Anarchismus

  • Free floating clicktivism ist jedenfalls ein lustiges Wort. Also, wie könnte man die 'After Corona Zeit', ich nenne es einfach mal so, nutzen?
    Was sind die radikal staatskritischen Positionen?
    Lohnt es sich jetzt doch wieder auf den soft- nazi zuzugehen ;) im Sinne von Umbruch, oder ist es dafür noch zu früh um darüber zu sprechen ?
    Man weiß ja nicht, was noch so alles gespielt wird. In Oberösterreich wird zum Beispiel ab Montag wieder alles gelockert, und hier (Ostdeutschland) feiern, grillen und saufen sie seit heute auch wieder sehr ausgelassen.
    Eine Krise bedeutet ja nicht anderes als 'Zeit der Veränderung' (im chinesischen zumindest), das sollte man nutzen, wenn man weiß wie!?

    Sagen wir mal so: Viele Linke und Linksradikale scheinen derzeit etwas zu schwanken zwischen der als notwendig erscheinenden Solidarität und der Kritik der staatlichen Maßnahmen, die hierzu vermeintlich ergriffen werden. Mit eher von rechts zitierten Verschwörungstheorien will man sich nicht gemein machen. Leider haben auch durch den antideutschen Diskurs viele verlernt, Feinde klar zu benennen.
    Es gibt zudem bei eher bürgerlichen Bauchlinken ein kleines "Gutmenschen-Problem" (auch wenn ich den Begriff hasse, aber insgeheim verwenden wir ihn tatsächlich oft) - Fixierung auf marginalisierte Gruppen (was ja an sich gut ist), aber eben mit gleichzeitigem Appell an den Versorger- und Beschützer-Staat. Nun steht man oft vor dem Dilemma, im Rahmen von Bündnissen grundlegende Positionen (z.B. das Verhältnis zum Staat) abschwächen zu müssen. Vielleicht sollte man hier weniger Kompromisse eingehen. Ich bin mitterweile recht hart: Wer mit der Polizei kooperiert (edit: Das ist vielleicht etwas missverständlich formuliert. Mir geht's um so Sachen wie z.B. Zusammenarbeit mit dem Staatsschutz. Dass es Sinn machen kann, die Strafverfolgung für sich einzuspannen, ist eine andere Sache), bekommt weder Schutz noch Solidarität, auch nicht wenn er zur Zielscheibe von Nazis wird. Die Leute müssen verstehen - und das wird in Zeiten des Ausnahmezustandes recht deutlich - dass der Staat in letzter Konsequenz kein Verbündeter sein kann. Ja, ich werde mich sicher nicht beschweren, wenn die Polizei irgendwelche rechten Gruppen aus dem Verkehr zieht. Aber auch hier ist Jubel unangebracht, denn wir wissen, dass wir alle die nächsten sein können.
    Zu begrüßen ist die Tendenz, sich Räume kollektiv auf legalem Wege anzueignen, um nicht angreifbar zu werden. Ich glaube, das hat die Berliner Szene teilweise verpennt, anderswo läuft das besser.

  • Wenn ich allein auf dem Dorf wäre, würde ich mich vermutlich nicht unbedingt mit dem Schild auf den Marktplatz stellen ;)
    Bei Nacht und Nebel Plakatieren und Flyern wäre da eher eine Option. Ich seh in der Großstadt öfters mal recht gute Plakate zum Thema. Etwas mehr als "gegen faschistoide Maßnahmen" sollte da natürlich schon draufstehen ;)
    Es gibt auch anarchistische Gruppen, die sich in Stadtteilen organisieren und durch Plakate/Flyer auf sich aufmerksam machen. Die bieten eine Mischung aus solidarischen Aktionen für Bedürftige und gemeinsamer kritischer Reflexion über das Geschehen an. Und natürlich wird auch die mögliche Reaktion von Faschisten kritisch beobachtet. (Zum Verhältnis von Rechten und Staat wurde doch eigentlich genug gesagt. Rechte sind konforme Rebellen, sie lehnen sich gegen die liberalen Seiten der Gesellschaft auf, nicht gegen die repressiven. Im Gegenteil, sie wünschen sich eine noch ordentlichere Ordnung. Attraktiv ist das insofern, als dass man seinen Hass auf marginalisierte Gruppen richten kann, anstatt die schwere Frage nach einer besseren Gesellschaft für alle bzw den größten Teil zu stellen).
    Wenn ich ganz allein wäre, würde ich erstmal versuchen, Verbündete zu finden. Dann würde ich immer eine Strategie aus überregionaler Vernetzung und lokaler Verankerung fahren.
    Stichwort soziale Multiplikatoren: Wenn man 'einflussreiche' Bereiche bzw Personen auf seine Seite zieht, kann man auch größere Mengen an Menschen 'steuern'. Wenn es z.B. irgendwelche Gruppen oder Überreste alter Bewegungen gibt, kann man die vllt. reaktivieren. Das ist allerdings wieder etwas komplex, weil es hier um Bündnisarbeit und entsprechendes diplomatisches Fingerspitzengefühl geht.
    Ein anderer wichtiger Punkt, gerade im Osten (aber natürlich nicht nur) sind Sportvereine und die Fußballkurve. Die sind in der Regel ziemlich hierarchisch - wenn man hier die richtigen Leute auf seine Seite zieht, ist das viel wert.
    Das jetzt alles mal ganz allgemein. Jeder kennt sein Dorf selbst am besten. Immer schön 'bodenständig' bleiben, linke Klugscheißer gibt es schon mehr als genug...

  • Das mit den Sportvereinen war nur ein Beispiel - ob du jetzt im Schützenverein oder auf dem Tennisplatz was anderes sinnvoller außer Schießen und Tennisspielen machen kannst, steht in den Sternen ;) Es würde wohl auch Sinn machen, im weiteren Radius mal zu schauen, ob es schon sowas wie autonome Projekte gibt, die offen für Außenstehende sind, offene Treffen etc. Das ist eben oft ziemlich subkulturell und in der 'eigenen Blase'. Ist eben die Frage, was man will.
    (Ich war mal in einem anarchistischen Projekt (nicht in Deutschland), das eine ziemlich coole Mischung aus Hausbesetzung, Gegenöffentlichkeit (eigene Zeitung), Aktivismus (Unterstützung von Schüler- und Studentenprotesten z.B. zu dem Zeitpunkt, als ich da war), Selbstversorgung (eigene Landwirtschaft) betrieben hat. Häufig steht man hierzulande aus bekannten Gründen vor dem Problem der Finanzierbarkeit und wird abhängig, wenn man sich z.B. auf Fördermittel verlässt. )

  • Ja, das waren meines Wissens größtenteils Einheimische. Was vielleicht auch daran lag, dass es eine Insel war ;-)
    Wobei anzuführen ist, dass in vielen solchen Projekten auch Geflüchtete und Obdachlose Zuflucht finden bzw gefunden haben.


    Vielleicht befinden wir uns gerade heute wieder in der Situation, in der eine stärkere Bezugnahme auf anarchistische Ideale geboten ist. Es darf sich kein blinder Fleck in der Linken entwickeln, bei dem wieder die alte Teilung in Haupt- und Nebenwidersprüche übernommen wird. Sprich Klassenkampf 'unten gegen oben' im Mittelpunkt, ohne Fokus auf grundlegende Staats- und Institutionenkritik. Zumindest sollte der Anarchismus als eine Art Regulativ dienen. Ist mir aufgefallen, als ich mir die letzten Videos des 'Willkommen im Neoliberalismus'-Kanals auf Youtube reingezogen habe, den ich ja im Grunde recht gut finde. Das Problem ist, dass hier der Staat wiederum verkürzt als reines Instrument betrachtet wird, das man sich aneignen sollte, um es gegen 'die da oben' in Stellung zu bringen. Wie findet man einen funktionierenden Mittelweg, das ist die Frage - denn von heute auf morgen erschlagen können wir den Leviathan leider nicht, ohne dass sich viele kleine Leviathane aus den Fluten erheben würden.

  • Ich denke die sind nach wie vor aktiv und aufgrund ihrer Abgelegenheit vom Festland auch nicht so sehr von Repression und Räumung bedroht wie andere.
    Es geht mir nicht mal um Utopien bzw gesamtgesellschaftliche Umwälzung, sondern um Formen der Organisierung außerhalb staatlicher Zusammenhänge. Die Gefahr besteht darin, wenn viele den Fokus auf linke Regierungsmehrheiten richten und letztere dann Erwartungen nicht erfüllen können - in der Konsequenz droht die Gefahr, dass die Stimmung dann erst recht nach rechts kippt, wie man am Beispiel Griechenland sehen kann. Insofern ist es fatal, sich darauf zu fokussieren, den Staat übernehmen zu wollen - zumindest wenn das dann alles ist. Das andere Extrem besteht darin, sich nur noch durch seine Abgrenzung zum Staat zu definieren und in einen Isolationismus zu verfallen, der irgendwann zum Selbstzweck wird. Auch das kann man bei vielen Anarchos beobachten. Die Frage ist, ob und wie ein taktischer Mittelweg möglich ist. Momentan sieht das ja hierzulande oft so aus, dass auf staatliche Fördergelder abgezielt wird, ein Grundeinkommen gefordert wird etc. Solange man sich bewusst ist, dass das Ganze rein taktischer bzw instrumenteller Natur ist, ist das ok. Nur zeichnet sich bei vielen eine Wiederbelebung des klassischen Marxismus ab, und das kann aus oben genannten Gründen gefährlich werden.

  • Besser als jede Abhandlung: 'The Dispossessed`von Ursula Le Guin, in den deutschen Übersetzungen immer mit verfehlten Titeln wie 'Die Enteigneten' oder 'Planet der Habenichtse' versehen. Richtiger wäre 'Die Besitzlosen', denn hier handelt es sich um eine Sci-Fi-Sozialutopie über eine anarchistische Gesellschaft auf einem anderen Planeten und deren innere Widersprüche und Fallstricke, wobei die Autorin dennoch klar auf der Seite der Anarchie steht. Wer sich abseits dumpfer 'Anarchismus ist Recht des Stärkeren' Sprüche für eine tiefsinnige Darstellung der Probleme des freien und eigentumslosen Zusammenlebens interessiert, dem sei dieses Werk wärmstens empfohlen. Ach was, es ist absolute Pflichtlektüre für jeden, der sich für sozialkritische (Sci-Fi-)Literatur interessiert :-)

  • Besser als jede Abhandlung: 'The Dispossessed`von Ursula Le Guin

    Ach was, es ist absolute Pflichtlektüre für jeden...


    wer zu faul zum lesen ist, kann es sich auch vorlesen lassen... hier "the dispossessed" von le guin als hörbuch (komplett in deutsch):


    http://www.anarchonauten.com/u…edispossessed-deutsch.rar


    (Der anarchistische Klassiker aus dem Jahre 1974. Ein utopischer Science Fiction Roman, der 200 Jahre nach einer anarchistischen Revolution angesiedelt ist.)


    ...und für alle die bei 0 anfangen gibts natürlich noch weitere ideen, was man gesehen und gelesen haben sollte zum thema anarchismus:


    http://www.projekta-film.net/anarchie/


    (Ihr wollt mehr wissen? Hier sind ein paar persönliche Tipps zu anarchistischen Büchern und Filmen, die uns am meisten beeindruckt haben und eher einer Einführung in das Thema dienen)

  • Ein Ansatz, der vermutlich mit dem Unity-Anarchismus weitaus mehr gemein hat als Bakunin, Machno und Co., ist derjenige von Thoreau. Ähnlich wie der Saint war Thoreau ja auch ein verhinderter Pädagoge, der das Heil eher in der Abgeschiedenheit von der Masse suchte, anstatt an irgendwelchen sozialen Kämpfe aktiv mitzuwirken. Dabei bleiben seine Appelle gegen staatliche Bevormundung und für freie Entfaltung natürlich hochpolitisch und machen ihn zu mehr als einem eigensinnigen Eigenbrötler, der einfach nur seine Ruhe will. In Zeiten, in denen Wald und Natur wieder mehr zu Gegenentwürfen zur zivilisatorischen Knochenmühle werden, sind die libertären Ideen Thoreaus wohl eine der besten Möglichkeiten, seinen inneren Rückzug progressiv zu unterfüttern.


    Edit: Hier ein Original-Text anstatt Links zu beknackten Seiten:
    https://pdfs.semanticscholar.o…858-1147774749.1589579858

  • Wo weißt Du eigentlich so genau, was „Unity-Anarchisten“ sonst noch so machen, wenn sie nicht im Netz sind?