Die Titel des Systems

  • Gestern lief ich über einen Friedhof. Dort stieß ich auf einen Grabstein, auf dem der Tote sich den Lebenden mit Dr. habil Dr. med Mustermann präsentierte. Und schaut man in den Trauerbereich der Zeitungen, dann scheinen derartige Aufwertungsversuche sogar ziemlich weit verbreitet zu sein. Mitunter stehen sogar lateinische Verse mit auf dem Grabstein.
    Sind die einfach nur unheimlich stolz auf ihren Berufsstand oder will man wildfremden Menschen wirklich irgendwas beweisen? Und warum will man das?


    Ich finde das alles im höchsten Maße befremdlich. Geht es nur mir so? Und wieso machen es nur gewisse Berufsstände? Dipl.-Ing liest man zumindest zu Lebzeiten relativ häufig; sei es bei Verschwörungsspinnern oder bei afd-Funktionären. Aber auch bei anderen Politikern (dann aber eher Dr.). Von diesem Phänomen scheinen zudem fast ausschließlich Männer betroffen zu sein.
    Ich habe in diesem Zusammenhang schon viel erlebt. Auch Briefkästen/Klingelschilder, auf denen der akademische Grad nicht fehlen durfte oder schlicht beim Aufruf im Wartezimmer, wenn die Schwester den Patienten mit seinem Doktortitel ansprach (in dem Fall übrigens ein gebrechlicher alter Mann, der vermutlich gerade noch ohne fremde Hilfe seinen eigenen Namen schreiben konnte).


    Natürlich gibt es auch immer wieder welche, die sich bei Streitgesprächen aufspielen und dabei ihren Doktortitel durchblitzen lassen. Keine Ahnung, welche Vorteile das bringen soll. In einem Ratgeber las ich mal, dass man bei telefonischer Terminvereinbarung explizit mit seinem Titel auftreten soll; um bessere Chancen zu haben.
    Wenn man die Kassiererin an der Kasse dabei ertappt, wie sie zu wenig Geld rausgibt, soll man es jedoch vermeiden, dieses Unrecht anzusprechen. Zu schnell spräche es sich herum, wenn Herr. Dr. Dr. im Geschäft auf seinen Euro besteht. Es wirke knausrig.


    Was für eine widerliche Inszenierung. Für mich ist das alles ein lächerliches Schauspiel und es ist in gewisser Hinsicht auch peinlich, wenn man so sehr dieses gesellschaftliche Spielchen mitspielt und es verinnerlicht hat, dass man brav die zugewiesenen Titel aufsagt, sie im Personalausweis eintragen lässt und sogar letztendlich mit ins Grab nimmt.


    Ich dachte mir gestern übrigens, dass der Typ zwar einen zweifachen Doktortitel inne haben möge, aber im Grab liegt jetzt er drin und ich bin am Leben. Er kann sich anhand seiner Buchstaben jetzt also auch nichts davon kaufen.
    Und wer weiß, vielleicht war sein Titel damals sogar nur gekauft...

  • Naja für Doktortitel mußt du in der Regel immerhin etwas leisten...mit Ausnahme von Ehrendoktor vllt.


    Überleg dir erstmal wie es mit Adels Titeln aussieht...Graf von Koks usw.

  • Das Beispiel von MiriOm zeigt ganz gut, wo so ein Klassenkampf eigentlich im absurdesten Fall enden kann. Ich kann mir nämlich gut vorstellen, dass die Pflegerin - im Titelkampf ansonsten ganz unten in der Nahrungskette angesiedelt - es förmlich genoss, jetzt mal mit vertauschten Rollen zu spielen. Das Experiment!


    Und was die Relativierung von Timelord betrifft: als Friseur musst du auch etwas leisten, um den Meisterbrief zu bekommen. Wieso gibt damit keiner an? Niemand käme doch auch nur im Ansatz auf die Idee, den Friseur unter seinem Titel im Wartezimmer aufzurufen.
    Was mich stört, ist diese Heraufheben bei einer Sache, die überhaupt nichts mit dem Sachverhalt zu tun hat. Auch alle Bundeskanzler sprach man bis zu ihrem Tod mit "Herr Bundeskanzler " an. Was für eine devote Scheiße.
    Und wozu es dienlich ist, wenn Frau Dr. Angela Merkel am Rednerpult steht und über eine Maut spricht, die es mit ihr nicht geben wird, verstehe ich auch nicht. Ihr Doktortitel der Naturwissenschaften ist hier weit weniger von Belang, als wenn es heißen würde: Frau Vielfahrer- und PKW-Pendler Angela Merkel.


    Ich bin jedenfalls mittlerweile dazu übergegangen, diesen Unsinn von innen zu zersetzen. Wann immer die Möglichkeit bei Adressformularen besteht, mache ich mich zum höchsten aller Doktoren. So kann man diesen Quatsch wunderbar ad absurdum führen. Wenn erst einmal jeder Doktor ist, wird das recht inflationär werden und man müht sich wieder um die Werte, die wirklich wichtig sind (ja ja, Wunschdenken, ich weiß).

  • Passenderweise habe ich diese Nacht geträumt einen Doktortitel erworben zu haben und war voll stolz darauf. Menschen stehen auf solche Statussymbole und auch ich bin da nicht ganz immun.


    Aber man muss da auch Unterschiede machen. In der Physik hat man als Doktor meist tatsächlich einen Beitrag zur Forschung geleistet auf den alle zukünftigen Generationen aufbauen werden und können. Als Philosoph oder Sozialpädagoge sind das meist eher wissenschaftlich wertlose Aufsätze. Oder schonmal die Titel von Doktorarbeiten unserer Politiker angesehen? Das ist reine Fleißarbeit.


    Naja, ich hatte mich ja damals bewusst gegen eine Doktorarbeit entschieden, wegen der verlorenen Zeit in einem Themengebiet das mich nicht sehr fesselte. Mir reicht zu wissen, dass zwischen mir und einem Doktortitel lediglich mehrere Jahre Arbeit lagen (Und Post mit der Anschrift Dipl. Phys. freuen mich genauso :-)).

  • Der "Doktor" würde das Bestätigen ! (Nicht Dr Who :) - Man stelle sich eine fortwährende Reinkarnation von Axel Voll vor - Oh je x)))



    Magie = Physik / Wollen