Was sagt ihr jemand, der nicht mehr leben will?

  • Ich habe es schon öfter erlebt, dass mir Bekannte schrieben, dass sie nicht mehr leben wollen. Ich fühle mich in dieser Situation ziemlich hilflos, weil ich dann irgendetwas Weises sagen möchte, um die Person zu überzeugen noch weiterzuleben. Andererseits weiß ich auch, dass meine Worte immer nur Worte bleiben und wahrscheinlich nicht die Macht haben bei anderen Menschen einen Lebenswillen zu produzieren.
    Andererseits fühle ich mich auch getriggert, weil sich eine gute Freundin im Alter von 15 umgebracht hat. Ich lag zwar zu dem Zeitpunkt wegen einer OP zu Hause rum und habe daher ihre Verfassung nicht mitbekommen, aber sogar heute frage ich mich noch, ob ich nicht vorher hätte anders reagieren sollen und ob ich nicht etwas hätte tun können.
    Vor allem frage ich mich warum sie sich umgebracht hat, denn sie hat keinen Abschiedsbrief hinterlassen.Zwei Tage vor ihrem Tod hat sie mich noch grüßen lassen und ich weiß bis heute nicht, ob das lieb oder eher so gemeint war, dass ich nicht da war.


    Wir saßen in der Schule nebeneinander. Sie konnte kein Englisch und ich habe Mathe gehasst. Wir haben uns immer gegenseitig die Antworten auf den Tisch geschrieben und sie hat mich immer in die Seite gepiekt, wenn ich so verträumt war, dass ich nicht gecheckt habe, dass der Lehrer irgendwas wollte.
    Am Wochenende hab ich auf sie gewartet, wenn sie heimlich aus ihrem Zimmer geklettert ist, um mit mir noch ein bisschen durch die Gegend zu ziehen. Ich glaube aber, dass sie von ihrem Vater verprügelt wurde, wenn er sie erwischt hat. Einmal hat sie mich angerufen und ihr Vater hat ihr dann das Telefon weggenommen und sie angeschrien. Als ich sie in der Schule drauf ansprach, klebte sie mir zur Antwort einfach nur eine. Auch als ich sie auf ihre Narben ansprach, weil sie sich ritzte. Irgendwann sprach ich sie nicht mehr an. Ich glaube das war ein Fehler.


    Ja und heute habe ich von einer Bekannten eine Nachricht bekommen, dass sie stündlich daran denkt, ob sie nicht genug erlebt hat und wann ein Mensch denn genug erlebt hat.
    Leider wohnt sie mittlerweile ziemlich weit weg und ich kann ihr nicht richtig helfen. Ich hab nur ein paar lächerliche Buchstaben und Angst, das Falsche zu schreiben.

  • Puh, pauschal kann ich das nicht sagen. Hab das noch nie erlebt. Wäre wahrscheinlich leicht überfordert. Man möchte ja für die Person da sein und ihr aufbauend zureden, ohne aber die falschen Worte zu wählen. Es kommt wohl auch auf die Situation an, das Gesagte und welche Gedanken sich daraus ergeben.
    Wenn eine Person etwas belastet und sie mit mir darüber redet, hab ich festgestellt, dass ich oft Fragen stelle und weniger Aussagen treffe wie "ach das wird schon wieder". Letzteres find ich immer so, als würde ich das gegenwärtige Problem der Person nicht richtig ernst nehmen.
    Wichtig find ich halt so, dass man die Person nicht alleine mit seinem Problem lässt. Einfach auch zuhören (ein offenes Ohr haben), das hilft denke ich auch.


    Empfehle auch diesen Text.

    Einmal editiert, zuletzt von Celdur ()

  • Ganz schwieriges Thema. Ich bin noch keine 30, musste aber auch schon durch zahlreiche dunkle Tunnel hindurch. Die Sache mit deiner 15-jährigen Freundin ist sehr traurig. In diesem Alter empfindet und handelt man oft im Affekt und hat Schwierigkeiten, sein Leben nüchtern und umfassend zu betrachten. Ihre Verzweiflung und ihr Leid müssen exorbitant gewesen sein. Aber sie war erst 15. Es hätte definitiv Auswege gegeben. Ihr ganzes Leben lag noch vor ihr.

  • Das kommt zum Einen auf den Bezug an den man zu dieser Person hat, und zum Anderen, wenn dieser Bezug fehlt, auf den Überraschungsmoment.
    Diese zwei Dinge entscheiden wie es zunächst weitergeht.
    Im Affekt habe ich einer solchen Person mal einen Blow Job angeboten.
    Ich denke daß eine völlig unüberlegte Reaktion die beste Wahl in einer Situation wie dieser wäre.
    Zumindest macht es einem die Erinnerung an diesen Moment schon schwieriger, beim nächsten Versuch sich aus dem Leben stehlen zu wollen.

  • Viele, die des Lebens überdrüssig geworden sind, sehen oft keine Möglichkeit ihr Potenzial zu leben und haben regelrecht Angst davor zu "versagen".
    Da kann echtes Mitgefühl auch mal ganz krass andere Formen annehmen. Ein Pauschalrezept gibt es dazu nicht. Eine gute Ablenkung, die das nicht greifbare Problem erstmal hinten anstellt ist akut ganz gut denke ich.
    Manchmal hilft es aber auch über den genaueren Plan zu reden, um ein besseres Verständnis für den Betroffenen zu entwickeln. Wenn ich das hier richtig verstanden habe, geht es um akute "erste Hilfe Maßnahmen" auf die es immer ankommt.
    Wenn es später dann doch passiert ist, braucht man sich keine Vorwürfe zu machen.
    Das wollte ich ergänzend noch sagen.

  • So etwas ist echt schwer von Außen zu beantworten und kommt auch sehr start auf die Bindung zwischen den Personen an..


    Gleich mal Vorweg: Diese Pauschalantworten wie "Ach, dir geht es doch gut, du hast Freunde/Arbeit/scheinende Sonne/Wasauchimmer" oder ähnliches sind pures Gift, es bestätigt einen depressiven Menschen nur drin nicht "normal" zu sein, weil das so die typischen Antworten sind und man sich selbst eben nicht anhand der Dinge erfreuen kann - ergo: es muss etwas nicht stimmen!


    Viel Besser wäre es, wirklich aktiv zuzuhören, wirklich Teilnahme zu zeigen wenn sich die Person öffnet und auch viele Fragen stellen, wie auch @Niemand bereits erwähnt hat. Fragen sind sehr praktisch, weil sie nicht nur zeigen, dass sich das Gegenüber tatsächlich mit dem Gesagten beschäftigt, sondern man gibt auch den aktiven Part demjenigen, der das Problem hat und das ist meines Erachtens nach der beste Weg, jemanden auf seinem Weg zu begleiten. Die betroffene Person navigiert sich somit selbst (durch die Kurskorrekturen der Fragen des Gegenübers) durch sein/ihr Problem und oftmals auch daraus hinaus - und nur die betroffene Person weiß (zumindest unbewusst) wo der Weg zur Lösung liegt!


    Anonsten ist es echt schwer darüber Aussagen zu tätigen, da einem der Bezug einfach fehlt und allgemeine, pauschale Antworten meist nur halbherzig greifen (da eben allgemein). Auch das Führen zu der Einsicht dass eine Therapie angebracht wäre ist sehr kontrovers, da dies (sicher auch hier) viele Leute sehr kritisch sehen. Ich kann nur von mir sprechen: Bin erst seit Kurzem in einer Therapie und lasse mich überraschen - doch erhoffe mich nicht allzu viel! Bin aber auf jeden Fall froh nach jahrelangem Hin und Her jetzt doch die Entscheidung getroffen zu haben, doch eine Therapie anzunehmen. Hat aber, wie gesagt, auch einige Zeit gedauert bis ich wirklich so weit war!


    Als Abschluß: Ich wünsche Dir schonmal viel Kraft und Erfolg auf deinem Weg, ich hoffe dass Dein Bestreben von Erfolg gekrönt ist - doch als Schlußsatz kann ich mir @MiriOm nur anschließen: Sollte es tatsächlich so weit kommen dass Dein Bemühen nicht fruchtet - sich selbst Vorwürfe zu machen bringt weder der Person die du so schätzt etwas, noch Dir! So etwas führt meiner Erfahrung nach nur zu Frust, Selbsthass und in dem Wunsch, Vergangenes ändern zu wollen (das jedoch schon von der Definitiion her Richtung Abgrund zusteuert).. Tu Dein Möglichstes, lasse nicht locker aber verurteile Dich nicht für Etwas, das nicht mehr änderbar ist.. es ist schlicht und ergreifend eine Sackgasse, die Dich im schlimmsten Fall in den Wahnsinn steuert <4

    Einmal editiert, zuletzt von Dobii () aus folgendem Grund: Wieder einmal aufgrund der @-Notation auf "Enter" gedrückt, in der Hoffnung es übernimmt den Namen automatisch ^^;

  • Die Person ist eine flüchtige Bekannte, weshalb ich auch nicht weiß, wie ich mit ihr umgehen soll.
    Wir haben keinen engen Kontakt, aber sie schreibt mich manchmal an, um mir z.B. sowas zu schreiben: Woher weiß der Mensch, wann er genug erlebt hat. Wann ist Schicht im Schacht? Wer sagt mir das? Ich stehe stündlich vor dieser Frage. Genug erlebt, genügend Erkenntnisse gewonnen, einfach satt.Und nu? Austritt. Aber wie?


    Bei solchen Texten fühle ich mich wirklich überfordert. Aber ich habe schon etwas geantwortet. Ich bezweifle nur ob das reicht.

  • Es ist echt schwierig zu helfen, wenn Du nicht Deine Antwort auch mit einbindest. Somit wäre es eventuell leichter darauf einzugehen, obgleich es natürlich auch offenen Raum gibt für Anfeindungen bzw. Angriffe Dir gegenüber.


    Zu dem Punkt mit den Erkenntnissen: Es gibt nicht genügend Erkenntnisse die man gewinnen kann und selbst wenn man glaubt, bereits über alle Themenbereiche die einem interessieren Alles heraugefunden zu haben -> Warum diese Erkenntnisse nicht nutzen um noch weitere Gedanken zu spinnen? Neue Theorien aufzustellen die sich vlt. als wahr herausstellen? Was ist mit den Bereichen die man nicht kennt? Sind diese es nicht Wert dennoch auch beachtet zu werden? Ist es nicht sehr kleinkariert zu meinen, es gäbe in diesem Leben den Punkt, an dem es einfach ein Ende hat? Nicht mehr weitergeht? Wo ein Mensch es einfach Satt hat?
    Für mich persönlich ist jeder Gedanke der wider des Lebens geht definitiv ein Gedanke der wider dem Fortschritt steht. Ganz gleich wie wenig Sinn man sieht, sich in die Unbekannte namens Tod zu stürzen gibt mir weit weniger Sinn an den ich mich klammern kann als die Misere des Lebens selbst. Vielleicht mag das auch nur deshalb kommen weil es bei mir nur mehr eine Frage der Zeit war ob ich meinen Selbstmordversuch überlebe oder nicht - doch im nachhinein kommt es mir richtig dumm vor, die Unbekannte (die womöglich noch viel schlimmere Strapazen bereit stellen könnte als das Leben jemals würde) über die Herausforderung des Lebens zu stellen.


    Es ist aber auf jeden Fall schonmal gut, dass sie sich mit solchen Fragen an Dich wendet: Wärst Du Ihr egal, würd sie dir kaum mehr schreiben bzw. den Pessimismus weglassen. Meiner Erfahrung nach sind Menschen, die bereit sind ihr Leben zu geben, nur bei ihren engen Vertrauten so weit, dass sie eben dieses Gedankengut rauslassen können. Schließlich weiß jeder Einzelne (den ich kenne) dass solche Gedanken zumindest nicht Gesellschaftstauglich sind und somit meist unterdrückt werden, bis man es schließlich doch in die Tat umsetzt. Auf der anderen Seite jedoch muss ich auch gestehen, dass ich viele kenne die solche Aussagen (oder Taten) nur deshalb publik gemacht haben um eben Aufmerksamkeit zu bekommen. Das heißt aber nicht, dass sich diese Person nur ein wenig Aufmerksamkeit erhaschen möchte und man solche Aussagen nur halbherzig nehmen sollte - eher im Gegenteil! Auch wenn so etwas nach Aufmerksamkeit schreit (eine Person die sich das Leben nehmen möchte tut es einfach und geht mit ihren Gedanken nicht hausieren, habe ich weder bei mir so gehalten, noch bei den Menschen die in ähnlichen Situationen waren war das so) so sollte man da Aufmerksamkeit zukommen lassen.


    Noch etwas, was eventuell helfen könnte: Versuche, ähnliche Situationen für Dein Leben zu finden und beschreibe sie ihr, sag Ihr dass Du da ähnlich gefühlt hast und weshalb Du weiter gemacht hast? Nur sollte es so etwas geben - das würde nicht nur eine Verbundenheit schaffen (ich rede mit jemandem der das auch so ähnlich kennt), sondern dann auch eine Lösung anbieten, einen Weg aus der Misere!


    Bezüglich Schicht im Schacht, wer sagt mir das? Niemand. Nur man selbst kann sagen: So, jetzt reicht es, bis hierhin und nicht weiter! Jedem einzelnen Menschen ist diese Option vorbehalten und es steht jedem frei, diese Möglichkeit wahrzunehmen oder nicht. Die Frage ist, nur, wieso hat es diese Person satt? Wieso ist Schicht im Schacht? Wieso hat diese Person es einfach satt? Was war der Auslöser und gibt es eventuell die Möglichkeit daran zu erinnern, dass Fehlschläge auch nur Erfahrungen sind die einem zum Reifen verhelfen? Sind nicht gerade die Momente in denen Alles aus dem Ruder läuft, in denen nichts so will wie man gerne hätte - die Momenten, in denen man am Meisten reift?


    Somit lässt sich für einen geschickten Verhandlungspartner sicherlich einiges an Material zusammensammeln um diese Situation anzugehen - das Problem liegt dabei eher am Geschick UND Einfühlungsvermögen des Gegenübers. Je mehr sich der Partner im Gespräch auf den anderen Einlassen kann, je mehr dieser aus dem Anderen lesen kann, desto geschickter kann derjenige Fragen platzieren, die dem Anderen die Sinnlosigkeit seines Handelns von selbst aus beantwortet. Das ist finde ich der beste Weg, denn Wissen von Anderen ist zwar gut - doch eigene Erfahrung schlägt erlerntes Wissen um Längen! Zu Wissen, dass eine Herdplatte heiß ist wenn man sie noch nie berührt hat ist kaum etwas wert - erst das Berühren der glühend roten Platte bringt dieses Wissen mit Erfahrung zusammen und man weiß aus erster Hand, wie schlecht diese Handlung ist!
    Zum Abschluß: am Besten mit Fragen am Ball halten, so etwas bringt das Gegenüber eher zum Nachdenken als so manche weise Floskel, die man schon seit Jahrzehnten herzlos wiederholt <4

    • Offizieller Beitrag

    Also ich schließe mich dem meisten an, was schon meine Vorredner gesagt haben. Und wie ich bereits im Suizid-Thread erwähnt habe:
    Suizid
    Man weiß nie, was noch kommt. Das finde ich immer noch eines der besten Argumente für das Weiterleben. Selbst wenn man denkt, man hat alles schon gesehen, (was mir ja auch oft genug so geht), kommt es doch hin und wieder vor, dass irgendwas passiert, was man so nicht kommen gesehen hat, und was dazu führt, dass man irgendwelche Dinge oder Menschen plötzlich mit ganz anderen Augen wahrnimmt.


    Aber die andere Frage ist, wie man jetzt konkret mit einer flüchtigen Bekannten umgehen soll, die solche Dinge äußert.
    Wenn man da zu viel lebensbejahendes Zeug antwortet, wirkt es für die betroffene Person vielleicht auch so, als ob man sie bekehren möchte. Wie irgendwelche Christen, die dir was von der Schönheit der Schöpfung oder Gottes großer Gnade erzählen wollen oder sowas.
    Ich glaube nicht, dass man auf diese Art viel bewegen kann.
    Das beste was man tun kann, ist wohl, der Person zu signalisieren, dass man auch mal ähnliche Gedanken hat (oder hatte), und dass man sich gerne mal darüber unterhalten kann. Aber das bitte auch nur, wenn du wirklich mit der betreffenden Person auch reden möchtest, und nicht nur aus Gutmütigkeit, oder weil du dich jetzt aus irgendeinem Grund dazu getriggert fühlst oder ein schlechtes Gewissen hat... sonst wird man wohlmöglich nur als seelischer Mülleimer benutzt, und man selber hat am allerwenigsten davon, und macht sich am Ende vielleicht sogar noch mehr Gedanken über den ganzen Scheiß als die betroffene Person, die vielleicht morgen schon wieder viel besser drauf ist, und man selber nimmt dann deren ihre Dämonen mit ins Bett. Also soweit sollte es nicht kommen. Ich mein ja nur, so als kleine Warnung... ist alles schonmal vorgekommen...

  • Menschen töten sich aus Verzweiflung und Aussichtslosigkeit und nicht, weil sie meinen, schon genug erlebt zu haben. Diesen Schmerz muss man erfassen und verstehen, bevor man ihn angehen und im besten Fall transzendieren kann. Äußere Faktoren sind bei tiefsitzender Todessehnsucht wohl nicht unbedingt ausschlaggebend. Das Leben ändern, ja, aber vor allem die eigene Perspektive. Ich denke, hierzu muss ein tiefgreifendes Umdenken bezüglich der eigenen Empfindungen und der Rolle in dieser Welt stattfinden.
    Wie man dann mit jemandem über das geschriebene Wort kommuniziert, ist eine Frage der Empathie bzw. der gemeinsamen Sprache. Da muss man sich einfühlen können und die Worte mit Bedacht wählen.


    Leider fehlt es uns hier etwas an Erfolgsgeschichten, was Antworten auf diese Problematik angeht.