Ich ziehe mal den Mario-Barth-Hinweis mit den Millionen Menschen, die xy angeblich witzig finden, heran. Im Grunde lässt sich gut die Haltung der "PC-Gegner" hieran verdeutlichen. In der Regel erfolgt ein Verweis auf das, was angeblich "die schweigende Mehrheit" oder ein großer Teil der Bevölkerung denkt, um dem Gesagten Legitimität zu verleihen. Auch seitens rechtspopulistischer Politiker kommt in dem Kontext die Aussage, man diskreditiere Millionen von Wählern, wenn man eine bestimmte Form der Politik mit dem "Nazi-Stigma" belegt. Ich persönlich vertrete ja den Standpunkt (und Dian dürfte mir hier sicher zustimmen), dass Millionen von Wählern bzw Konsumenten schlichtweg Vollidioten sind. Das scheint mir tatsächlich eine Aussage zu sein, die genau mit dem Bann belegt ist, den "PC-Gegner" gerne hinsichtlich ihrer eigenen Positionen wahrnehmen. Wären Medien und Politiker tatsächlich ehrlich und würden "kein Blatt vor den Mund" nehmen, hätte das die Beleidigung von verdammt vielen Wählern und Konsumenten zur Folge. Da dies allerdings alles andere als PC ist, müht man sich eben mit komplexen Erklärungsmustern ab, die oft am Kern der Sache vorbeigehen (z.B. indem die "Frustration" oder der "Neoliberalismus" als Erklärungen für Rechtsruck herangezogen werden).
Zum Punkt der Verklärung der 90er: Dabei erwische ich mich auch oft. Rückblickend und mit dem Stand an Sensibilisierung, über den ich heute verfüge, fällt mir allerdings auch erst heute so einiges an diskriminierenden Ansichten ein, die man selbst oder die Umgebung viel problemloser vertreten hat. Was mir tatsächlich so erscheint, ist, dass vieles folgenloser war. Meinungen treffen heute auf ganz andere soziale und mediale Multiplikatoren und wirken hierdurch "toxischer". Ich fand das "philosophische Quartett" früher ziemlich unterhaltsam, aber im heutigen Kontext sind nette Laberonkels wie Sloterdjk und Safranski mit ihren Aussagen (z.b. hinsichtlich ihrer Kultivierung des Feindbildes jung, männlich, muslimischer Migrant) Teil eines reaktionären Rollbacks. Auch die Rassismen in meinem damaligen Umfeld haben es nicht über den Stammtisch bzw die eigenen vier Wände hinaus geschafft, heute sind dieselben Personen AfD-Kandidaten.
So oder so bin allerdings auf eine Weise ziemlich froh, kein Digital Native zu sein und mit viel mehr naivem Eskapismus aufgewachsen zu sein, als es heute wohl bei den Kids der Fall ist. Da sollen sich die Kids meinetwegen heute wenigsten noch unbedarft als Phantasie-Figuren aus Karl-Mey-Romanen (und nicht als amerikanische Ureinwohner) verkleiden, ohne daran erinnert zu werden, wie kaputt die Welt ist ;-)