Das System & Ich

  • Eine problematische Beziehung


    Wir können nicht miteinander, aber auch nicht ohneeinander. Oder besser gesagt: Ich könnte mich schon trennen, das hätte allerdings einige sehr unschöne Konsequenzen. Also halte ich aus materiellen Gründen zähneknirschend an einer Zweckehe mit dem System fest, das ich im Internet so scharf kritisiere. Da kann man mal sehen, wer in unserer Beziehung die Hosen anhat!


    Das System hingegen klammert und lockt mich mit sirenenhaften Versprechungen, die es zum Teil ja auch einhält. An Essen auf dem Tisch, ein Dach über dem Kopf und Internetzugang habe ich mich einfach zu sehr gewöhnt, um jetzt spontan alles über Bord zu schmeißen. Würde wahrscheinlich auch nur dazu führen, dass ich früher oder später unter irgendeiner Brücke krepiere, weil ich nicht so der Outdoor-Typ bin. Auch wenn ich mein Leben jetzt nicht für extrem bedeutsam für den Fortgang der Geschichte halte, würde ich der Anarchie damit wohl eher einen Bärendienst erweisen. Also arbeite ich wie ein braver Lemming, zahle regelmäßig Krankenkasse, Steuern, GEZ und was man sonst noch so alles abdrücken muss. Denn man/ich will ja keinen Ärger. Ich will nach getaner Arbeit weiter brav meinen Träumereien nachhängen und in anarchistischen Foren von einer besseren Welt schreiben.


    Langsam reift in mir aber der Plan heran, die alte Systemziege ein paar Jahre lang so richtig zu melken, um mich dann mit der kapitalistischen Milch davonzumachen und nie mehr zurückzukehren. Mein Plan von einer Zukunft als Heiratsschwindler mit Engelszungen, wenn man in dem Bild einer verunglückten Ehe mit der aufgezwungenen Gesellschaftsordnung bleiben möchte. Allerdings wäre ich über diese Zeit dann der perfekte Spießer, also so ziemlich das Gegenteil von dem, was ich immer sein wollte. Und natürlich hätte ich letztendlich vielleicht meine Ruhe, hätte sie aber nur im Rahmen des Kapitalismus gefunden, als einer der wenigen Glücklichen, die es in jedem unterdrückerischen System gibt. Auf der positiven Seite kann Geld natürlich in dieser Welt schon einiges bewegen, auch in Richtung Anarchie. Das hatte wohl auch dieser Bankräuber (TMF) erkannt, den sie für immer eingesperrt hatten. Aber wenn ich scheitere, dann habe mich nicht nur selbst verraten, sondern es hat dann noch nicht einmal etwas gebracht. Dann bin ich so richtig im Eimer. Eine von beiden Möglichkeiten wird wahrscheinlich eintreten.


    Wieviele Zugeständnisse sollte man dem Kapitalismus eurer Meinung nach machen? Sollte man ihn als Mittel zum Zweck für eine bessere Welt benutzen? Gibt es überhaupt eine realistische andere Möglichkeit?

  • Rein moralisch betrachtet hätte ich momentan eher wenig Skrupel, den Kapitalismus für meine persönlichen Zwecke zu nutzen. Das liegt vor allem daran, weil ich den Eindruck bekommen habe, dass die meisten Menschen dieses System ja haben wollen, und es daher auch legitim ist, diese Menschen nach den Spielregeln ihres dämlichen Spiels zu melken oder abzuzocken.
    Wenn man beispielsweise sieht, wie manche Leute auf Ebay überteuerte Preise zahlen, für die selben Produkte, die sie nur einen Mausklick entfernt auch 20 oder 30 Euro billiger bekommen könnten... aber weil sie zu bequem sind, suchen sie nicht weiter und kaufen das teurere Produkt... dann finde ich schon, dass man das ausnutzen darf, ohne sich einen Vorwurf machen zu müssen.
    Also ich könnte mir prima vorstellen, dass ich in einer alternativen Realität beispielsweise so ein Händler wäre, der Videospiele verkauft und die Doofheit der Leute ausnutzt.


    Was ich mir nicht vorstellen könnte, wäre hingegen eine Tätigkeit, bei der ich gezwungen bin, Verhaltensweisen zu übernehmen, die ich eigentlich verabscheue. Beispielsweise Klamotten zu tragen, die ich freiwillig niemals anziehen würde, Anzug und Krawatte oder sowas.. (außer für ein Musikvideo, dafür würd ich mich schon so kleiden, oder wenn ich Profikiller wäre) Aber ihr wisst schon ,was ich meine. So am Bankschalter, oder für irgendeine dämliche Besprechung mit dem Chef, etc.
    Also wenn ich mich in irgendein soziales Gefüge einordnen müsste zusammen mit Menschen, die mich eigentlich ankotzen. Solche Dinge eben, wo ich nicht einfach nur irgendwelche anarchistisch-moralischen Ideologien verrate, sondern mich selbst.
    Kein Geld der Welt ist es wert, sich selbst zu verraten und eine Rolle spielen zu müssen, die einem nicht behagt.
    Kann natürlich auch sein, es macht einem nicht so viel aus, ne Krawatte zu tragen und Smalltalk mit irgendwelchen Durchschnittslemmingen im Büro zu betreiben... dann spricht ja im Prinzip auch nix dagegen, denke ich. Aber ich würde nicht etwas tun, was meiner Persönlichkeit eigentlich total widerspricht. Denn das macht dich kaputt.

  • Ich finde es völlig okay im System zu leben, denn ich wurde einfach geboren, ohne es mir ausgesucht zu haben und muss nun leben. Da die Menschen das Spiel des Kapitalismus geil finden, bleibt mir nichts anderes übrig als dran teilzunehmen. Trotzdem kritisiere und verabscheue ich es, weil ich weiß, dass es auch anders geht. Ich lebe notgedrungen im System, aber versuche dabei immer (wo es mir möglich ist) meinen Traum schon jetzt zu leben (z.B. durch Solidarität, usw.) Anarchie ist so wie Schimmelpilze. :D Wir brauchen Sporen, die diese verlogene Welt durchwachsen. ^^

  • Ich sehe das anders als die bisherigen Antworten. Anarchismus lässt sich grob auf 3 Arten verbreiten:
    Durch Aufklärung - was man durchaus als "Fisch im Wasser" machen kann.
    Durch aktiven Widerstand, der allerdings meistens zu nichts führt und der Bewegung am Ende oft sogar schadet.
    Oder indem man ganz einfach vor dem System flüchtet und z.B. in den Wald zieht, so weit weg von der "Zivilisation" wie möglich. Letzeres ist mein Weg, denn ich bin aus finanziell recht ärmlichen Verhältnisse (habe materiell nichts zu verlieren) und weder Kraft noch Motivation, für den Staat und irgendwelche Bonzen oder auch nur für diese Gesellschaft zu arbeiten. Lieber führe ich ein wildes und harsches aber dafür freies Leben. So kann ich Anarchie zumindest für mich selbst und ein paar andere verwirklichen, soweit das innerhalb eines Staates denn möglich ist.

  • Kein Geld der Welt ist es wert, sich selbst zu verraten und eine Rolle spielen zu müssen, die einem nicht behagt.

    Geht ja auch weniger um das Geld, sondern um die damit verbundenen Freiheit und die Möglichkeiten, weitere Dinge zu bewegen. Das Geld selbst ist mir ziemlich egal. Aber ich denke, ich verstehe schon ... Wenn man eines Tages in den Spiegel schaut und dort so eine komische Businessman-Mutation von sich selbst sieht, kann das schon ein harter Schlag in die Magengegend sein.

    Ich lebe notgedrungen im System, aber versuche dabei immer (wo es mir möglich ist) meinen Traum schon jetzt zu leben (z.B. durch Solidarität, usw.) Anarchie ist so wie Schimmelpilze. :D Wir brauchen Sporen, die diese verlogene Welt durchwachsen. ^^

    Das ist auch ungefähr mein Standpunkt, obwohl ich es aufgrund des positiven Charakters der Veränderung eher als Entschimmelung beschrieben hätte. Aber dann passen wieder andere Details nicht. ;)


    Oder indem man ganz einfach vor dem System flüchtet und z.B. in den Wald zieht, so weit weg von der "Zivilisation" wie möglich. Letzeres ist mein Weg, denn ich bin aus finanziell recht ärmlichen Verhältnisse (habe materiell nichts zu verlieren) und weder Kraft noch Motivation, für den Staat und irgendwelche Bonzen oder auch nur für diese Gesellschaft zu arbeiten. Lieber führe ich ein wildes und harsches aber dafür freies Leben. So kann ich Anarchie zumindest für mich selbst und ein paar andere verwirklichen, soweit das innerhalb eines Staates denn möglich ist.

    Das hat definitiv auch seinen Reiz. Man hat halt seine Ruhe und wird nicht mehr belästigt. Allerdings ist es mE auch schwierig, einen größeren Umwälzungsprozess zu starten. Wenn Bill Gates plötzlich Anarchist geworden wäre, gäbe es sicherlich schon einen ganzen Schwall von hochinteressanten Projekten und sozialen Experimenten (jetzt mal unabhängig davon, was man moralisch von solchen Experimenten halten mag).

    • Offizieller Beitrag

    Ich finde, man kann das System schon verachten, auch wenn man nach dessen Regeln spielt und dessen Vorteile nutzt. Die Bauern im Mittelalter fanden es sicher auch nicht geil, dass sie mit Vierzig nach einem Leben voller harter Arbeit als alte Menschen verreckt sind, während es die Fürsten sich haben gut gehen lassen. Ich denke auch, dass es legitim ist, die Möglichen des Systems zu nutzen, die es uns bietet, um es zu vernichten. Selbst Schuld.
    Allerdings hätte ich Probleme damit, andere auszunutzen, nur weil ich es kann und andere das auch tun. Gerade weil andere scheiße sind, habe ich das Bedürfnis, zumindest weniger scheiße zu sein als die. Wer weiß, vielleicht bin ich auch nur einmal zu oft verarscht worden und deswegen bei dem Thema etwas sensibel.
    Ansonsten stehe ich auf den Zugang zu fließend warmem Wasser, eine Heizung, Internet, Blu Ray-DVDs und mehr Bücher, als ich jemals werde ich lesen können. Aber das ist auch nichts, worauf man in einer Anarchie verzichten müsste, es wäre bloß gerechter verteilt. (Okay, Blu Rays werden hoffentlich auch irgendwann abgeschafft und durch Downloads ersetzt, würde Ressourcen sparen)
    Dafür nehme ich auch einen schlecht bezahlen Job in Kauf (der wenigstens relativ gut zu mir passt), um Miete, Gebühren und Nahrungsmittel (und ab und zu etwas Luxus) bezahlen zu können. Ich hatte ja schonmal an einer anderen Stelle gesagt, dass Entwicklungen Zeit brauchen (guckt euch die ehemalige DDR an) und dass wir uns mit etwas Glück und viel Arbeit irgendwann in eine anarchistische Gesellschaft entwickeln können, aber das werden wir wahrscheinlich nicht mehr erleben. Schöne Grüße an die Anarchisten der Zukunft, die dieses Forum lesen werden, um Rückschlüsse auf eine längst untergegange, beschissene Gesellschaft zu ziehen.

    Ich wünschte, Gott würde noch leben, um das zu sehen. - Homer Simpson

  • Wie sehr soll man sich an einem System beteiligen, das man grundsätzlich verachtet...für mich gilt hier der Grundsatz "so viel wie nötig, so wenig wie möglich".


    Ich habe kein Interesse an einer Karriere in diesem System und will mich so wenig wie möglich am Sklavenmarkt (auch bekannt als Arbeitsmarkt) beteiligen. Das einzig Akzeptable für arbeitsscheue Vagabunden wie mich sind temporäre Jobs...man geht quasi von einem Job zum Nächsten und zwischendurch trampt man als Hobo durch die Weltgeschichte bis die Kohle ausgeht. Das ist natürlich ein wenig ein Glückspiel, denn die meisten Arbeitgeber sind nicht interessiert an herumirrenden, ziellosen Träumern ohne Ausbildung, die in der Arbeit nur ein notwendiges Übel sehen um der Jagd auf Essensreste in Müllcontainern vorzubeugen. Das Einzige was diese anzugtragenden Plastikmenschen interessiert an mir ist meine Produktivität, Flexibilität (Überstunden? Gerne doch! Freitage opfern? Mit Vergnügen!) und allenfalls meine Karriereziele. Heutzutage ist ebenfalls die Kompatibilität mit den Mitarbeitern gefragt, die von nun an deine neuen Freunde sein werden *schauder*. Teamwork? ill Fast wie ne Sekte.
    Ich bin ein wenig vom Thema abgedriftet. Als konsequenter Anarchist müsste man sich theoretisch so fern vom Kapitalismus halten, wie man nur kann. Ansonsten verrät man irgendwie seine Ideale. Allerdings ist der Kapitalismus allgegenwärtig, was eine (unfreiwillige) Zusammenarbeit unausweichbar macht. Das Klügste ist vermutlich, so wenig wie möglich zu konsumieren, denn mit unserem Konsum füttern wir dieses gefrässige Monster. Ohne unsere Mithilfe verhungert es. Etwa so im Stil von "stell dir vor es ist Krieg und keiner geht hin"-kein Krieg. Stell dir vor es ist Black Friday und keinen juckts mehr-kein Kapitalis...-moment mal, das wäre doch eine naive Sicht der Dinge, denn die Wurzel des Kapitalismus ist ja immer noch das Streben nach mehr Gewinn und endlosem Wachstum und das ist nicht so leicht zu bekämpfen, denn es ist in den Köpfen der Menschen.
    Unterm Strich hab ich auch kein Wunderheilmittel oder eine utopische Alternative im Ärmel um das Elend zu bekämpfen, das der Kapitalismus und die endlose Gier der Menschen hervorgerufen hat. Vielleicht mal ein Thema für einen anderen Thread?
    Als Anarchist hat man es nicht leicht... dead
    Thema verfehlt? wayne

  • Das Problem am Systhem ist einfach das man im gewissen maße gezwungen ist daran teil zu nehmen. Es seid denn man zieht nach Kanada in einen Wald aber dort würde ich mich viel zu alleine fühlen. Das heißt man muss Kompromisse eingehen, mit seinen eigenen Idialen und der Reelen welt. Was das Leben gerade so traurig macht, das man immer einknicken muss. Man lebt nun mal in einer Gesellschafft, Man ist von zu vielen Menschen abhängig, generell ist man von so vielen sachen abhängig. Und genau diese Kompromissen muss man irgend wann nach geben. Das wird wahrscheinlich auch in einer Anarchistisches Umgebung nicht anders, nur das die deutlich krasser sind. Selbst das elbogen ausstrecken, mir doch egal, ihr habt es ja so gewollt was von ein paar schon hier Propagirt wurde ist auch schon wieder ein zugeständnis an diesem Systhem. Ein Kompromiss. Als Individuum muss man sich in diesem Systhem nun einmal zurrecht finden, sich vielleicht Lücken suchen, in dem man dann friedlich leben kann, oder von dort aus seine nächsten nadel stiche ansetzen kann. Aber auch dafür muss man ein kompromiss gefunden haben.


    Diesen Platz suche ich gerade, ich habe ihn schon irgendwie lokalisirt, aber bin ihn immer noch am einkreisen. Also mein Platz des kleinsten Kompromisses. Dafür begehe ich im moment aber ein riesen Komprimiss namens schule und werde ihn auch noch weiter eingehen, nähmlich im Studium. Der Platz den ich suche ist irgendwo in der Wissenschafft, Philosophie oder mathematik. Denn Zumindestens meine Naive vorstellung nach, sind dort noch leute die Visionen haben. Welche die was entdecken wollen, egal ob das Resultat nicht zu frieden stellend ist. Sondern die sachen machen um ihrer selbst willen. Etwas was man normaler weiße nur aus der Kunst kennt. Eine 2. niesche, des kleinst möglichen Kompromiss den ich kenne. Aufjeden fall will ich was machen, wo leute noch mit begeisterung von dem sprechen mit dem sie sich gerade beschäfftigen.


    Trotzdem bleibt immer noch der beigeschmack des Kompromisses. Auch in der Wissenschafft ist man von Interessen abhängig, denen man sich beugen muss um an Forschnungsgelder zu kommen. Wenigstens ist dort aber die Motivation noch gut.


    Und noch mal zu den Kompromissen, so offt wird Menschen vorgeworfen das die nicht wirklich Konsequent sind, in den werten die sie Propagiren. Zum Beispiel Antikapitalisten, die zum Mc's gehen. Ich glaube aber das so eine tat niemand mehr weh tut als die Person die es macht. Diese Kompromisse sind an sich das eigentliche leid in der Welt. DIe Zugestendnisse an dem was man eigentlich hasst.


    Also ich such noch weiter nach dem kleinst möglichsten Kompromiss und werd von diesem dann die Gesellschafft Terrorisiren um die schrecklich taten die ich in zukunft begehen werde wieder aus zu gleichen.