Lügen

  • Ich unterstelle mal jedem, mir eingeschlossen, gewisse Ernsthaftigkeit in Äußerungen und Taten. Jeder möchte ernst genommen werden.
    Ein "Lügner" ist in erster Linie jemand für mich, der auf entgegengebrachtes Vertrauen und Ernsthaftigkeit mit Oberflächlichkeit scherzhaft antwortet und alles ins Lächerliche zu ziehen scheint.
    Jemand der aus dieser Unsicherheit heraus keine Wagnisse eingeht aus Angst verletzt zu werden, verletzt sich im Endeffekt bloß selbst, denn irgendwann wird er ganz alleine da stehen und aufs Neue nach der Wahrheit im Anderen (Seelenpartner?) suchen.


  • Bei mir lag der Ursprung des Problems in der Erziehung einer dominanten Mutter, und das Telefonieren ist im allgemeinen zum Desaster für mich geworden.
    Auch Kontroll SMS der Kollegin veranlassen mich ständig zum Lügen. Das kotzt mich ziemlich an. Am liebsten beende ich so ein Verhältnis i.d.R. gleich, aber weil der Job noch immer ganz ok ist, lüge ich inzwischen weiter.
    Allgemeine Aussagen wie: "Ach, da hast du heute aber blödes Wetter erwischt...", sind auf Dauer ziemlich ermüdend, wenn man merkt daß sie nur zum Einstieg in ein weiteres, belangloses Gespräch zur Kontrolle führen.
    Diese Kollegin liest sogar während eines verregneten Arbeitstages erst gegen Feierabend die Wassersäule ab!
    Als ob es darauf ankäme das Ding voll zu bekommen...Ich hab das nie verstanden was das Theater soll. Ok, sie zählt und strichelt auch Vögel und Eichhörnchen als Besucher ab.
    Aber ich bin dann diejenige mit den Anpassungsstörungen ...alles klar soweit!
    Zum Glück bin ich zu 50% meiner Arbeitszeit alleine und das ist nicht gelogen :)

  • @schreckgeist
    *Ja, da ist man ziemlich baff bei sowas. Aber auch bei anderem Kram kommt oft nichts, und das erweckt dann oft den Eindruck von Unhöflichkeit oder Arroganz.
    *Die Wassersäule ist ein Röhrchen mit Teilstrichen an einem Stab befestigt, den man im Garten zum Messen des Niederschlags aufstellen kann. Sie gehört zur Wetterstation genauso wie Thermo- o. Barometer.. Ist nur für unsere Zwecke unerheblich, da es eigentlich nur um Besucherzahlen geht.
    *Die Anpassungsstörung, F 43.2, ist eine Diagnose genau wie alle anderen in der Fehlersuche des Krankhaltunhssystems, und bedeutet dass man "viele Baustellen offen" hat. Es gibt sogar eine icd-10 Nummer für Heimweh!
    Mich stört dabei einfach der Titel dem man jemandem aufdrückt, bevor man Angst haben muss in der Inklusion zu enden oder etwas "besonderes/normales" sein zu müssen.
    Ich bin immer eher für Mischverhältnisse; ein Essen nur aus Kurkuma schmeckt auch niemandem und wäre im weitesten Sinne eine "Lüge".

  • Ich will eigentlich nicht lügen, aber wenn ich nur die Wahrheit sage, wäre ich noch einsamer als ohnehin schon.
    Ich lüge eher für andere. Ich kann ja schlecht sagen, dass mich eigentlich vieles langweilt oder ich so viel doof finde.


    Das Lied passt gut: Give us what we need
    https://m.youtube.com/watch?v=FSlx9t6tKLM

  • Oh ja, speziell in meiner Jugend habe ich sehr viel gelogen, begonnen hat das mit einem einfachen "Mir geht es gut" obwohl ich am Abgrund war, nur um meine Mutter nicht weiter zu beunruhigen - ich wusste ja selbst nicht wieso es mir so schlecht ging und die Frage "Wieso geht es Dir schlecht?" wäre definitiv als Nächstes gestellt worden. Das wollte ich vermeiden.
    Problematisch ist dass dieses regelmäßige Lügen irgendwann die Hemmung davor wieder zu Lügen schwinden lässt und so wurde es immer Öfter dass gelogen wurde und auch die Größe der Lüge wuchs damit an.


    Es hat lange gedauert das abzugewöhnen und dieser Prozess war hart, erforderte sehr viel Mut: denn während man gar nicht mehr nachdenkt bevor so eine kleine Lüge die Lippen verlässt weil es eben schon so normal wurde, hat man dann die Aufgabe diese Lüge direkt danach vor dem Gegenüber einzugestehen und zu korrigieren! Hat echt lange gedauert den Mut dafür aufzubringen und ebenso lange diesen Automatismus auszuhebeln.


    Auch problematisch waren bei mir die Lügen, die ich mir selbst aufgetischt hatte und diese aufzulösen ist nochmal eine Ecke schwieriger. Da braucht es dann entweder eine gehörige Portion Bewusstheit oder Selbstreflektion, oder eben ein Event das geschieht und einem aufzeigt, dass man sich selbst auf den Leim gegangen ist. Wer weiß wieviel in mir noch verborgen ist von dem Ich überzeugt bin die Wahrheit zu kennen, obwohl sich da nur eine alte Lüge schon viel zu lange versteckt.

  • Verständlich. D.h bewerte ich das eher neutral und weniger drastisch, da es dem schlechten Ruf einer Lüge irgendwie gar nicht nahe kommt Deine Reaktion gegenüber deiner Mutter könnte man demnach getrost zum erwarteten Schein zählen, denn solche praktischen Basislügen gehören durchaus zur guten Mine zum bösen Spiel. Dadurch hattest du deine Ruhe vor dem Unverständnis deiner Mom schätze ich mal.

    Ja, das ist schon richtig, wobei es nicht an dem Unverständnis lag sondern eher daran, dass ich die Folgefrage und Sorgen ihrerseits vermeiden wollte. Zurückblickend dennoch nicht das Beste was ich machen konnte, denn hätte der Selbstmordversuch geklappt wär kein Reden mehr möglich. Da wäre es besser gewesen vielleicht doch früher mit einer Therapie zu beginnen als sich zurückzuziehen und immer tiefer zu fallen!
    Inzwischen halte ich das Anders, denn man kann die Fragen nach dem Befinden auch sehr gut beantworten ohne zu Lügen (weil die Leute sowieso in den seltensten Fällen wirklich daran interessiert sind): "Wie gehts Dir?" -> "Danke, Dir?" -> Entweder das Gespräch ist nach einer kurzen Antwort des Fragestellers getan, oder er hat noch etwas mehr zu erzählen, aber dass "Danke, Dir?" absolut NICHTS aussagt hat bisher noch niemanden gestört ;) Selbst "Muss und Dir?" was ja sogar schon mehr Einblicke gibt kommt nicht an, selbst bei den Leuten die ich zu meinem "engeren Kreis" zähle.. Tragisch eigentlich

    Jetzt mal auf auf ein paar konkrete Erlebnisse bezogen, das kenne ich auch, waren dann alles Vertrauenspersonen und mein fehlender Mut Aber nur zu ungern öffne ich mich im kleinsten Detail vor anderen und daran scheitert es meistens (im gleichen Rahmen). Im Internet fällt mir das aber schon einfacher, *schmunzel*

    Definitiv, sich Menschen zu öffnen im echten Leben ist oftmals viel schwieriger, da fällt sowas im Netz schon viel leichter ;)



    Noch zum Thema, mein Beitrag oben ist ja eigentlich nur halb fertig:
    Inzwischen habe ich das Lügen zu einem sehr großen Teil abgelegt, selbst das aufgesetzte Lächeln in der Arbeit habe ich abgelegt und auch wenn ich echt dachte, dass das problematisch werden könnte - Fehlanzeige. Ganz im Gegenteil: Wo ich mich früher oft bei (privaten) Gesprächen mit Kunden (habe leider seeehr viel Zeit in meiner Arbeit) darin gefangen gefühlt und nur reagiert habe, obwohl ich keinen Kopf dafür hatte, habe ich heute eher meine Ruhe. Fühlt sich auch gut an diese gespielte Maske abzulegen und zu meinem Tief zu stehen, denn diese Diskepanz zwischen dem, wie es mir geht und dem, wie ich mich nach Außen hin gegeben habe, hat mich langsam aber sicher zermürbt!


    Darum bin ich der Meinung:
    Selbst wenn die Wahrheit meinem Gegenüber nicht passen oder verletzen könnte, selbst wenn die Wahrheit einem Selbst in ein schlechteres Licht rückt, ich würde lieber dies in Kauf nehmen als zu Lügen. Bevor Ich das tue sage ich lieber nichts darauf und enthalte mich meiner Meinung, ich muss sie ja nicht mitteilen - aber so tun als hätte ich eine andere Meinung hat mir schon viel öfter Probleme bereitet.

  • Ja, das ist schon richtig, wobei es nicht an dem Unverständnis lag sondern eher daran, dass ich die Folgefrage und Sorgen ihrerseits vermeiden wollte. Zurückblickend dennoch nicht das Beste was ich machen konnte, denn hätte der Selbstmordversuch geklappt wär kein Reden mehr möglich. Da wäre es besser gewesen vielleicht doch früher mit einer Therapie zu beginnen als sich zurückzuziehen und immer tiefer zu fallen!

    Ah, konnte das nicht wissen, dass wir von dem Schweregrad sprechen, aber wenn du jemanden brauchst, mit dem du über so etwas Reden willst, dann schreib mich einfach an (ich hab keine Erfahrungen mit Suizidversuchen aber mit Traurigkeit, Depression). Ich kenne dieses Gefühl des Sturzes ins gedankliche Nichts all zu gut.



    Selbst "Muss und Dir?" was ja sogar schon mehr Einblicke gibt kommt nicht an, selbst bei den Leuten die ich zu meinem "engeren Kreis" zähle.. Tragisch eigentlich

    Oh ja, dieses ironische Muss als Antwort kenne ich noch aus Jugendzeiten und von der Arbeit her. Es ist schon absurd, wie sehr wir dazu tendieren, ein nichts-sagender, stets törichtster Sklave zu sein.




    Fühlt sich auch gut an diese gespielte Maske abzulegen und zu meinem Tief zu stehen, denn diese Diskepanz zwischen dem, wie es mir geht und dem, wie ich mich nach Außen hin gegeben habe, hat mich langsam aber sicher zermürbt!

    All zu menschlich :)



    Selbst wenn die Wahrheit meinem Gegenüber nicht passen oder verletzen könnte, selbst wenn die Wahrheit einem Selbst in ein schlechteres Licht rückt, ich würde lieber dies in Kauf nehmen als zu Lügen.

    Die Idee finde ich vor allem gut, wenn es einem sehr schlecht geht, denn wie du bereits angesprochen hattest, muss manchmal einfach etwas mitgeteilt werden, egal wie.

  • Ich denke eher an Selbstbetrug oder Selbstlüge...


    "Die meisten Menschen haben vor einer Wahrheit mehr Angst als vor einer Lüge"
    (Ernst Ferstl)


    Aber wenn der Mensch sich selbst belügt, ändert das trotzdem auch nichts an der Wahrheit!


    Selbstlügen machen das Leben schöner angenehmer erträglicher.
    Sie befreien von Schuld, Schmerz, Fehlern und all den negativen Seiten der Persönlichkeit.
    Irgendwie sind am Ende ja immer die anderen schuld ,
    oder es waren unglückliche Umstände, oder oder...


    Kognitive Dissonanz... Realitätsverzerrung


    Selbstbetrug ist auch ein Betrug an die Mitmenschen in seinem Umfeld.
    Dient oft dem Selbstschutz


    Es macht auf Dauer unglücklich und bringt Dich in deiner Persönlichkeit nicht voran.
    Weiterentwicklung entsteht nämlich nur durch Leidensdruck und jede Enttäuschung
    befreit Sie ein Stück weit von der "Täuschung" und bringt dem Menschen damit der Wahrheit näher.
    Erst, wenn der Mensch sich selbst möglichst unverzerrt kennt, kann er auch wahre Selbstliebe entwickeln,
    was seinem Lebensglück, Freiheit, Zufriedenheit, Liebe usw. zugutekommt.


    Also was bleibt ,
    ist eine gesunde befreiende Selbstreflexion, Selbstbewusstsein entwickeln
    Alles fängt erst bei einem Selbst an.


    Inwieweit, das mag jedem selbst überlassen bleiben :D

  • Was ist schon Wahrheit? Es gibt immer nur die persönliche Sichtweise der Wahrheit.


    Den Menschen möchte ich gern sehen, der niemals lügt und jederzeit die Wahrheit sagt. Müsste ein ziemlich einsamer Mensch sein.

  • je nachdem wie mir einer kommt, wie einer motiviert ist, sage ich das ein oder andere.Wenn jemand unverschämt fragen stellt kann man das Gespräch schnell abrechen.Wenn leute indiskret sind halte ich sie auf Distanz .Man kann ruhig lügen, solange man durch diese lügen nicht in Selbsttäuschung verfällt.