Eltern über den Glauben und sogar Körper ihrer Kinder? Wenn du einem Neugeborenen aus Spaß einen Finger abtrennst ist der Aufschrei zu Recht groß. Verstümmelst du aber unter religiösem Deckmantel sein Geschlechtsorgan, so geht das völlig in Ordnung. What the actual fuck! Die meisten Menschen werden aber (leider) nicht religiös, wenn sie nicht schon so erzogen wurden oder von Missionaren eine Waffe unter die Nase gehalten bekommen. Ein weiteres Problem sind Gesetze, die Kritik an Religion und Glauben als Blasphemie verteufeln. Wenn du einen Holocaustleugner für seine Ansichten kritisierst ist alles okay. Religiöse Menschen hingegen können immer ausweichen und Debatten mit der Begründung beenden, ihre religiösen Gefühle würden verletzt. Meine Gefühle werden doch mindestens genauso verletzt wenn Sonntag morgens die Glocken läuten oder Menschen von lustigen Türmchen aus lautstark rumbrüllen. Glaube ist Privatsache.

  • In einer idealen Anarchie hat niemand genügend Macht, um die Macht der Religion einzuschränken. Mein Ansatz wäre deshalb, die Leute darüber zu informieren, wie der Glaube an Gott wahrscheinlich entstanden ist, wie Herrscher bereits Götter und Religion zur Unterjochung instrumentalisiert haben und welch grandioser historischer Bullshit "in Gottes Namen" schon passiert ist. Ich würde also auf die Macht des Wissens vertrauen - eine andere Möglichkeit sehe ich auch nicht, man kann Leuten ja nicht verbieten, sich zu religiösen Gruppen zusammenzuschließen, ohne die Anarchie zu verraten. Und natürlich kann man noch auf die wissenschaftlichen Ansätze bauen, die es gibt, um etwa die Vielfalt der Tier- und Pflanzenwelt zu erklären, damit die Kreationisten und ähnliche Typen es möglichst nicht in die Anarchie schaffen (die Menschen gern, die Gesinnung ist mir jedoch sehr zuwider).


    Dass es im Gebüsch raschelt, weil dort ein Raubtier sitzt, war einst natürlich eine fürs Überleben durchaus nützliche Vermutung. Aber wenn es donnert, steckt halt kein mächtiger Super-Säbelzahntiger dahinter, der sich irgendwo in den Wolken versteckt und sich mit Opfern besänftigen lässt, sondern Meteorologie und Elektrodynamik. Wenn man allerdings mit religiösen Fanatikern diskutiert, ziehen diese sich meist irgendwann auf "die Bibel" oder ihre "Erfahrung beim Beten" zurück (oder schlagen vor, man sollte erst mal ein paar tausend Bibelzeilen auswendig lernen, bevor man mit ihnen diskutieren darf, oder zitieren Artikel von "Biblischen Forschungsinstitut für neue Wissenschaften" oder so). Sowas sollte man möglichst verhindern, denn ich denke, das ist auch für die Leute, die ein uraltes Buch aus einem Land vor unserer Zeit für den ewigen Schrein des Weisheit halten, eher hinder- als förderlich.


    Wenn alle Anstrengungen zur Einschränkung der auf Religion basierenden Machtstrukturen nicht funktionieren, nun, dann ist die Zeit der Anarchie für die beteiligte Menge von Menschen wohl noch nicht gekommen.

  • Wenn Religiosität einfach nur bedeuten würde, dass man an die Existenz einer imaginären Märchenfigur glaubt und zu deren Ehren lustige Tänze und Gesänge aufführt, hätte ich vermutlich nie eine so starke Abneigung gegen Religionen entwickelt. Dummerweise gehört zu den allermeisten Religionen auch der Missionierungs- und Überzeugungseifer untrennbar mit dazu... schließlich ist den Menschen von ihren heiligen Märchenfiguren ja aufgetragen worden, nicht nur selbst an diese Geschichten zu glauben und alle andersgläubigen Menschen in Ruhe zu lassen, sondern den Glauben weiterzureichen, weil sich ihre Märchenfigur im Himmel dann ganz doll freut.
    Und spätestens, als dann in der Schule von mir verlangt worden ist, im sogenannten "Religionsunterricht" irgendwelche Märchenfiguren-Sprüche auswendig zu lernen, und mir dann noch unsympathische Religionslehrer irgendwas von moralisch richtigem und falschem Verhalten erklären wollten, war bei mir Schluss mit lustig. :basi:


    Das Problem ist nur, in einer anarchistischen Gesellschaft wird von den Menschen als selbständig denkende Individuen ja geradezu erwartet, dass sie sich und ihre moralischen Grundsätze mit in die Gesellschaft einbringen, anstatt einfach nur still zu sein und sich alles gefallen zu lassen. Und ich sehe keine logische Begründung, wieso man einem Kommunisten erlauben sollte, in aller Öffentlichkeit für seine Ideale einzutreten, aber dem gläubigen Christ, der Abtreibung für Mord hält, entgegnet, dass er seine moralischen Grundsätze gefälligst nur in seinem stillen Kämmerlein ausleben soll.
    Ist ein moralischer Standpunkt automatisch weniger wert, nur weil er ursprünglich in irgendeinem Märchenbuch erwähnt wurde? Hat der Kommunist nicht vielleicht auch einfach nur nachgeplappert, was er in irgendeinem Märchenbuch namens "Das Kapital" gelesen hat? Wieso sollte dessen Ansicht dann mehr wert sein als die eines religiös geprägten Menschen?


    Und richtig problematisch wird es dann bei der Kinder-Erziehung. Selbst wenn man sich darauf einigen könnte, dass es keine frühkindliche Taufe und keine Beschneidungen mehr gibt, wäre da immer noch die alltägliche, ganz normale Konditionierung bzw. Beeinflussung der Kinder durch ihre Eltern... erst recht dann, wenn es in einer anarchistischen Gesellschaft keine Schulpflicht mehr gibt.
    Wer kümmert sich darum, dass die Kinder trotzdem verschiedene kulturelle Einflüsse kennenlernen, und sie nicht nur in einer totalen Monokultur aufwachsen, weil sich ihre Eltern wie die Amishpeople in irgendwelche Dorfgemeinschaften zurückgezogen haben, wo es für die Kinder dann kein Entrinnen vor der allgegenwärtigen Gehirnwäsche gibt?

  • Klingt jetzt vielleicht ungewollt elitär, aber wenn ich die Wahl hätte, ich würde ins menschliche Saatgut meiner anarchistischen Gesellschaft vermutlich erst einmal nur Atheisten aufnehmen.


    So würde man Christentum, Islam und Co. vielleicht endgültig los. Weil ich glaube, dass der Atheismus gewissermaßen der Naturzustand des Menschen ist und dass die Religionen nur überhaupt erst so stark geworden sind, weil sich viele Dinge vor ein paar hundert Jahren eben ohne Götter oder andere Fabelwesen nicht wirklich gut erklären ließen. Heute fehlt dieses Nichtwissen als Grundlage aber. Wenn sich dann trotzdem Religionen entwickeln, dann ist das eben so, aber dann werden das vielleicht eher lustige Tänzer als geifernde Prediger und Missionare.

  • Gott ist ein menschengemachtes Hirngespinst, dass von ungebildeten Höhlenbewohnern konstruiert worden ist, um Phänomene zu erklären, die damals nicht erklärt werden konnten. Diese steinzeitliche Ideologie hat bis zur Neuzeit überlebt und lässt sich nicht aus den fantasielosen Köpfen der verblödeten Masse kriegen.
    Religionen und Kirchen sind Massenkontrolle und Volksverblödung. Dank ihrem Einfluss sind schon ganze Völker ausgelöscht worden, unzählige Frauen und Kinder misshandelt und verstümmelt worden und haben den technischen und sozialen Fortschritt in vielen Ländern gebremst.
    Mal von dieser radikalen persönlichen Ansicht/Beobachtung abgesehen: Grundsätzlich lehnen Anarchisten Religion ab, weil sie sich nicht einer höheren Macht oder einem (nichtexistierenden) höheren Wesen unterwerfen wollen. Religionen dienten schon immer als Mittel zur Unterdrückung und als nie versiegender Quell von Intoleranz, Sexismus und Terrorismus.
    In Diskussionen mit pro-religiösen Menschen wird immer argumentiert, dass die Kirche und die Weltreligionen der Welt doch auch soviel Gutes gegeben haben...mein Gegenargument ist , dass moralisches Handeln, Mitgefühl und Nächstenliebe auch ohne Religion praktiziert werden kann, allerdings wären viele Kriege und unzählige Terroranschläge der Geschichte ohne religiöse Motivation gar nicht möglich gewesen. Anders gesagt, der Schaden, den die Weltreligionen auf dieser Welt schon angerichtet haben, lässt sich gar nicht mit dem der Anarchisten vergleichen. Dagegen sind wir eine niedliche Vorstadt-Schlägertruppe.
    Ich denke, in einem konsequent durchgesetzten Anarchismus würden sämtliche religiöse Traditionen, die unfreiwillig sind und auf Zwang beruhen, abgeschafft und durch freiheitsorientierte Aufklärung ersetzt werden. Weihnachten, Ostern und andere Feiertage müssten nicht abgeschafft werden meiner Meinung nach, allerdings sollte jedes Individuum selbst bestimmen, inwiefern man daran teilnehmen möchte, also kein Zwang durch Familie, Arbeit etc.
    Am wichtigsten finde ich es, dass man Kinder nicht gleich nach der Geburt in eine Religionsgemeinschaft zwingt (was sowieso echt pervers ist), sondern sie im Verlauf ihrer Kindheit über die verschiedenen Religionen aufklärt und dass sie ab einem individuell bestimmten Zeitpunk selbst bestimmen können, ob das was für sie ist. Ich denke, durch so eine Erziehung würden die Kirchen und Religionen automatisch irgendwann an Macht und Einfluss verlieren...und vielleicht sogar zu Grunde gehen. Dies ist natürlich eine utopische Vorstellung. Ich zweifle auch daran, dass ich sowas je erleben werde.

  • Religion in einer anarchistischen Gesellschaft?
    Das hat doch nichts mit fehlender Herrschaft zu tun, wenn es Gruppen gibt, die meinen Verstand mit uralten Psychotricks infiltrieren und verbiegen. So etwas dürfte meiner Meinung nach garnicht mehr existieren, wenn Menschen jemals in einer anarchistischen Welt leben würden.
    Dass Religion in diesem Staat noch keine Privatsache ist, kotzt mich übrigens mehr an, als diverse Unangenehmlichkeiten über die hier des öfteren mal gejammert wird. Da freut man sich, dass die Kirche Mitglieder verliert und muss dann mitansehen wie neuerdings Muslime die Gesellschaft beeinflussen *würg*
    Religion ist ja nicht einfach nur eine mysteriös angehauchte Idee, abseits von wissenschaftlichen Erkenntnissen, mit der man sich die Welt erklären kann und keinem schadet solange man es nicht übertreibt.
    Religiöses Denken, vor allem wie man es z.b. von den Kirchen und den Kopftuchfuzzis kennt, behandle ich wie eine gefährliche Droge, die den Verstand ausschaltet und religiöse Institutionen betrachte ich als Gruppen, die von entsprechend geschädigten Menschen profitieren.
    Ich bin dafür, dass Menschen möglichst früh lernen mit der Wirklichkeit klar zukommen, anstatt ihren Plan vom Leben auf Lügen und schönen Versprechungen aufzubauen. Früher oder später folgt ja doch die Ernüchterung, dass die Widrigkeiten der Realität dadurch nicht verschwinden. Gut, wenn die Drogen niemals ausgehen, klappt das vielleicht ganz gut aber ich persönlich stell mir das sehr armselig vor und ich halte auch generell nichts von Abhängigkeiten, die ernsthafte Schäden verursachen können.
    Die Macht der Religionen wird oft unterschätzt und ich werde sie nach allen Kräften vom Nachwuchs fernhalten, bis er Verantwortung für sich selbst übernehmen kann. Man verringert hoffentlich die Empfänglichkeit, wenn man kritisches Hinterfragen fördert und möglichst früh aufklärt bzw. entsprechendes Wissen vermittelt.
    Aber das allein schützt wahrscheinlich auch nicht davor, das (meist noch jungen) Menschen trotzdem das Hirn mit religiösem Firlefanz verheddert wird. Das hat anfangs mit lustigen Liedern und Freizeitevents und später dann mit simpler, menschlicher Gewohnheit bis hin zu Verzweiflung an der Realität, Unglück und der Sehnsucht nach Lebenssinn zu tun, und nicht einfach nur mit fehlender Aufklärung.
    Wenn man in einer Gesellschaft lebt, die auf die tatsächlichen Bedürfnisse der Menschen ausgelegt ist, mit genug Möglichkeiten für jeden und der Illusion, etwas Sinnvolles zu tun, haben es Religionen bestimmt schwerer als jetzt, aber ich glaube nicht dass die Menschen jemals komplett darauf verzichten werden.


    Also wenn man den Menschen ihren Gott UND das Streben nach Geld austreiben will, bleibt wohl nurnoch Star Trek.
    Jean Luc Picard ist größer als der Papst ! Heil Data ! Ha !


    Trotzdem viel Erfolg bei der konsequenten Durchsetzung des Anarchismus ;-)

  • @Abfallverwertung
    Ich will dir ja nixs einreden, aber;
    Eine anarchistische Gesellschaft wird es niemals geben.
    Und was soll das überhaupt sein?
    Mit solchen Dingen verschwendest du nur deine Energie.

  • @Abfallverwertung
    Ich will dir ja nixs einreden, aber;
    Eine anarchistische Gesellschaft wird es niemals geben.
    Und was soll das überhaupt sein?
    Mit solchen Dingen verschwendest du nur deine Energie.

    Sofern du das ernst meinst: Es gab sie bereits mehrmals, und wenn wir die Definition einfach auf die bloße Abwesenheit von Hierarchie beschränken würden ist sie sogar der Standardzustand der Natur und auch der Menschheit bis vor einigen 10000 Jahren. Aber so einfach geht das nicht... Und wofür sollte ich meine Energie sonst verschwenden?

  • Obwohl, Theoretisch könnte es schon parallel-Gesellschaften geben.
    Da müssetn aber die richtigen Köpfe ran.