Nestor Makhno - Anarchy in the UKraine

  • ...mit Schmerzen geboren werden, und meistens dann auch wieder scheitern bzw. zu großen Teilen wieder relativiert werden, weil man gar nicht so viel reaktionär denkende Menschen totschlagen kann, wie aus der rachsüchtigen Masse der Trauernden nachrücken werden.Deshalb bin ich auch generell sehr desillusioniert, was Gedanken an eine "Revolution" angeht. Also mal realistisch betrachtet. Angenommen, es gibt eine linksradikale/anarchistische Revolution. Ok, die Nazis würde man aufknüpfen, weil die halt erstmal alle weg müssen. Angenommen, man könnte sich darauf sogar einigen. Aber dann gäbe es immer noch genügend Bürgerliche aus der Mitte, die eigentlich keine Rassisten oder Faschisten sind, aber sich trotzdem ihre Privilegien und ihren Wohlstand nicht nehmen lassen, und sich dann vermutlich auch radikalisieren und militarisieren würden, um sich gegen die Revolutionäre zu wehren. Und spätestens, wenn man versuchen würde, die auch alle aufzuknüpfen, wären die ganzen Ideale von Toleranz und Vielfalt ad absurdum geführt und man wäre doch wieder nur ein weiteres gleichmacherisches Unterdrückungsregime wie alle anderen auch.
    Also ich sehe da nicht wirklich einen realistischen Weg. Aber ein Anfang wäre zumindest mal, wenn die anarchistischen Bemühungen in der Ukraine oder in Spanien etwas mehr ins Licht der Öffentlichkeit gerückt werden würden, gerne auch durch Filme oder Computerspiele... damit zumindest wenigstens mal darüber geredet bzw. nachgedacht werden würde. Jede Bewegung braucht ihre Helden bzw. Ikonen, als Identifikationsfigur, oder meinetwegen auch um sich daran zu reiben, weil es sehr widersprüchliche Helden sind.


    Ich bezog das gar nicht mal auf irgendwelche linken oder anarchistischen Revolutionen, sondern auf jede Form der politischen Umwälzung. Die Errichtung der französischen oder amerikanischen bürgerlichen Demokratie nur als Beispiel. Es wird eben immer so getan, als seien es nur die "totalitären" Strömungen gewesen, die über Leichen gehen. Das ist eine populäre moderne demokratische Erzählung.
    In diesem Zusammenhang stelle ich eben die Frage, wie es denn anders gehen kann oder soll, wenn man auf Positionen stößt, die sich nicht versöhnen lassen. Die Vorstellung, dass alles auf der Basis gegenseitiger Übereinkunft abläuft, ist eben nicht unbedingt glaubhaft. Wenn man also die Idee des Anarchismus retten will, muss man sie meines Erachtens etwas relativieren. Wenn ohnehin kein realistischer gangbarer Weg besteht, wäre das reine Gedankenspiel für mich eher überflüssig (das trifft auch für diverse anarchistische Positionen - z. B. die streng pazifistischen - meines Erachtens zu). Ich kenne diverse "Ex-Anarchos", die aus Gründen der "Machbarkeit" ins marxistisch-kommunistische Lager gewechselt sind. Anarchismus ist ja teils als 'Kinderkrankheit' verschrien. Und auch wenn mir persönlich Labels nicht mehr viel bedeuten, halt ich es für bedeutsam, das Konzept neu zu denken - schon allein, um der Etablierung von Herrschaftsdenken entgegenzuwirken. Ob man überhaupt an dem Begriff des Anarchismus festhalten will, oder - wie z.B. Bookchin - einen neuen wählt, ist ohnehin die Frage.

  • Lonewolf: Ist deine Frage nach der Lehre nun als anachronistisch zu verstehen? ;)
    Man stelle sich hier vor, daß man im Beispiel von Platons Höhlengleichnis nicht aus der Höhle hinaus- sondern hineingeht, und die wunderbaren Zeichnungen der Ahnen neu für sich entdeckt (Primitivismus). Nur mit dem Unterschied dass sich der Vorwurf auf heutige Verhältnisse nicht übertragen lässt, da technischer Fortschritt und wissenschaftliche Errungenschaften voll und ganz der menschlichen Natur entsprechen. Warum auf Hilfreiches verzichten und Schädliches fördern?
    Es kann doch einen Zwischenweg geben? Wissen sollte unbedingt auch weiterhin und vermehrt weitergegeben werden, der Missbrauch von Macht aber viel strenger sanktioniert, und der Vorwurf der 'Barbarei' mit der Kirche im Dorf.

    Ich verstehe nicht so ganz, was du hier mit Anachronismus meinst. 'Primitivistisch' soll aus Sicht der Kritiker das Ganze ja schon im damaligen Kontext gewesen sein. Wobei für mich, wie gesagt, dennoch eine positive Bewertung überwiegt. Ich würde Aussagen Makhnos, die diese Vermutung aufkommen lassen, auch eher als Bezugnahme auf sein revolutionäres Subjekt (die Bauern) beziehen.
    Gerade der Gedanke der Modernisierung ist ja sowohl im Kontext des Kapitalismus als auch des Marxismus nicht unproblematisch - dass hier eine gewisse 'Natürlichkeit' verklärt wird, ist für mich zumindest nachvollziehbar. Wie sich das dann längerfristig entwickelt hätte, ist Spekulation.

  • Die an sich offensichtlichste Lehre - auch wenn das banal klingen mag - ist für mich der Punkt der Mobilisierung und Organisierung - und das möglichst horizontal. Egal ob wir hier von Makhno, Spanien oder Nordsyrien reden, hier wurden bzw. werden in Ausnahmesituation verteidigungsfähige alternative Strukturen aufgebaut. Wenn das Haus, das ich baue, beim ersten Sturm zusammenbricht, kann ich auch nicht feststellen, ob es langfristig stehengeblieben wäre. Umgekehrt sehen wir an heutigen spontanen urbanen Aufständen, wie kurzatmig das Ganze zumeist ist - oder es wird von reaktionären Kräften übernommen. Anlässlich des Umsturzes in der Ukraine vor einigen Jahren wurde von einigen Anarchisten ein Text veröffentlicht, in dem genau dieser Mangel an Organisierung bemängelt wurde. Die ukrainische Linke sowie die paar Anarchos hatten genau das nicht - verteidigungsfähige Strukturen, also haben die Faschisten, die besser aufgestellt und gewalterfahrener waren (u.a. Hooligan-Spektrum), letztlich auch die Straßen dominiert.
    Man kann die Liste fortsetzen. Heute erleben wir immer wieder "spontane Ausbrüche des Volkszorns", in denen einige die Vorboten kommender Bürgerkriege sehen wollen (diesen Alarmismus würde ich zurückweisen). In den oben genannten historischen Aufständen konnten entsprechende Ausnahmezustände (Russland-Revolution, Syrienkrieg, Franco-Putsch) zumindest kurzzeitig strategisch genutzt werden. Man muss also meines Erachtens stärker den Aspekt der Vorbereitung auf Situationen, die wir nicht unmittelbar kommen sehen, betonen, anstatt nur abstrakt über die Möglichkeiten anarchistischer Gesellschaften zu philosophieren. Das kommt insgesamt zu kurz.
    Wie ShadowX richtig bemerkt hat, reicht es nicht, ein "starker Denker" zu sein.

    • Offizieller Beitrag

    Ich bin verwirrt...
    ist die korrekte Schreibweise jetzt "Makhno" oder "Machno"?
    Wenn ich "Nestor Makhno" eingebe, spuckt Google deutlich mehr Ergebnisse aus.
    Im deutschen Wikipedia schreiben sie allerdings "Machno". Im englischen Wikipedia wiederum nennen sie ihn "Makhno".
    Auf ukrainisch/russisch heißt es "Нестор Махно". Das kyrillische "x" übersetzt man ja üblicherweise mit "ch", weshalb ich eigentlich auch eher zu "Machno" tendieren würde.


    Wird der gute Mann also International anders geschrieben als im Deutschen? Oder kann ihn jeder so schreiben, wie er möchte? (Würde bei einem Anarchisten ja auch Sinn machen. ^^ )

  • @Dian:


    Revolutionen lassen sich schon gut umsetzen, da gibt's historisch massive Beispiele - allein schon die Tatsache, dass Monarchie und Feudalherrschaft vorbei sind, zeigt das schon sehr eindrücklich. Und natürlich kann man auch ausreichend Leute umbringen, wenn man 'ne Ordnung etablieren will. Wir Deutschen z.B. haben das lebendige Judentum in Deutschland und einem nicht unbedingt kleinen Teil Europas sehr effektiv ausgelöscht. Das Gleiche gilt für diverse andere Völkermorde ... wenn die erfolgreich verlaufen, geht's den Resten dann so wie diversen Ureinwohnern in Amerika, Australien, etc. Da kommt dann keine Konterrevolution mehr ... und wenn alle tot sind, wird sich auch niemand mehr rächen oder erinnern. Dann gehört die Geschichte den Siegern.


    Die Vorstellung, dass eine Umwälzung einfach nicht möglich ist, weil man zu viele Leute umbringen müsste, ist ziemlich gewagt.


    Bei 'ner erfolgreichen linken Revolution müsste man wahrscheinlich nicht wenig Leute um die Ecke bringen, aber jetzt nicht unbedingt weite Bevölkerungsteile, wenn man die Zeit hätte, die Leute für die Sache zu gewinnen. Blöd ist halt hier der Antikommunismus - wahrscheinlich würden Zweidrittel der Leute, die von 'ner linken Revolution profitieren werden, auf Biegen und Brechen versuchen, sie zu verhindern. Schwierig ist dabei auch, dass 'ne Revolution eigentlich nahezu immer einen Krieg nach sich zieht oder während eines Krieges stattfindet - und das sind dann halt nicht die Umstände, wo man bei gewaltsamen Auseinandersetzungen nicht wählerisch sein kann. Sonst ist man halt gleich selber tot.


    Ob's das Ganze wert ist, kann man sich ja einfach beim Amerikanischen Bürgerkrieg fragen - war's das wert, dass 'n paar Hunderttausend gestorben sind, damit Kram wie in 'Django Unchained' nicht mehr weiterläuft und Normalität ist oder nicht? Ich würde sagen, dass es da eigentlich nur eine mögliche Antwort gibt...

    • Offizieller Beitrag

    Falls jemandem gerade langweilig ist und er 10 Stunden Zeit übrig hat:
    Es gibt tatsächlich eine ukrainische Serie über Nestor Machno, die recht unterhaltsam ist und die von der Machart her durchaus mit etwas älteren westlichen Produktionen mithalten kann. Natürlich darf man keine High-End-Produktion erwarten, aber es ist ansehbar, und ist auch von den Schauspielern her gut gespielt... jedenfalls besser als ich erwartet hätte, weshalb ich mir das auch komplett reingezogen habe, obwohl ich ursprünglich nur mal kurz reinschauen wollte.
    (Die Serie ist mit englischen Untertiteln, die aber gut lesbar sind.)



    Zur weiteren Kritik: (kleinere Handlungs-Spoiler möglich)
    In der ersten Hälfte gibt es reichlich Partisanen-Romantik, ganz nach meinem Geschmack, beidhändiges Pistolenschießen und etwas Heroic Bloodshed wie in einem John Woo-Film, und auch den einen oder anderen geistreichen Dialog über Anarchie und Kommunismus, wie man es in solchen Mainstreamproduktionen sonst eher selten findet.
    Später geht es dann eher darum, dass Nestor Machno die Situation zunehmend entgleitet und er auch überfordert wirkt, als so eine Art Ein-Mann-Regierung für alle anderen mitzudenken. Schaut man sich alte Aufnahmen aus der Zeit an, und wenn man bedenkt, dass auch viele größere Ortschaften und Städte in dem von Nestor Machno kontrollierten Gebiet lagen, müssen da aber definitiv mehr Strukturen und Unterstützer vorhanden gewesen sein, als das in der Serie rüberkommt. Auch am Ende fehlt mir irgendwie komplett der Bezug zu seinen anarchistischen Idealen, weil es so dargestellt wird, als ob Nestor im Pariser Exil nur noch traurig guckt und vor sich hinsiecht, obwohl er sich zu der Zeit offenbar ja noch politisch betätigt, Artikel geschrieben und mit anderen korrespondiert hat. Hier wird dann meines Erachtens schon deutlich, dass es den Machern der Serie zu keinem Zeitpunkt wirklich um die anarchistische Idee als solche ging, sondern einfach nur darum, eine spannende Räuber-Geschichte über einen ukrainischen (Anti-)Helden zu erzählen.
    Auch dass die nationalistischen, bürgerlichen Kräfte größtenteils ziemlich gut wegkommen, könnte man kritisieren. Aber man muss sich klar sein, dass es eben nunmal eine Mainstream-Serie für die ukrainische Zielgruppe ist. Wenn Hollywood sich der ganzen Sache angenommen hätte, wäre es vermutlich kein bisschen anders geworden, nur dass die Sowjets da wahrscheinlich noch fieser dargestellt worden wären.
    Von diesen Dingen einmal abgesehen, scheinen sich die Macher aber schon darum bemüht zu haben, historische Begebenheiten einigermaßen korrekt und glaubhaft nachzustellen. Nur etwas mehr anarchistisches Gedankengut hätte es von mir aus gerne noch sein dürfen. Aber vielleicht war es in echt ja auch so, dass das alles am Ende keine Rolle mehr gespielt hat, und man einfach nur noch aus Gewohnheit gekämpft hat, ohne noch zu wissen wofür oder wogegen, weil sich alle beteiligten Parteien nur noch gegenseitig darin überboten haben, wer die fieseren Intrigen schmieden und mehr Kanonenfutter mobilisieren kann als die Konkurrenz.