Der Weg des Kriegers

  • Nun, ein Totschläger ist er nicht, umgebracht hat er niemanden, wenngleich auch nur durch Glück. Und sein Klientel bestand ja auch nicht gerade aus Unschuldsengeln. Dass sein Verhalten dennoch oft daneben war, gibt er ja zu. Da ist wohl jemand wie Lee Morrison mit seiner Vergangenheit als Hooligan und Gang-Mitglied weitaus problematischer, vor allem auch weil er diese offenkundig nicht in dem Maße aufgearbeitet hat wie Thompson. Interessanterweise gilt das meines Erachtens für den Großteil der Combatives-Community, die Thompson zwar anhimmelt, aber selbst noch sehr zu diesen gewalttätigen Projektionen neigt, die Thompson ja selbst als solche entlarvt. Da tritt dann eben oft das wahnhafte Weltbild mit Hang zu rechten Einstellungen und Verschwörungstheorien zutage.


    Ja, sich selbst zu verzeihen ist wohl elementar. Und im Lichte dieses Threads auch die Fähigkeit, extreme Gegensätze zu vereinen.
    Denn ich würde gar nicht mal mit allem mitgehen wollen, was Thompson vor dem Hintergrund seiner eigenen Erfahrungen behauptet. Ich halte es z. B. nicht grundsätzlich für falsch, sich eine 'Rüstung' anzulegen, um sich zu schützen - man muss sich nur dessen bewusst und auch bereit sein, sie abzulegen.
    Ich mag aber die Metapher des 'Parasiten' - hier derjenige, der durch den Missbrauch entstand - der in uns wohnt und unsere negativen Glaubenssätze hervorbringt.

  • Das ist wohl die heftigste Passage (ich verzichte mal auf Trigger-Warnungen):



    Wie vergibt man jemandem, der einem großes Unrecht angetan hat? Ich konnte niemals etwas mit dem christlichen Gedanken der Vergebung anfangen, aber Thompson ist der Erste, dessen Argumentation mir aufgezeigt hat, was mit Vergebung gemeint sein kann. In einem anderen Video beschreibt er den Vorgang als eine Art Exorzismus - er vertreibt den Dämon, den Parasiten, aus seinem Unterbewusstsein. Das heißt nicht, dass die Tat als solche tatsächlich vergeben wird - zumindest verstehe ich ihn so - sondern, dass das Band aus Schmerz gekappt wird. Ich frage mich tatsächlich, wie viele Menschen an einen solchen Punkt gelangen können. Es geht hier ja nicht unbedingt um Religiosität oder die Auffassung, dass irgendein Gott schon richten wird, sondern darum, sich selbst zu befreien.

  • Auf persönlicher Ebene ist das durch Empathie möglich, kann ich mir vorstellen. Bei Familienangehörigen ist das noch etwas schwieriger als bei Fremden, da muss man wirklich erstmal durch ein paar Hass -Dekaden gegangen sein, bevor sowas möglich wird. Und danach kann man auch sich selbst verzeihen. Ich würde sogar soweit gehen und behaupten, dass Empathie entweder etwas mit 'gut hassen oder gut lieben' zu tun hat. Man fühlt den Schmerz des anderen durch den Schmerz, den er verursacht. Vergebung ist also schlichtweg durch Empathie möglich. Dadurch ließe sich der ganze Wahnsinn der geschieht mindern.

  • Vergebung gibt auch den Anreiz, sich mehr im hier und jetzt aufhalten zu wollen. Wenn man sich gedanklich mit alten Geschichten herumschlägt, würde ein Godan Test jedes mal negativ ausfallen. Ich behaupte nicht dass das so einfach ist, weil alte Verletzungen ja auch im Körper abgespeichert sind, aber theoretisch ist es möglich durch Vergebung immer freier zu werden, sprich präsenter.

  • Was ich noch bezugnehmend auf die Geschichte von meinem Peiniger aus dem Polizei Thread anfang November sagen wollte ist, dass ich mich entschlossen habe, ihn nicht damit zu konfrontieren. Ich hatte es mir überlegt, aber da ich weiß, dass der Vorfall aufgrund von Drogenmissbrauch geschah, und ich den Eindruck habe, dass er sich deswegen beschämt zeigt, will ich das nicht mehr aufwärmen und vorbei sein lassen. Wenn der Schweregrad ein anderer gewesen wäre, hätte ich vielleicht auch andere Schritte gewählt. Das meiste bauscht sich jedoch erfahrungsgemäß noch mehr auf, je weniger man den Verhältnissen entsprechend reagiert.
    Im Fall von Geoff Thompson hätte ich genauso reagiert, da die Gelegenheit der Konfrontation nur einmalig war später und zum Zeitpunkt des Geschehens einfach zu traumatisch. Dass der Typ später Suizid begann, zeigt nur die Wirkung und Vorhandensein eines Gewissens und wsl einer Einsicht, und hat in mir wiederum Beileid ausgelöst.
    Ich sehe meinen Peiniger oft, und hätte er mir schlimmeres angetan, hätte ich ihn zwar angezeigt, aber ihn persönlich wissen lassen, daß ich ihm verzeihe, denn wie gesagt, zeigt er sich jetzt schon beschämt, und ich würde nicht wollen, dass diese Geschichte wie Pech an der jungen Familie klebt.
    Viel zu viele Menschen sind traumatisiert, und es ist kein Wunder dass diese wiederum ihren Mitmenschen wegen Banalitäten das Leben zur Hölle machen.
    Das ist in Deutschland leider sehr extrem der Fall.

  • In Bezug auf den Missbrauchsfall hätte ich allerdings ein Problem damit, den Täter einfach so davonkommen zu lassen (dass der sich letztlich umgebracht hat, war ja Zufall). Bei Unrecht besteht die Verantwortung, zu verhindern, dass dieses wieder geschieht. Hierauf geht Thompson leider in keiner Weise ein. Statt irgendwelche Idioten in Nachtclubs umzukloppen hätte er seine Fähigkeiten und Energie auch darauf fokussieren können, Unrecht zu verhindern und Täter zu verfolgen. Er beschreibt ja in seinem Buch 'Watch my Back' auch Episoden aus seiner Türsteherzeit, in denen er irgendwelchen Typen nachgestellt hat, die seinen 'guten Namen' in den Dreck gezogen haben. Die hat er dann öffentlichkeitswirksam gestellt und verprügelt. Wäre er den Schritt gegangen, auf eine Art zielgerichteten Vigilantismus umzuschwenken, wäre er mir noch um einiges sympathischer.
    Ich verstehe, dass er diesen radikalen Schnitt vom Schläger zum spirituellen Botschafter des Friedens für seine persönliche Entwicklung gebraucht hat. In der Absolutheit, wie er das 'Böse' nur noch als Projektion bzw. externe Realität begreift, kann ich ihm allerdings nicht folgen.

  • Vielleicht ist bei ihm ein spirituelles Ego am Werk(en) ? Jedenfalls sind es extreme Entwicklungen die er zurück gelegt hat, und eventuell hat er alles in seinem Bereich Mögliche getan was er konnte.
    Von Vigilantismus würde wahrscheinlich jeder Passant träumen, aber das war dem was er zu geben hatte wohl untergeordnet.
    Einmal, sprach er von sich oder einem Freund? , der sich abwenden musste von Gewaltanwendung, oder sich irgendwo hinaus begeben musste?, weil da einfach zu viel 'Dunkelheit' war. Diese Aussage, wen auch immer sie betraf, fand ich in Anbetracht der Vergangenheit komisch, aber gut dachte ich, vielleicht hat er auch einfach die Schnauze voll davon sich zu prügeln und ist dann auf den Zug ins Nirwana aufgesprungen.

  • Soweit ich es verstehe spricht er von einem 'Pain-Buddy' im Sinn einer externen Schmerz-Realität. In diesem Sinne ist auch sein Peiniger ein Opfer dieser negativen Energie, von der er sich nicht lösen konnte. Bei Thompson sind die Grenzen zwischen religiöser Metaphorik und Metaphysik fließend, wobei er an anderen Stellen immer wieder betont, dass für ihn die Konzepte und nicht die Personen (Christus, Mohammed) oder Götter im Fokus stehen.
    Wie dem auch sei. Es geht mir gar nicht mal um physische Gewalt (bzw die Ablehnung derselben), sondern um diese radikale, fast schon solipsistische Fokussierung auf das eigene Selbst. Alles andere sind ja für Geoff Projektionen. In einem anderen Video zum Thema Selbstverteidigung fragt er zunächst: 'Which self do yo want to protect?'.
    Der Blick nach Innen ist essenziell, bei Thompson ist das für mich aber ein wenig zu extrem gedacht. Da müsste man weiter nachfragen, ob letztlich für ihn wirklich nichts mehr von Bedeutung ist als die Arbeit am eigenen Selbst.

  • Wie gesagt, er musste Extreme erfahren um zu seinem persönlichen heiligen Gral zu gelangen. Ich könnte mir vorstellen dass der jetzige 'friedliche' Thompson auch einfach was mit seinem Ruhestand zu tun haben könnte, und dazu eigenen sich religiöse Konzepte und Metaphern ganz gut. Ich kann mir auch gut vorstellen was er mit 'which self...' meint. Das sind vielleicht die Auswirkungen von Massenschlägereien, in die eine Lebensgefährtin noch involviert war und man schnell den Überblick verlieren kann.
    In einem Video über Vigilantismus hatte ich auch den Eindruck, dass man bei der Panik die ganz schnell übergreift auch sehr schnell den Überblick verlieren kann. Als Türsteher z.b. handelt man eher in seinem kleinen Bereich laut Anweisung, auf der Straße ist dieser Bereich um ein vielfaches größer und schwieriger. Dazu müsste man sehr gut Abläufe einschätzen können und angemessen handeln. Wer ist so cool und wäre so einer Aufgabe gewachsen?
    Das Gewissen spielt, unabhängig von Recht oder Unrecht, die größte Rolle. Da ist es nur menschlich, dass man anfängt sich Realitäten zurecht zu biegen, wenn man irgendwie mit seiner Vergangenheit zurechtkommen will.