Lügen

  • Bei mir kommt es auf die Ernsthaftigkeit bzw. Wichtigkeit der Sachlage an.


    Ich erinnere mich, als mir vor ein paar Jahren meine neue Partnerin offenbart hatte, dass sie mich liebt. Ich habe ihr erklärt, dass ich (noch) keine Liebe empfinde, dass aber normal sei. Das lag nicht an ihr, sondern an meinem frozen man syndrome.
    Sie war Borderlinerin und hatte danach total den Nervenzusammenbruch. Aber ich fands wichtig, ehrlich zu sein.


    Das sind halt ernste Situationen, ernste Fragen, bei denen ich das Lügen - wenn es irgendwie geht - vermeide.


    Dann gibt es halt Alltagskrempel, der unwichtig ist. Meine Mutter mischt sich z.B. stark in mein Leben ein. Ich saufe den ganzen Tag Cola light. Sie will, dass ich nach jeder Coke ne Flasche Wasser trinke. Zum Glück wohnen wir 200 km entfernt. Sie fragt mich dauernd, ob ich auch Wasser trinke. Ich sage immer ja. In Wahrheit komme ich mit Wasser nur beim Waschen in Berührung. Das ist zum einen wenig relevant, außerdem hat sie es durch ihre Einmischung in das Leben eines fast Dreißigjährigen verdient, dass man sie anlügt, damit man seine Ruhe hat.


    So in etwa unterscheide ich.

  • Sagt mal, lügt ihr eigentlich eure Mitmenschen an?


    Ja, aber Lügen sind giftig für Vertrauen und gegenseitiges Verständnis. Deshalb will ich keine Menschen belügen, die mir sympathisch oder wichtig sind und werde auch dementsprechend von diesen Menschen geschätzt. Die anderen belüge ich bewusst aus Bequemlichkeit oder zum Selbstschutz, falls mir nichts Besseres einfällt. Meist hab ich sowas aber schlicht nicht nötig (eigentlich fast nur aus beruflichen Gründen) und gefalle mir viel besser darin, nicht um den heißen Brei herum zu schwafeln und möglichst unverblümt auszusprechen, was ich denke. Es kommt deshalb häufig vor, dass ich Menschen vor den Kopf stoße. Wenn ich will kann ich mich aber auch diplomatisch ausdrücken und rücksichtsvoll sein, ohne gleich Märchen zu erzählen, die nicht der Wahrheit entsprechen. Grundsätzlich betrachte ich die Sorte Lügen, die man zum sozialen Kitt zählen kann als meist überflüssig aber unproblematisch. Leute die sowas jedoch übermäßig einsetzen, gehen mir auf die Nerven. Ich kann da richtig empfindlich sein und störe mich z.b. schon an Kleinigkeiten wie künstlich erhöhten Stimmlagen. Da übertreibe ich es manchmal gern mit der Ehrlichkeit, um mir schleimige Menschen vom Hals zu halten.



    Ein Konzept, das ich noch in Ordnung finde: wenn man schon nicht lügen kann, aber man denkt, dass die Wahrheit zu blöd/verletzend ist, dann lieber schweigen. Oder?

    Kommt auf die Situation an. Schweigen, das zur Selbstverleugnung führt, ist z.b. sehr schlecht.

    Gegen die Sinnlosigkeit des Lebens kommt man nicht an, aber man kann drüber lachen und dem Universum stolz den ausgestreckten Mittelfinger zeigen.

  • Hmm Vorsicht. Vieles läuft durch entfremdete Wahrnehmung (Aufgrund unserer Erziehung) und wird d.h missverstanden. Also eine Botschaft kommt meist verzerrt an und verliert damit ihren eigentlichen Ursprung. Beispiel: Wenn ich frustriert über etwas schimpfe und dabei bestimmte Bewegungen mache, dann wird das zu 100% von jemanden mit irgendeiner kitschigen "Gewissheit" bestempelt.

    Das empfinde ich ähnlich. Oft interpretiert man zu viel oder zu wenig in das Gegenüber, vor allem neigt man bei persönlichen Treffen dazu, sich zu sehr von der Optik des Anderen beeinflussen zu lassen.

    Bei mir kommt es auf die Ernsthaftigkeit bzw. Wichtigkeit der Sachlage an.


    Ich erinnere mich, als mir vor ein paar Jahren meine neue Partnerin offenbart hatte, dass sie mich liebt. Ich habe ihr erklärt, dass ich (noch) keine Liebe empfinde, dass aber normal sei. Das lag nicht an ihr, .....

    Das finde ich total in Ordnung, wenn man sowas sagen kann. Ich kann es oft nicht und schweige dann....

    Kommt auf die Situation an. Schweigen, das zur Selbstverleugnung führt, ist z.b. sehr schlecht.

    .... deshalb kommt es oft zu Projektionen die dann ein Verhältnis vergiften.

  • Ja, (tot)schweigen ist auch nicht die ultimative Weise. Es kommt halt darauf an.
    Es kann sich dann auch viel anstauen in einem. Und wie du sagst, ein Verhältnis stören. Muss man halt gucken, wo Schweigen nicht schadet, und wo es anfängt, Belastungen (für sich und/oder andere) zu kreieren.

    Einmal editiert, zuletzt von Celdur () aus folgendem Grund: beste mit ultimative ersetzt

  • Vielleicht gehört das Schweigen zur Schärfung der Wahrnehmung? Es kann in einer Conversation auch immer nur eine Seite sprechen und der andere hört zu.
    Wenn der Dialog einseitig abläuft, wird das meist gar nicht bemerkt und der Redner sagt: "So ein gutes Gespräch hatte ich lange nicht!"
    Ob das alles nur Geschichten von der Gegenseite sind, die erzählt werden, ist wieder eine Bewertung auf die man sich einlassen muss, weil man nicht aufmerksam zuhörte und während dessen in seinen eigenen Geschichten verstrickt war.
    Also ist eine "Lüge" immer eine Frage der Wahrnehmung oder Störung der gleichen.

    Einmal editiert, zuletzt von Igno von Rant ()

  • Das ist jetzt ein anderes Schweigen.
    Aber du hast Recht glaub ich. Wer nichts sagt, kann besser seine Umwelt (oder Gegenüber ;)) studieren. Vielleicht war ich deswegen immer so schweigsam in meiner Werkstatt. Ne ich glaub, das war einfach meine Verklemmtheit. :unknw_gif:


    Oft hab ich das, dass ich nichts zu einem Gespräch beitrage, weil das Gesagte vom Gegenüber mir so belanglos (für mich) erscheint. Allerdings kann das ein bisschen in einem schlechten Gewissen ausarten. Andere Menschen - andere Wichtigkeitsprioritäten, die ich eigentlich so akzeptieren sollte.


    Irgendwie bin ich ein wenig abgeschweift, oder...

  • Oft hat man einfach nichts zu einer Sache beizutragen, weil man nicht in Resonanz mit der Geschichte geht. Da ist nichts da, und das ist auch völlig i.O.so.
    Eines ist aber sicher: Wir sind voll von Geschichten und füllen ganze Leben damit.
    Die Frage nach dem Warum stellt sich wieder in der Sinnfindung.
    Ich nehme da gerne das Beispiel der "Unendlichen Geschichte" zur Hand, und zwar die Szene wo die kindliche Kaiserin den Erzähler im gläsernen Berg besucht.
    Der Dialog der Beiden und die sich selbst erzählende Geschichte ist einfach zu schön.
    So ähnlich könnte man die eigene Geschichte betrachten...oder wie Khalil Gibran es sagte:
    "Vergiss nicht, daß die Jahre, welche die Samen in Wälder verwandeln und die Würmer in Engel, ein Teil des Heute sind, wie alle Jahre!"
    Was spräche dann also gegen eine kleine Korrektur bezüglich der eigenen Geschichte?
    Wenn du so willst, kannst du es als kleine Zeitreise betrachten, weil du die/deine Geschichte ein Stück weit verändert hast.

  • Oft hat man einfach nichts zu einer Sache beizutragen, weil man nicht in Resonanz mit der Geschichte geht. Da ist nichts da, und das ist auch völlig i.O.so.

    Ja ok, das ist ja dann eigentlich manchmal so, dass man nicht in Resonanz ist. Andere Menschen erleben andere Sachen anders und haben meist/oft/manchmal/keine Ahnung auch ne ganz andere Sicht auf bestimmte Dinge als man selbst, das kann einem fremd erscheinen, muss aber nicht. Da kann man dann wohl trotzdem zuhören, >seine< Sicht darauf evtl. einbringen, oder einfach zuhören und die Klappe halten.
    Aber was ich denke, dass mir das eigentlich auch nichts mehr ausmacht, wenn ich mal nichts beizusteuern hab zu einem Gespräch. Muss ja auch nicht immer.

    Ich nehme da gerne das Beispiel der "Unendlichen Geschichte" zur Hand, und zwar die Szene wo die kindliche Kaiserin den Erzähler im gläsernen Berg besucht.
    Der Dialog der Beiden und die sich selbst erzählende Geschichte ist einfach zu schön.
    So ähnlich könnte man die eigene Geschichte betrachten...

    Ok, den Film/das Buch hab ich nicht geguckt/gelesen, kann da jetzt auch keine Verbindung zu deinem Geschriebenen herstellen.

    Was spräche dann also gegen eine kleine Korrektur bezüglich der eigenen Geschichte?
    Wenn du so willst, kannst du es als kleine Zeitreise betrachten, weil du die/deine Geschichte ein Stück weit verändert hast.

    Das ist interessant, aber auch ein bisschen groß, wenn man sich eigentlich als kleines unbedeutenes Sandkorn in der großen weiten Sandwelt betrachtet.

    3 Mal editiert, zuletzt von Celdur () aus folgendem Grund: Editieren ist schön. und mit dem 'meist' im zweiten Satz war ich unzufrieden

  • Dieses unbedeutende Sandkorn war in der Geschichte von Michael Ende zufällig alles was vom großen Reich der Fantasie übrigblieb, nachdem "das Nichts" alles andere verschlungen hatte.
    Nehmen wir an, du hältst dieses eine letzte bedeutende Samenkorn in Händen.
    Du bist der letzte Besucher den diese Welt sieht. Du würdest dieses Körnchen nicht einfach achtlos wegwerfen, sondern es wie einen Schatz behandeln.
    Wie deinen Erfahrungsschatz zum Beispiel.
    Du wärst verantwortlich für neue Geschichten, die geschrieben werden müssen, aber du würdest darauf achten, dass sie so echte Gefühle wie möglich in anderen erzeugen, damit sie jemandem Glauben schenken, und die Früchte der Fantasie alle Geschichten weitertragen wird.
    Diese Geschichten werden immer künstlich von der Fantasie/vom Verstand erzeugt; die Gefühle die bleiben werden allerdings immer echt sein.
    Sie sind das was weiterleben wird als genetischer Code sozusagen.
    Ganz schön unbedeutend würde ich mal behaupten...
    Das Zögern von Bastian Baltasar Bux in der Geschichte und der Grund warum zum Schluss nur noch dieses eine Körnchen übrig ist, weil er nicht daran glauben kann, daß Er alleine und er als einziger in Frage kommt "Fantasia" zu retten.
    Vielleicht oder ganz sicher sogar, leben wir auch in so einer Welt, wo "das Nichts" oder besser gesagt der "Nihilismus" unseren ganz persönlichen Glauben /Fantasie herausfordert, und wir wieder aktiv träumen sollten, damit es gut weitergehen kann. (Jeder träumt für sich allein ;-))

  • Was ich noch zum Thema Lügen/Fantasien ergänzend sagen wollte ist, daß jeder selbst dafür verantwortlich ist was er im Endeffekt annimmt oder nicht.
    Das Schweigen bietet nur dann großen Spielraum für Interpretationen, wenn man auch im großen Stil Projektionen auswirft.
    Also entsteht in jedem Falle eine Fantasie oder eben die "Lüge". Man schreibt dem Anderen gewisse Qualitäten zu, welche vlt zu diesem Zeitpunkt gar nicht vorhanden waren und ist danach enttäuscht, da es nur der eigene Wunsch nach etwas war den der andere zu erfüllen hatte.
    Jeder sollte sich gelegentlich, genau wie die kindliche Kaiserin, einen Besuch in seinem Innersten abstatten, und da hingucken wo die ganzen Geschichten ihren Ursprung haben.
    Natürlich stellt das Ganze einen gewissen Müßiggang dar und verschiedene Muster scheinen sich ständig zu wiederholen, aber man darf das ganze auch nicht linear betrachten. Es gibt weder eine Lernkurve noch einen Kreislauf. Das Modell der Spirale liegt viel näher an der Wahrheit, in der man sich von Geschichte zu Geschichte, von Erfahrung zu Erfahrung, Stück für Stück seinem eigenen Zentrum, seinem (Wesens-) Kern nähert.