Aus aktuellem Anlass (und damit andere Threads nicht zu sehr offtopic werden), mache ich mal einen extra Thread zum Thema Fußball auf. Wen es nicht interessiert, kann es ja einfach ignorieren. Aber vielleicht schaffen wir ja auch das Kunststück, ein wenig geistreicher als in anderen Foren über dieses ach so wichtige Thema zu diskutieren.
Fuck, ich war sogar ein bisschen mitgenommen nach dem Ausscheiden "unserer" Nationalelf. Ist es ein Relikt aus Urzeiten, in denen ich als pubertärer Nichtsnutz die Euphorie meiner Mitmenschen bezüglich des deutschen Fußballs aufgesogen hab und jedes Ausscheiden/Weiterkommen als Teil von mir, als Emotion von mir wahrgenommen hab?
Also bei mir ist das eher so, dass das ziemlich wechselt, welcher Nationalmannschaft ich die Daumen drücke. Das hängt beispielsweise davon ab, welche Spieler da dabei sind, und ob ich denen den Sieg gönne oder nicht. Oder ob ich den Spielstil mag, den sie spielen. Ich bin jetzt nicht zwangsläufig aus Prinzip immer gegen Deutschland, nur weil sie deutsch sind. (bin ja auch kein Antideutscher, sondern generell Antinationalist)
Die aktuelle deutsche Mannschaft hat das Charisma von einem Schwarm Schmeißfliegen. Jogis gesichtslose Ja-Sager-Truppe, ein Haufen angepasster Jungspunde, und dann auch noch so Gestalten wie Özil und Gündogan, die ich persönlich (gerade weil ich eben Antionationalist bin) in den nächsten Flieger in die Türkei setzen würde, und zwar ohne Rückflugticket, damit sie dann unter "ihrem" Präsidenten Erdogan glücklich werden können. Diese Mannschaft hat das Ausscheiden definitiv verdient. Aber als sie vor vier Jahren Brasilien weggebombt haben, fand ich es dann auch ok, dass sie Weltmeister geworden sind. Die Spieler können ja auch nix dafür, dass die deutschen Fans so scheiße sind.
Wobei man natürlich auch darüber streiten kann, ob deutsche Fans nun ekliger sind als die von anderen Nationen, und ob es sowas wie ein "deutsches Wesen" überhaupt gibt, oder ob das nicht auch wieder nur Vorurteile sind, wenn man sagt "Die Deutschen sind so und so". Ich persönlich habe aber schon den Eindruck, dass kulturell eine gewisse Arroganz im Deutschen verankert ist, die ich als negativer empfinde als etwa den Nationalstolz von Brasilianern oder Spaniern. Gib dem Deutschen ein paar Erfolgserlebnisse zu viel, und das tut ihm nicht gut, wie die Geschichte schon mehrmals eindrucksvoll unter Beweis gestellt hat.
Und schon allein deshalb kann ich das frühe Ausscheiden nur begrüßen... mal abgesehen davon, dass es view-technisch für das Anarchonauten "Schwarz Rot Gold"-Video eher ungünstig gelaufen ist, weil ich eigentlich darauf spekuliert hatte, dass spätestens ab dem Viertelfinale wieder überall diese nervigen Fahnen rumhängen werden, so dass ein Song wie "Schwarz Rot Gold" die perfekte Anti-Hymne dazu wäre und sich das Video wie ein Lauffeuer verbreiten würde. Jetzt sind die Flaggen weg, und damit auch das Interesse vieler Leute... auch wenn das Thema des Songs ja eigentlich zeitlos ist und nicht nur zum Fußball passt.
Die andere Frage, die man in einem Thread wie diesem diskutieren könnte, ist natürlich, ob Fußball-Schauen überhaupt in irgendeiner Weise Sinn macht, ob in sportlichen Wettkämpfen eine gewisse Ästhetik und Faszination begründet liegt, oder ob es wirklich nur pures Opium fürs Volk ist, um das Dummvolk ruhigzustellen und von wichtigeren Dingen abzulenken.
Ich persönlich weiß ein gutes Spiel als Zeitvertreib durchaus zu schätzen... und vermutlich wäre ich im alten Rom auch öfters mal in die Gladiatorenarena gegangen und hätte mir das angeschaut. Wettkämpfe auszufechten oder Spitzenathleten dabei zu beobachten, wie sie außergewöhnliche Leistungen erbringen, halte ich jetzt auch nicht prinzipiell für etwas Schlechtes oder Primitives, nur weil es keinen großen geistigen Gehalt hat. Es ist eben eine Form des Zeitvertreibs, so wie mit dem Hund spielen oder Musik hören oder sich die Eier kraulen. Viele Dinge, die wir Menschen tun, haben keinen höheren Sinn... man tut sie einfach, um mal abzuschalten oder um sich 90 Minuten lang auf eine einzige Sache zu konzentrieren und den Alltag mal komplett auszblenden. Vielleicht ist das Betrachten eines Fußballspiels nicht zuletzt deshalb für viele moderne Menschen fast schon ein spiritueller Vorgang geworden, weil sie sonst in ihrem Leben gar nicht mehr in der Lage sind, sich mal 90 Minuten am Stück von ihrem Alltag zu befreien und alle anderen Sorgen und Probleme für die Zeit des Spiels komplett zu vergessen. Früher ist man dafür in die Kirche gegangen. Und wenn ich die Wahl habe zwischen irgendeinem langweiligen Dorfpfarrer und Ronaldo, würde ich wahrscheinlich auch eher Ronaldo zuschauen wollen, weil ich in seinen Bewegungen mehr Göttlichkeit erkennen kann. (nee, Quatsch, eigentlich halte ich Ronaldo ja für ziemlich überbewertet und für einen Angeber sondersgleichen. Aber er ist ja nun ohnehin ausgeschieden)
Ich wollte damit auch nur sagen, dass es durchaus Gründe gibt, sich statt einer schlecht gescripteten Reality-Soap im TV oder einer Predigt, die man eh schon kennt, stattdessen mal ein Fußballspiel anzuschauen, und sich daran zu erfreuen, Beobachter eines Dramas zu sein, dessen Ausgang vorher noch nicht feststeht, weil es "live" und ohne Drehbuch abläuft. Ein kleiner Hauch von Ungewissheit in einer Welt, in der nahezu alles bis ins kleinste Detail durchgeplant und festzementiert ist.
Ich wünschte nur, die wichtigen Dinge würden auch so die Massen bewegen wie der Fußball, und die Leute würden sich statt wegen eines Fußballspiels mal wieder wegen dem Ausgang der Wahlen aufregen und kloppen, so wie früher in der guten alten Weimarer Republik. Dass sie es nicht tun, halte ich aber nicht für die Schuld des Sports. Man hat ihnen das halt als Ventil gegeben, und der Pöbel hat es angenommen. Beziehungsweise, ursprünglich war Fußball glaub auch gar nicht so wirklich im Sinn der Mächtigen, weil es die anfangs eher irritiert hat, warum sich ihr Volk, anstatt etwas Produktives zu tun, auf der Straße zusammenrottet um einem Ball nachzurennen. Dass das für die Mächtigen auch nützlich sein kann, etwa als willkommene Ablenkung, haben sie wohl selber erst später erkannt.