Der Unmensch

    • Offizieller Beitrag

    Ich versuche folglich das System von Innen zu verbessern. Damit aus meinen Schülern mal keine Lemminge werden ...

    Ein löbliches Ziel! Und ich will dir das auch gar nicht ausreden. Aber du solltest vielleicht in etwas kleineren Maßstäben denken. Wenn es dir gelingt, dass sich auch nur ein einziger Schüler pro Klasse durch die Begegnung mit dir anders entwickelt, als er es ohne dich getan hätte... dann wäre das schon ein riesiger Erfolg, den du dir einrahmen und übers Bett hängen kannst. ;-)
    Ich war ja auch mal kurz davor, diese Richtung einzuschlagen und Lehrer zu werden.
    Naja, "kurz davor" ist vielleicht ein bisschen übertrieben. Ich hätte noch einen langen Weg vor mir gehabt, wenn ich nicht im zweiten Semester schon hingeschmissen hätte. Aber zumindest hab ich ein bisschen "Lehrerluft" geschnuppert. Und ich habe schon damals bei einem Pratikum an einer Hauptschule realisiert, dass es verdammt schwierig werden würde, meine Vorstellungen vom Lehrersein in die Realität umzusetzen.
    Für das, was ich vorhatte, hätte ich viel näher an den Schülern dran sein müssen... wesentlich näher, als es das System überhaupt zulassen würde. Ich hätte mich mit ihnen quasi verbrüdern und nachts "um die Häuser" ziehen müssen. (Was natürlich ein Skandal gewesen wäre.)
    Ich habe jedenfalls damals schon den Eindruck bekommen, dass die meisten jungen Leute schon so dermaßen viel Dreck im Kopf haben... durch die Medien, durch die Family... durch die ganze Umgebung, in der sie aufwachsen. Diesen Dreck kriegst du nicht in 45 Minuten aus ihnen heraus. Und auch nicht in einem Schuljahr.
    Die Erfahrungen, die ich dann in den letzten Jahren als Foren-Guru mit anderen jungen Menschen gemacht habe, haben mich in meiner Sichtweise eigentlich nur noch weiter bestätigt. Die meisten jungen Menschen erreichst du gar nicht mehr. Die sind schon so versaut von ihrer Prägung... selbst wenn sie glauben, sie hätten sich davon befreit. Ich kannte jemanden, der hatte eine ziemliche Wut auf seine Eltern, und er hat sich frühzeitig von Zuhause aus dem Staub gemacht, um sein eigenes Leben zu leben. Aber das, was ihn in den ersten Jahren seines Lebens geprägt hat, das hat er mitgenommen... und obwohl er seine Eltern verachtet, ist er auf dem besten Weg, genau so zu werden wie sie. Er kriegt das selber gar nicht mit, wie er Schritt für Schritt die selben Fehler begeht, die seine Eltern auch begangen haben.
    Es ist wirklich total krass, wie gewaltig der Einfluss des Dreckslochs ist, in dem die Menschen aufgewachsen sind... und wie gering im Vergleich dazu der Einfluss eines Lehrers oder Gurus ist, der erst viele Jahre später in ihr Leben tritt.
    Ich behaupte einfach mal, 80 oder 90 Prozent der Menschen kannst du "später" schon überhaupt nicht mehr erreichen. Was bleibt, ist eine kleine überschaubare Zahl an verzweifelten Menschen, die ihren Weg noch nicht gefunden haben... die noch auf der Suche sind nach sich selbst. Nach ihrer Rolle in diesem Leben. Diesen kleinen Teil kann man vielleicht noch erreichen und in eine positive Richtung beeinflussen. Aber ganz ehrlich: Die meisten Menschen sind schon im Teenager-Alter selbstverliebte, arrogante Arschlöcher, die glauben, dass sie die Weisheit mit Löffeln gefressen haben. Vielleicht merkt man es da noch nicht so, weil sie noch keine Macht haben wie später als Erwachsene. Doch ein Großteil von ihnen ist charakterlich schon irreversibel verdorben... und jedes kluge Wort, das man ihnen schreibt oder sagt, wird ungefähr so viel bewirken wie ein Wassertropfen auf einer kochenden Herdplatte. Es wird verdampfen im Nichts. Nur jemand, der gerade aus der Wüste gekommen ist und der tagelang nichts zu trinken hat... dem wird dieser eine Wassertropfen, den du oder ich geben können, vielleicht das Leben retten. Und er wird es verstehen und dafür dankbar sein. Aber das ist wirklich nur die absolute Minderheit der Menschen. Den Großteil kannst du schon nicht mehr erreichen, meiner Beobachtung nach. Den hätte man viel früher aus seinem Umfeld entführen müssen.
    Aber wie gesagt, ich will dich überhaupt nicht entmutigen. Ich find's geil, dass jemand wie du tatsächlich Lehrer geworden ist! Ich empfehle dir nur, dich auf Einzelne zu konzentrieren, die es wert sind, und für den Rest der Klasse einfach der Arschloch-Lehrer zu sein, den sie verdient haben. Aber vielleicht ist das auch nur der zynische elitäre Kommentar eines von den Menschen enttäuschten ehemaligen Humanisten. ;-)

  • Hallo Jack!


    Das bayerische Beamtendasein und eigene Ideale sind auf dem ersten Blick tatsächlich so eine Sache. Ich bin mir aber zumindest sicher, dass du deine Schüler zumindest nicht so verdirbst, wie es ein Lehrer macht, der statt deiner die Schüler jetzt unterrichten würde.
    Ansonsten hat es Dian ziemlich gut auf den Punkt gebracht: Schon im Teenangeralter ist es eigentlich schon zu spät. Es ist lediglich ein letztes Aufbäumen gegen die Welt der Erwachsenen, in die man aber letztendlich doch rein will. In dem Alter gibt es nichts, was man weniger möchte, als für immer ein Kind zu sein. Denn durch all die Regeln und Verbote, die man während seiner Kindheitsjahre erfahren hat, ist das Interesse jetzt nur umso größer, endlich auch erwachsen zu sein und scheinbar sich an keine Regeln mehr halten zu müssen. Das ganze Gegenteil ist aber der Fall.


    Wahrscheinlich wäre die idealste Prägungsphase der Kindergarten. Wobei es hier gesellschaftlich vorgegeben ist, dass nur Frauen die lieben Kleinen beeinflussen dürfen. Als Mann sähe man sich unterschwellig immer den Vorwurf von zu viel Prägung ausgesetzt, selbst wenn man nur hingehen würde und einfach seine Zeit bis zum Feierabend absitzt.
    Es ist eben die Phase, in der sich Eltern noch am meisten um das "Wohl" ihrer Kleinen kümmern. Das kehrt sich dann aber nach und nach um und ich glaube, die Grundschule ist tatsächlich mit die einzige Zeit, in der man ein Kind erreichen kann, ohne skeptische Blicke der Eltern zu ernten und ohne Desinteresse der Heranwachsenden, weil ihre Richtung bereits eingeschlagen oder sie aus Coolnessgründen sich selbst Denkmauern im Kopf errichtet haben.
    Ich muss sagen, dass für mich die Grundschulphase noch die erfüllendste war. Danach hatte sich das mit der Schule erledigt und ich empfand es als Gefängnis. Allerdings hatte ich auch eine echt tolle Grundschullehrerin, die ich Jahre später sogar in ihrem Ruhestand besucht habe. Und ich mochte sie tatsächlich noch immer, obwohl ich mittlerweile selbst einiges an Prägung durch äußere Einflüsse und eigene Gedanke mitgenommen hatte.


    Was die Analogie der Wüste betrifft, so meinte Dian wohl vielmehr den Rückzug, den ein Mensch (ob groß oder klein) erst mitgemacht haben muss, ehe er offen für äußere und vor allem neue Reize ist. Das ist nämlich nicht die Pubertät, weil dort die Reize entweder dem anderen Geschlecht gelten, irgendwelchen krassen Drogenerfahrungen oder dem naturgegebenen Drang, sich selbst zu behaupten. In diesen Lebensjahren sind es dann schon die Hormone, die einem zeitweise den Verstand ganz schön vernebeln. Und das sind schon mal denkbar schlechte Grundvoraussetzungen. Und vermutlich ist es genau deswegen bei vielen hier schon zu spät.
    Das Menschwerden klappt eher in einem Alter der Neugierde und Wissensgier. Später höchstens nur noch, wenn das einstige Kartenhaus komplett eingebrochen und man frei von bisherigen Fesseln ist. Manche müssen dafür erst richtig im Dreck liegen. Ist dann ironischerweise wirklich so etwas wie eine innere Reinigung. Und dann besteht tatsächlich noch mal Hoffnung auf einen Neuanfang.Allerdings nicht durch ein Indoktrinieren wie ein Sektenführer, sondern durch ein Handreichen und dem anderen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen.
    Biete diese Art Freundschaft mal einem Heranwachsenden an. Je nach Alter bekommt man dann zu hören: "Ey Digga, bist du schwul?" oder "Lassen sie mein Kind in Ruhe oder ich rufe die Polizei!".

  • @daryus: Hier besteht wohl einiges an Klärungsbedarf. Ich setze daher noch mal an und beziehe mich einzeln auf deine Aussagen.


    Was heißt hier >statt deiner<? Jack gab doch bereits offen zu, dass er ein bavarischer Grundschullehrer geworden IST.

    Jack ist Gymnasiallehrer. Meines Wissens gibt es in der Grundschule noch keine Gymnasialstufe. Zudem sprach er von Oberstufenschülern, was jetzt auch nicht gerade auf eine Grundschultätigkeit schließen lässt.


    Und ich bin mir sicher, dass mindestens jeder zweite davon versucht, es irgendwie besser zu machen.

    Versuchen tut es vielleicht jeder zweite, schaffen aber nur jeder zwanzigste (grobe Schätzung). Denn wie will man jemanden etwas lehren, wenn man zwar den idealistischen Anspruch hat (zumindest noch in ersten Berufsjahren), aber man letztendlich doch auch nur eine Prägung erfahren hat wie alle anderen, und dadurch unwillkürlich früher oder später genau das wieder vermittelt wird?
    Jack scheint durchaus das Potenzial zu haben, die Dinge anders zu handhaben, was ja dann auch sofort mit einem Verweis geahndet wurde. Ein Status, den ihm bereits sehr von seinem Kollegenkreis unterscheiden dürfte.


    Wofür? Um mit dem eigenen nachdenken anzufangen?


    Wie ich schon schrieb: In der Pubertät ist es dafür meist schon zu spät. Man ist so leicht beeinflussbar und es wird ausgenutzt von Werbetreibenden, die dir die neueste Turnschuhe toll anpreisen. Ansonsten erledigt das auch der Gruppenzwang. Die Wenigsten schlagen als Jugendlicher einen Weg ein, der sich befreit von diesem ganzen Dreck. Und wenn es einer tut, dann ist er direkt Außenseiter. Das will natürlich keiner sein und so wird man letztendlich doch folgsam und versucht fortan, zumindest nicht weiter aufzufallen. Manche Außenseiter werden auch manchmal zum kompletten Abbild ihrer einstigen Peiniger - nämlich dann, wenn diese ihm eine Chance geben und man dann in deren Kreise einsteigt und spätestens jetzt gar nichts mehr hinterfragen wird.

    Ich weiß ja nicht, wie das euch ging - aber als ich ein Teenager war, hasste ich bereits fast die gesamte Menschheit. Inzwischen verachte ich bloß noch einzelne Individuen. Habt IHR seit eurer Teenager-Phase gar nichts mehr dazulernen können und projiziert das jetzt auf andere?

    Also zumindest ich habe seither nicht gelernt, dass ich als Jugendlicher im Unrecht war und mein Leben jetzt vollkommen umkrempeln sollte, denn schließlich bin ich der Gesellschaft etwas schuldig und ich will es ja mal zu etwas bringen im Leben.

    Was genau wollt ihr mit den Kleinen überhaupt anstellen? Reicht es nicht schon, dass ihre Eltern und Lehrkräfte versuchen, sie bei der Hand zu nehmen, um ihnen den rechten Weg aufzuzeigen!


    Tun sie das? Wieso platzt das Unity-Forum dann nicht aus allen Nähten? Wo ist der Nachwuchs? Wo sind die Straßenkämpfe und eine Generation, an denen sämtliche Internettrends abprallen und die löchrige, zerfetzte Jeanshosen für 180 Euro im Laden liegen lassen?

    Schrieb jemand, der sich als >Unmensch< bezeichnet!!


    Sehe darin keinen Widerspruch. Mein Unmenschdasein resultiert aus einer Abspaltung von der Menschheit. Wenn das, was dort draußen passiert, von Menschen begangen wird, dann bin ich doch lieber ein Unmensch.

    Ich sage euch, selbst der einsamste Einsiedler, der ein Leben lang tiefgründig über die Menschheit nachdachte, wird gegen die hiesige Staatsanwaltschaft mit logischen Argumenten nichts ausrichten können.

    Diese Wandlung wundert mich jetzt. Du warst es doch, der in einem anderem Thread noch darüber sinnierte, dass die staatliche Macht sehr begrenzt sei, wenn sich doch nur alle quer stellen würden. Nur so könne man es schaffen, hieß es.


    Würde er sich nämlich den durchgeknallten Spielregeln seiner Mitmenschen verweigern wollen, bliebe ihm am Ende bloß wieder die Flucht - zurück in eine karge Wüste oder den Alkoholismus...

    Aus welchem Spießerlehrbuch hast du das denn? Wenn man nicht mitläuft, dann bringt einen das unwillkürlich in die Hölle und wer nicht arbeitet, wird zum einsamen Alkoholiker?

    Wie würdest du reagieren, wenn irgendein Fremder daherkommt, um deinem Kind die Hand zu reichen und ihm mit Wort und Tat zur Seite zu stehen?

    Ich wäre wohl zunächst verwundert. Aber nicht der Handlung wegen, sondern dass es das scheinbar wirklich noch gibt.
    Die Polizei würden nur die Leute rufen, deren Horizont gar nicht so weit reicht, um überhaupt solche Gesten für möglich zu halten. Die erziehen ihre Kinder mit harter Hand oder Druck. Seinen Sprösslingen auf Augenhöhe zu begegnen, ist für die gar nicht denkbar. Also kann der Typ nur pädophil sein, der sich so auffällig interessiert mit meinem Kind befasst.

    Fast NIEMAND gesteht sich gerne Fehler ein. Genau darin liegt ja der Fehler!
    Und das ist absolut keine Frage des Alters oder der Isolation.

    Mit Isolation hat das durchaus etwas zu tun. Denn wenn man in seiner krassen Partyclique voll aufgeht, dann wird man kaum irgend etwas hinterfragen.
    Und was das Alter betrifft, so gibt es hier einen ganz guten Einblick, wieso es, je mehr Zeit verstreicht, umso unwahrscheinlich ist, dass sich im Kopf noch mal etwas grundlegendes ändern wird.

  • Es scheint wirklich etwas wahres dran zu sein - erst wenn man sich uneinig ist, kommt so richtig Bewegung in die Unity. Eigentlich total kontra-revolutionär.
    Naja, aber so uneinig sind wir uns ja gar nicht. Dennoch ein paar Punkte:

    Trotzdem ist JEDER ZEITPUNKT der beste, um mit dem eigenen Nachdenken anzufangen - zu sagen, dass man bereits ab dem Teenager-Alter fast keine Chancen mehr dazu hat oder zuvor wenigstens ein paar Jahre an Isolation braucht, ist einfach nur falsch.

    Ein wenig plakativ muss man natürlich schon auftreten. Aber klar, auch ich weiß, dass es nie zu spät ist. Nur wie wahrscheinlich ist es? Man kann auch noch mit 50 Jahren anfangen, ein Instrument zu erlernen. Die meisten, die es bis dato nicht versucht haben, werde es vermutlich auch mit 50 Jahren nicht mehr anfangen. Und die wenigen, die es doch probieren, werden immer viel schlechtere Voraussetzungen haben als das Kind, das bereits mit fünf Jahren damit begonnen hat. Da sind die Erfolge auch ganz andere, wenn man nach einem halben Jahr noch mal beide mit ihrem Fortschritt betrachtet.
    Und wenn jemand 50 Jahre geworden ist, ohne dass er die Notwendigkeit sah, je seinen Kopf anzustrengen, dann ging es ihm offenbar bisher blendend in seiner gesellschaftlichen Scheinwelt und er wird auch zukünftig seinen Kopf nicht benutzen. Warum auch?
    Sollte er dann aber doch aus widrigen Umständen in die Wüste gelangen, dann ändert sich die Situation grundlegend. Und hier wären wir wieder beim Thema Isolation, die es eben doch braucht.


    Übrigens halte ich es nicht für ausgeschlossen, dass eine Midlifecrisis, ähnlich wie die Pubertät, so eine Art Wegpunkt des Geistes ist, wo vielleicht doch noch mal ein schwaches Lichtlein aufglüht. Ob bei der einen oder bei der anderen Sache, hier könnten sich die Wegpfade noch mal brechen.
    Passiert es aber auch dann nicht, ist der Ofen weitestgehend aus. Dann bleibt man bei dem, was man bisher schon kannte. Getreu dem Motto: Was man hat, hat man. Und was man bekommt, weiß man nicht.


    aber ich glaube auch, dass selbst der einsamste Einsiedler, der ein Leben lang tiefgründig über die Menschheit nachdachte, mit logischen Argumenten nichts gegen die hiesige Staatsanwaltschaft ausrichten können wird, solange er dabei völlig alleine dasteht. Worin liegt hier der Widerspruch?

    Die Staatsanwaltschaft ist ein gesichtloser Staatsapparat, hier werden keine Argumente Wirkung zeigen. Ganz egal worum es geht. Und ich glaube zudem, dass ein verlauster, bärtiger Einsiedler der Letzte ist, von dem ein anzugtragender Staatsanwalt, der seit Jahren treu dem System dient und dadurch sein Reichenhäuschen finanziert bekommen hat, irgendwelche schlauen Argumente annimmt.


    selbst der weiseste Einsiedler hat praktisch kaum Chancen, sich dem System zu verweigern, ohne sich gleichzeitig auch offen mit demselben anzulegen.


    Die Welt hört ja nicht an der deutschen Grenze auf. Es gibt sicherlich ein paar Staaten, denen ist völlig gleichgültig, was seine Bürger treiben. Solange sie kein Geld kosten oder ihnen diplomatische Schwierigkeiten bereiten (was dasselbe ist), gibt es sicherlich genug Urwälder, wo man tun und lassen kann, was man möchte.
    Meist sind es Staaten, die gar nicht über so etwas wie eine Staatsanwaltschaft verfügen.


    Weißt du wie viele Gurus und religiöse Typen da draußen unterwegs sind? Ich bin mir ziemlich sicher : Wenn ein völlig Unbekannter daherkäme, der dich fragt, ob er dein Kind bei der Hand nehmen und auf seine Weise unterrichten darf, hättest du ebenfalls die naheliegende Befürchtung


    Also etwas Menschenkenntnis habe ich dann schon, davon kannst du ausgehen. Ich würde schon sehr genau merken, was das für eine Gestalt ist und was seine Ziele sind. Notfalls sucht man das Gespräch. Im Grunde die alltägliche Vorgehensweise, um zwischen Freund und Feind zu unterscheiden. Du lässt ja auch niemand fremdes in deine Wohnung. Aber es gibt Menschen, bei denen du es zulässt. Und irgendwas muss dich ja dazu veranlassen.

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    • Offizieller Beitrag

    Manchmal habe ich ein wenig den Eindruck, du widersprichst nur um des Widersprechens Willen... wechselst auch gern mal argumentativ die Seiten und widersprichst einigen deiner vorherigen Äußerungen selbst... und hinterher gibst du dann irgendwann wieder zu, dass man ja eigentlich fast alles genauso sieht... hmm
    Liebst du einfach nur das Argumentieren, oder geht es dir darum, aufzuzeigen, dass es keine allgemeingültigen Wahrheiten gibt und man alles auch genau andersrum sehen kann?

    Tatsächlich denke ich sogar, dass viele unserer wohlbekannten Weltverschwörer LEDIGLICH aufgrund ihrer Isolation mit den Spinnereien anfingen: Die leben fernab von der Welt in ihren kleinen Ein-Zimmer-Wüsten - und haben oft trotzdem KEINERLEI AHNUNG MEHR von der Realität vor ihrer Haustür

    Ok, wenn ich mir den Dennis in seiner SA-Uniform, den Kettwiesel in seinem Hühnerstall und ähnliche Gestalten aus diesem Umfeld anschaue, muss ich dir eindeutig Recht geben... manchmal führt Isolation wohl auch einfach nur zu einem gewaltigen Dachschaden, und dass man seine ohnehin schon bestehenden sozialen Defizite nur noch weiter ausbaut.

    Wenn ihr Kinder aus dem Schutz ihrer Eltern entführen wollt, um etwas vernünftiges aus ihnen zu machen, indem ihr sie 3-5 Jahre lang wegsperrt, glaube ich kaum, dass ihr dadurch klügere oder bessere Kinder erzeugen könnt.

    Der Mensch lernt nunmal am allermeisten durch Beobachten und Nachahmen. Und wenn du die ersten, prägenden Jahre deines Lebens größtenteils damit verbringst, dumme Menschen und deren primitive Logik zu beobachten, dann ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass es dir irgendwann wie das Selbstverständlichste auf der ganzen Welt erscheint, so zu denken und so zu handeln wie sie.
    Von daher denke ich schon, dass man gar nicht genug Abstand zu dem Sumpf, in dem man aufgewachsen ist, haben kann.
    Die Frage ist halt nur, wie man diesen Abstand bekommt. Zeit zum Nachdenken zu haben ist ein wichtiger Faktor... und diese Zeit hat man nunmal nicht, wenn man rund um die Uhr in seiner Herde eingespannt ist und immer tausend Ablenkungsmöglichkeiten zur Verfügung hat. Von daher meine Idee mit der Isolation auf einer einsamen Insel, damit die Leute mal runterkommen und zu sich selbst finden können.
    Aber logisch, dass ein Asi-Kind, das man aus seinem Asi-Zuhause entfernt, nicht zwangsläufig den nötigen Abstand zu seiner Herkunft entwickelt. Es gibt ja sogar genug Beispiele von Kindern, die ihre Eltern lieben, obwohl sie von denen vernachlässigt oder verprügelt werden. Von daher würde ich das mit der Einsamkeit auch etwas korrigieren wollen: Einsamkeit kann einem helfen, die Dinge klarer zu sehen und eigenständig nachzudenken. Aber man braucht auch einen Anreiz, das zu tun... eine Inspirationsquelle, eine "Anleitung"... wobei "Anleitung zum Selberdenken" irgendwie ziemlich paradox klingt... das ist mir schon auch klar.
    Aber hast du eine bessere Idee? Wenn du die Leute einfach in ihrem krankmachenden Umfeld lässt, wird alles seinen gewohnten Gang gehen. Die 2 oder 3 Prozent, die von Natur aus "anders" bzw. besonders willensstark und kreativ sind, werden so oder so früher oder später zu sich selbst finden. Egal ob sie jetzt auf einer einsamen Insel aufwachsen, in einer asozialen Zigeunerfamilie oder bei den zu Guttenbergs im Schloss. Also wenn es nur um die gehen soll, kannst du auch ebenso gut alles so lassen, wie es ist.
    Die Frage ist halt nur, wie erreicht man die restlichen 98 Prozent? Wie kann man da verhindern, dass sie genauso scheiße werden wie ihre Eltern und deren Eltern davor? Irgendwie muss man diesen Kreislauf ja mal durchbrechen... und wenn du da bessere Ideen hast als ich, dann lass hören!

  • Ein löbliches Ziel! Und ich will dir das auch gar nicht ausreden. Aber du solltest vielleicht in etwas kleineren Maßstäben denken. Wenn es dir gelingt, dass sich auch nur ein einziger Schüler pro Klasse durch die Begegnung mit dir anders entwickelt, als er es ohne dich getan hätte... dann wäre das schon ein riesiger Erfolg, den du dir einrahmen und übers Bett hängen kannst. ;-)

    Du hast die Sache richtig gut erkannt. Auch wenn ich hoffe mehr als einen Schüler pro Klasse eine etwas andere Sichtweise (nicht Mainstream) gezeigt zu haben, komme ich einfach nie gegen die Übermacht an Eltern und Kollegen an.


    Fünftklässler (!) kommen schon mit einem vorgefertigten Weltbild. Wenn ein Typ sich Frauenkleider anzieht, ist das für etwa 99% eine unverständliche Sache von der sie noch nie gehört haben. Dass Mädchen Schminkzeug lieben und hinter dem Rapper in kurzen Höschen zu tanzen haben, finden die selbstverständlich.
    Etwa 90% der 5.Klässler besitzen ein Smartphone, wobei 50% davon bereits freien Zugang zum Internet haben. Nur etwa 1% der Eltern (nach meinen Umfragen weniger) schauen sich mal ein YouTube-Video mit ihrem Kind an.
    YouTube bildet das Weltbild der neuen Generation. Wer wissen will, wie die Zukunft aussieht, sollte sich mal den Deutschlandtrend anschauen (Das was dort vorgeschlagen wird, sehen die Kinder - ungefiltert!).


    Das bayerische Beamtendasein und eigene Ideale sind auf dem ersten Blick tatsächlich so eine Sache. Ich bin mir aber zumindest sicher, dass du deine Schüler zumindest nicht so verdirbst, wie es ein Lehrer macht, der statt deiner die Schüler jetzt unterrichten würde.

    Danke. Tatsächlich habe ich den Beruf nur als Quereinsteiger gewählt, weil Physik- und Mathematiklehrer rar sind (in der Wirtschaft lässt sich mehr verdienen). Statt mir hätte das dann wohl ein Deutschlehrer fachfremd gemacht oder noch eine Frau, die den Beruf gewählt hat, weil sie irgendwas mit Kindern machen wollte und man den Beruf gut mit Schwangerschaft vereinen kann.
    Eine solche hatte peinlich berührt auf meinen Kommentar "Ich mache zur Zeit Sexualität im Alltag" (Ethikunterricht) gemeint: "Oh .... Das überspring ich immer ..."


    Das System werd ich nicht ändern, da habt ihr Recht. Gegen die Masse bin ich der Tropfen auf dem heißen Stein. Aber immerhin kann ich beruhigt schlafen. Jeden Tag und jedes Jahr gebe ich zahllosen Schülern ein Beispiel. Eine andere Sichtweise.


    Es sind oft die kleinen Dinge, die kleinen Samen, die man setzt. 10 Ethikschüler wissen zum Beispiel seit diesem Jahr, dass jede Moral Menschen gemacht ist und nicht in Stein gemeißelt. Dass man sogar das Grundgesetz hinterfragen darf. Das Schulbuch und meine Kolleg_innen hätten das nicht gemacht. Dort gibt es klare Antworten. Zum Beispiel, dass wer Tieren mehr Wert einräumt als Menschen, sich im Irrtum befindet. (Es geht mir nicht darum, ob das stimmt oder nicht, sondern, dass man den Schülern ein Dogma vorsetzt, das diese verinnerlichen, um ein gutes Gewissen zu haben, wenn sie den nächsten Burger essen)


    Wie mein Geschichtslehrer, der damals die Kenntnis der Amis vom Angriff auf Pearl Harbor als Tatsache gelehrt hat. Erst sehr viel später habe ich bemerkt, dass das nicht jeder so sieht (vor allem die Amis). Wer was von Kryptographie weiß, weiß die Wahrheit :-)

    • Offizieller Beitrag

    @daryus:
    Erstmal danke, dass du diese doch sehr persönliche Geschichte hier niedergeschrieben hast. Zum einen sind solche persönlichen Geschichten von lebenserfahrenen Menschen das, was das Forum früher auch immer ausgemacht hat, und was in letzter Zeit irgendwie etwas zu kurz gekommen ist. Außerdem hilft es mir auch dabei, dich etwas besser zu verstehen.
    Hatte mich schon gewundert, was du für ein Problem damit hast, dass die Menschen mal bisschen ohne Ablenkung irgendwo in völliger Isolation verbringen sollen. Aber vor deinem persönlichen Hintergrund verstehe ich das natürlich.
    Mir ging es aber auch wirklich in keinster Weise um Isolations-Haft oder dergleichen. Wenn Haftstrafen bessere Menschen erzeugen würden, hätten wir längst keine Kriminalitätsprobleme mehr. Daher lehne ich das Prinzip auch komplett ab, Menschen zur Resozialisierung an einen ungemütlichen Ort voller anderer asozialer Menschen zu stecken. Das ist, wie wenn man einen bissigen Hund zu anderen Kampfhunden in den Zwinger steckt, damit er seine Aggressionsprobleme in den Griff bekommt. Auf solche dämlichen Ideen können wahrlich nur Menschen kommen. dash
    Dass man wegen so einer Lappalie wie das, was du "getan" hast, überhaupt eingesperrt werden kann, finde ich schon ziemlich krass. Vor allem, weil es ja wohl auch genügend andere Fälle gibt, wo ein Kerl beispielsweise sogar seine Freundin verprügelt und ihr ständig auflauert und mit Mord droht, und trotzdem bekommt der nur eine Verwarnung und einen Platzverweis... und später sticht er sie dann ab, und keiner will etwas davon geahnt haben.
    Also verstehe ich nicht, warum manche Menschen wegen einer solchen Drohung als Gefahr eingestuft werden und andere nicht. Liegt es an der Willkür der Richter bzw. der Gutachter? (Ich kannte übrigens mal ein Mädel, deren Mutter war so eine Gutachterin, die darüber entscheiden durfte, von wem eine Gefahr ausging und von wem nicht. Und, was soll ich sagen: diese Mutter war selber eine psychisch total gestörte Person mit kaputtem Privatleben und voller unverarbeiteter Ängste und Vorurteile. Seitdem ich die kennengelernt habe, wundert mich jedenfalls nichts mehr, warum die so oft danebenliegen. Aber das nur so nebenbei. :-) )


    Weiß nicht, was ich von der Sache mit dem Nazi halten soll. Da scheint mir ja schon die Isolation im Gefängnis bzw. die Abwesenheit von seinem gewohnten Umfeld dazu beigetragen zu haben, dass er sich überhaupt mit einem wie dir eingelassen hat. Oder meinst du, er hätte auch mit dir Backgammon spielen wollen, wenn er dir irgendwo draußen mit seiner Clique begegnet wäre, weil er dich so sympathisch gefunden hat?
    Manchmal, in bestimmten Situationen, sind Menschen einfach offener für neue Einflüsse als in anderen Situationen. Und wenn man in solchen Situationen auf sie zugeht und sich mit ihnen abgibt, kann man vermutlich auch etwas bewirken. Das ist aber auch in etwa das, was ich mit der "Wüste" meinte, durch die ein Mensch gehen muss, um in der Lage zu sein, überhaupt etwas von anderen anzunehmen. Vermutlich war der Kerl gerade einfach schon bereit dafür oder war schon im Zweifel insgeheim. Wenn du es hingegen allein durch deine subtilen Worte geschafft hast, ihn dazu zu bringen, seine Überzeugungen zu hinterfragen, dann solltest du dir vielleicht echt mal überlegen, Sozialarbeiter zu werden. Oder vielleicht doch auch Lehrer... in einer Lackierer- oder Maurer-Klasse an irgendeiner Berufsschule in Ostdeutschland. Bin mir sicher, da gibt es noch genügend andere Nazis, denen auch mal dringend jemand so subtil etwas zuflüstern sollte. ;-)

    Es sind oft die kleinen Dinge, die kleinen Samen, die man setzt. 10 Ethikschüler wissen zum Beispiel seit diesem Jahr, dass jede Moral Menschen gemacht ist und nicht in Stein gemeißelt.

    Sagen wir besser: Du hast es ihnen immerhin mal erzählt. Ob sie das dann auch wirklich verinnerlicht haben, ist leider eine komplett andere Geschichte.
    Wir hatten früher einen Gemeinschaftskundelehrer, der war der personifizierte Alt-68er. Er sah aus wie Rudi Dutschke, trug Birkenstock-Sandalen (selbst im Winter bei Schnee!!!), und er war auch wirklich engagiert und hat auch einige krasse Sprüche rausgehauen. Bei den Schülern war er aufgrund seiner lockeren Art sehr beliebt. Aber ist dadurch auch nur einer meiner Mitschüler "aufgewacht" oder zum Rebell geworden? Meistens haben sich an Diskussionen nur die zwei Schüler beteiligt, die eh schon politisch interessiert waren.
    Auch wenn man mal Mittags im Zug fährt und die Gespräche irgendwelcher Schüler belauscht... da wären mir noch nie Äußerungen aufgefallen wie "Heute haben wir gelernt, dass man sogar das Grundgesetz hinterfragen darf." Stattdessen geht es in ihren Gesprächen nur darum, wer mit wem und warum, und was Herr soundso für fiese Hausaufgaben aufgeben hat etc.
    Daher eben meine Skepsis, ob der Einfluss eines Lehrers wirklich so groß ist.
    Oder anderes Beispiel: Nehmen wir mal unsere lieben muslimischen Mitbürger. (gut, das Problem hast du als Gymnasiallehrer vermutlich eher weniger)
    Eigentlich sollte man denen meiner Meinung nach beibringen, dass Religionen ein rückständiger Haufen Mist sind, und dass der ganze Schwachsinn wie "Du darfst kein Schweinefleisch essen, weil das so im Koran steht" einfach nur billige Gehirnwäsche ist. Aber wenn du das als Lehrer so sagen würdest, wärst du deinen Job ziemlich schnell wieder los. Mal abgesehen davon, dass dich die betroffenen Schüler auch nur hassen würden, anstatt irgendwas von dir anzunehmen.
    Eigentlich kann man nur den Schülern immer wieder gebetsmühlenartig zu erklären versuchen, dass auch andere Religionen oder Atheisten ein Recht auf ihre Meinung haben... und dann eben hoffen, dass irgendwann bei einem mal ein Denkprozess einsetzt. Dafür muss man schon sehr idealistisch und geduldig sein. Ich glaube, spätestens da wäre ich komplett gescheitert als Lehrer, weil ich einfach nicht so der Typ für sowas bin. Wahrscheinlich hätte ich nur alle gegen mich aufgebracht, weil ich ihnen erzählt hätte, dass ihre Eltern totale Idioten sind, und dann wären noch die Eltern gekommen und hätten mir Schläge angedroht, und spätestens dann wäre die Lage eskaliert und man hätte mich als Sicherheitsrisiko eingestuft und aus dem Beamtendienst entfernt. :D Und am Ende wäre ich noch als Rassist dagestanden. :=

  • Sagen wir besser: Du hast es ihnen immerhin mal erzählt. Ob sie das dann auch wirklich verinnerlicht haben, ist leider eine komplett andere Geschichte.


    Oder anderes Beispiel: Nehmen wir mal unsere lieben muslimischen Mitbürger. (gut, das Problem hast du als Gymnasiallehrer vermutlich eher weniger)
    Eigentlich sollte man denen meiner Meinung nach beibringen, dass Religionen ein rückständiger Haufen Mist sind, und dass der ganze Schwachsinn wie "Du darfst kein Schweinefleisch essen, weil das so im Koran steht" einfach nur billige Gehirnwäsche ist.

    Naja, erzählt habe ich es nicht direkt. Klar habe ich mal gesagt "Es gibt kein absolutes Gut und Böse", aber im Grunde habe ich ihnen zahllose solche Botschaften ein halbes Schuljahr lang untergeschoben (in verschiedensten Kontexten, sogar in der Ex). Natürlich reden die da nicht drüber. Meistens interessiert es sie auch nicht wirklich - höchstens den ein oder anderen Schüler. Aber ich behaupte, allen 10 habe ich etwas eingepflanzt. Wenn Sie später im Leben vor schwierigen Entscheidungen stehen, haben sie mehr Möglichkeiten. Nicht, dass sie sich besser entscheiden werden durch mich, aber ihr Horizont ist nun weiter.


    Zum Beispiel, steht auf meinem Ordner der Aufkleber: "Die Bibel ist ein Märchenbuch."
    Ich thematisiere das nicht weiter. Viele sehen es, manche fragen. Meist ist meine Antwort knapp, es ist nicht wichtig, mein Ziel ist erreicht: Mehrere hundert Schüler haben diesen Satz gelesen, gehört und er nagt an der katholischen Umgebung in der sie auch heute noch aufwachsen (die meisten Lehrer, beten jeden Morgen in der ersten Stunde mit den Schülern).


    Und ja, ich habe zu einer Schülerin mit Kopftuch gesagt, als sie geklagt hatte, dass ihr zu heiß sei: "Du kannst ja deine Kapuze abnehmen, dann ist dir nicht mehr heiß."
    Und was denkst du, wer da im Ethik Unterricht sitzt? Zwei bis drei Türken schaffen es dann doch pro Jahrgang ins Gymnasium. Warum das so wenige sind und viele davon oft unheimlich schlecht sind, kann ich nicht beantworten.


    @daryus:
    Ebenfalls danke für deine sehr interessante Lebensepisode. Das bestärkt mich nur noch mehr in meiner Analyse des Rechtssystems.
    In Norwegen zum Beispiel führen sie Kriminelle, lange bevor sie wieder auf die Welt losgelassen werden, in einer normalen Atmosphäre langsam zurück ins Leben. Teilweise arbeiten sie dann bereits wieder gewöhnliche Berufe und sind nicht mehr "eingesperrt" (zumindest in dem Sinne, wie wir das kennen).
    So wie mit dem Nazi, den du (hoffentlich) reformiert hast, stelle ich mir das in etwa auch vor. Bin da ganz deiner Meinung, die brauchen einfach jemanden der ihnen zuhört und sie ernst nimmt. Wenn du einem Nazi sagst, er dürfe Ausländer nicht hassen, weil das rassistisch ist, nicht nett und weil das Menschen seien wie er selbst, dann hilft das gar nichts. Er muss mit einem Nichtrassisten, den er an seiner Seite akzeptieren kann in Kontakt mit Ausländern kommen und selbst erkennen, dass seine Vorurteile falsch sind. Nur durch den Widerspruch seiner Fehlvorstellungen mit der Wirklichkeit, wird er lernen können.
    Ich freue mich, dass es Personen wie dich gibt. Ich wünschte nur, es bräuchte nicht Zufälle und Gefängnisse dieser Art, um so etwas passieren zu lassen.

  • Hab deinen Text gelesen. Du sprichst einige der Kritikpunkte am aktuellen System an, die ich ganz genauso sehe.
    Mit deiner Lösung bin ich jedoch weniger zufrieden. Klar, bin ich der Meinung, dass jeder persönlich mehr Recht sprechen können soll, als bisher - zumindest weit mehr in den Prozess eingebunden werden muss als bisher.
    Aber wenn du jeglichen Staat abschaffen möchtest und das nur auf die individuelle Ebene reduzieren, dann hat das mindestens zwei Folgen, die ich nicht begrüßen kann:
    1. Wir hatten diese Art des Zusammenlebens bereits. Jahrtausendelang gab es keine Gesetzestexte und die Menschen machten sich ihre Regeln selber. Wir lebten in Stämmen, hierarchisch gegliedert und führten dauernd Krieg miteinander. Das ist die natürliche Rechtsprechung, die Menschen vom Gefühl her praktizieren. Diese Art des Miteinander war universell in der gesamten Welt. Es gab Unterschiede in Gebräuchen und der Struktur der verschiedensten Gesellschaften, aber Krieg untereinander, Ausschluss von Andersdenkenden etc. war allen gemeinsam.
    2. Du hast richtig erkannt. Der Einzelne hat das große Ganze nicht mehr im Bild. Wenn einer an den Brückenpfeiler pisst ist das in Ordnung, er erkennt richtig, dass er dadurch keinen Schaden anrichten kann. Wenn das jedoch alle tun, geht es weder der Brücke noch dem Grundwasser gut. Eine anarchistische Menschheit kann diese Probleme, vor allem den Umweltschutz, niemals in den Griff bekommen und wird aussterben.


    Unser Rechtssystem ist vollkommen falsch, da sind wir uns einig. Es jedoch mit anarchistischer Selbstjustiz ersetzen zu wollen, macht es nicht besser. Denn unser Rechtssystem entstand aus dem Bedürfnis etwas besseres zu erschaffen, als genau das. Es ist genau deshalb so schlecht.
    Wenn früher jemand für einen Mörder gehalten wurde, wurde der am nächsten Baum aufgeknüpft. Heute reicht es nicht mehr, der Meinung zu sein, jemand hätte etwas getan, um ihn zu bestrafen (Selbstjustiz). Um Unschuldige zu schützen und dennoch den Hinterbliebenen das Gefühl zu geben, ihre Rache zu bekommen, haben wir ein komplettes Rechtssystem der Rache und Bestrafung erzeugt, bei dem es nie darum ging, Verbrechen zu verhindern oder gar das Zusammenleben zu verbessern. Es ging ursprünglich nur um Genugtuung der Gefühle der Hinterbliebenen und heute ist dieser Zweck verzerrt worden, durch Pseudogutmenschen, die Verbrechern jegliche echte Konsequenz für ihre Tat ersparen wollen.


    Wir brauchen einen neuen Ansatz, nicht einen Schritt zurück.

  • P.S.: Und, so seltsam das von jemandem wie mir auch klingen mag: ich glaube sehr wohl, dass sich unsere Rasse seit der Steinzeit tatsächlich kulturell EIN KLEIN BISSCHEN weiterentwickelt hat. Nicht bloß biologisch betrachtet, sondern auch moralisch.

    Das Sache ist nicht die, dass wir als Menschheit klüger geworden sind, sondern, dass dein Ansatz nur funktionieren würde, wenn der Einzelne sich weiterentwickelt hätte. Und nein, das kann ich nicht beobachten.
    Wir werden völlig leer geboren. Es mag sein, dass sich der über 50 jährige Frieden auf die Psyche der Kinder positiv auswirkt, aber da bin ich skeptisch.
    Alle Weiterentwicklung, die du ansprichst, basiert auf staatliche Bildung und die geistige Arbeit unserer Vorfahren. In unserem Rechtssystem stecken Jahrhunderte von Gedanken über Recht und Unrecht. Und vor allem: Die Lösung, sich vernünftig zu einigen, widerspricht unserer Natur. Es wird nicht jeder Bürger sich mit dem Thema mit dem nötigen Ernst beschäftigen wollen.
    Ich finde es auch nicht sinnvoll, da unsere heutige Zivilisation so viel Wissen und Technik angesammelt hat, dass eine Person nicht mehr den Überblick haben kann über die Folgen seiner Taten.
    Mit anderen Worten: Eine regelfreie Welt, in der die Einzelnen die richtigen Entscheidungen intuitiv fällen können, ist unmöglich geworden. Zumindest wenn du nicht mehr im Zelt im Wald leben willst.


    Es braucht neue Systeme und Regeln des Miteinander, die dem Einzelnen jeweils die zu seiner Entscheidung notwendigen Informationen gibt bzw. ihm die richtige Entscheidung plausibel machen kann.


    Um beim Beispiel Brücke zu bleiben:
    Es wird nicht jeder genug Bildung erreichen, um zu wissen, dass Harnsäure die Bausubstanz angreift. Deswegen gibt es den Staat, der es verboten hat im Freien zu pinkeln.
    Auch ich würde manchmal gegen einen Baum pinkeln, jedoch auch das ist nicht wirklich sinnvoll, da es unhygienisch ist. Bei vielen Großveranstaltungen in der nähe von Stadtparks ist das zuweilen ein Problem für die Umwelt. Mit der Erfindung der Toiletten haben wir einen weiten Schritt nach vorne getan - dennoch sind selbst offenbar wir beide hier nicht immer vernünftig.
    Wie kannst du das dann in weitaus komplexeren Fragen von jedem einzelnen Menschen verlangen?